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MELDUNG/203: Projekt - Wie virtuelle Gewalt auf die Realität wirkt (idw)


Philipps-Universität Marburg - 14.06.2017

Wie virtuelle Gewalt auf die Realität wirkt


Im Internet herrscht aggressive Rhetorik, die droht, in Gewalttaten umzuschlagen: Dieser Problematik widmet sich ein neuer Marburger Forschungsverbund unter dem Namen "PANDORA". Er bringt fünf Forschungseinrichtungen sowie ein Software-Unternehmen mit sieben Partnern aus der Praxis zusammen, um zu untersuchen, unter welchen Bedingungen extrem rechte und fundamental-islamistische Propaganda zu Gewalt führt - und wie sich dies verhindern lässt. Die Politikwissenschaftlerin Professorin Dr. Ursula Birsl von der Philipps-Universität koordiniert das Konsortium, das 2,6 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium erhält.

"Soziale Medien sind zunehmend zu einem Ort aggressiver Austragung gesellschaftlicher sowie politischer Konflikte geworden", konstatiert Projektleiterin Ursula Birsl. "Extrem rechte und salafistisch- dschihadistische Akteure nutzen soziale Netzwerke für ihre Propaganda und rufen zur Gewalt auf." Im Kontext der Debatte um Flucht und Asyl beschränke sich diese Gewaltdynamik nicht allein auf das extrem rechte und salafistisch-dschihadistische Spektrum, sondern reiche weit darüber hinaus.

Die Beteiligten an dem Vorhaben erforschen, wie sich die gewaltförmigen Diskurse in sozialen Medien auf die reale Welt auswirken: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysieren und kartographieren Diskurse sowie Mobilisierungsstrategien im Internet systematisch, um lokale Orte in der realen Welt auszuwählen, an denen Gewaltdynamiken zu beobachten sind und möglicherweise auch gestoppt werden können. "An diesen Orten werden wir Milieustudien durchführen, mit denen sich soziale Kontexte identifizieren lassen, die eine Radikalisierung übers Internet befördern oder auch verhindern", führt Birsl aus. Gleichzeitig soll untersucht werden, inwieweit sich Diskurse und Propaganda des rechten und salafistisch-dschihadistischen Spektrums ähneln.

Das Projekt sieht vor, eine Software zu entwickeln, die den Sozialwissenschaften, aber auch den Sicherheitsbehörden neue Möglichkeiten eröffnet, Meta-Datenerhebung und -analysen von Online-Aktivitäten durchzuführen. "Die Gestaltung und der Einsatz der Software sollen möglichst datenschutzfreundlich erfolgen", versichert Birsl. "Auch wenn bei 'PANDORA' nur offen zugängliche Kommunikation etwa über Facebook, Twitter oder Telegram systematisch erfasst und ausgewertet werden soll, stellen sich für die Forschung und erst recht für die Anwendung durch Sicherheitsbehörden neue datenschutzrechtliche, aber auch ethische Fragen. Diese werden von 'PANDORA' mit dem Ziel aufgegriffen, die Untersuchung mit hohen grundrechtlichen Standards durchzuführen und darüber hinaus Vorschläge zu erarbeiten, das Recht weiter zu entwickeln."

Die wissenschaftlichen Ergebnisse sollen für Polizei, Betreiber von Asylunterkünften sowie Träger von Präventionsprogrammen und der politischen Bildung aufbereitet und gemeinsam mit den Praxispartnern in konkrete Maßnahmen überführt werden. "Wir werden beispielsweise ein Monitoring-Konzept entwickeln, mit dem sich Signale für eine Radikalisierung frühzeitig erkennen lassen, um mäßigend eingreifen zu können", legt die Projektleiterin dar. Außerdem ist vorgesehen, Konzepte für Präventionsprogramme und die politische Bildung zu erarbeiten, die eine gewaltfreie Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konflikten sowie mit strittigen Themen unterstützen, etwa im Kontext der Debatte um Flucht, Asyl und Einwanderung.

Ursula Birsl lehrt Demokratieforschung mit den Schwerpunkten EU, Politische Systeme im europäischen Vergleich und Bundesrepublik Deutschland am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität.

Das Bundesforschungsministerium fördert "PANDORA" durch ihre Förderlinie "Zivile Sicherheit - Aspekte und Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung". Neben Ursula Birsl und ihrer Mitarbeiterin Anja Schmidt-Kleinert beteiligen sich folgende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an dem Projekt: Dr. Julian Junk und Professor Dr. Christopher Daase vom Leibniz-Institut "Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung"; Dr. Martin Kahl und Dr. Janina Pawelz vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg; Professor Dr. Matthias Bäcker und Dr. Sebastian J. Golla von der Abteilung Rechtswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Dr. Robert Pelzer und Mika Möller vom Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin; sowie Dr. Stefan Taing und Dr. Jens Elsner von "Munich Innovation Labs".

Praxispartnerinnen und -partner sind der Landesverband Sachsen-Anhalt der Arbeiterwohlfahrt, die Forschungsstelle Extremismus/Terrorismus des Bundeskriminalamtes, das Referat Demokratie und Vielfalt des Bundesfamilienministeriums, die Bundeszentrale für politische Bildung, das Kompetenzzentrum zur Koordinierung des Präventionsnetzwerks gegen islamistischen Extremismus in Baden-Württemberg und das Innenministerium Baden-Württemberg sowie die Landeskriminalämter Niedersachsen und Baden-Württemberg.



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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Philipps-Universität Marburg, Johannes Scholten, 14.06.2017
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2017

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