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FORSCHUNG/101: Die Sprache der Ethnizität - südasiatische Perspektiven (Uni Bielefeld)


BI.research 35.2009
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Die Sprache der Ethnizität: Südasiatische Perspektiven

Von Joanna Pfaff-Czarnecka


Seit mehr als zwanzig Jahren ist politische Kommunikation weltweit durch Ethnisierung geprägt. Ethnische Akteure beteiligen sich umfassend an symbolischen Kämpfen um Wissen, Anerkennung und Macht. Die soziale Welt ist, wie Pierre Bourdieu betonte, zugleich Produkt wie auch Gegenstand solcher Auseinandersetzungen. Die Sprache der Ethnizität erweist sich dabei nicht nur als ein reiches Repertoire für Selbstvergewisserung, Verortung und Repräsentation. Sie ist eine Ressource in definitorischen Kämpfen um soziale Ordnung - um legitime Prinzipien sozialer Wirklichkeitskonstruktionen.

Die Sprache der Ethnizität wird im Rahmen des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (SFB) 584 "Das Politische als Kommunikationsraum" als symbolisches Repertoire untersucht, das aus Leitvokabeln, argumentativen Figuren und Unterscheidungsmetaphern besteht. Sie ist Ressource politischer Kommunikation: Mittel und Gegenstand von Politisierung und Entpolitisierung. Ihre starke Akzentuierung und zugleich Mehrdeutigkeit erlaubt Anschlüsse, Interpenetration und Übersetzbarkeit weit über lokale und nationale Kontexte hinweg und lässt Aktualisierungen früherer Bedeutungen zu.

Auch in Südasien hat sich Ethnizität zunehmend als eine gesellschaftliche Formel etabliert, die Imaginationen prägt, öffentliche Agenden besetzt und politische Forderungen legitimiert. Der ethnische Aktivismus greift die Sprache der Ethnizität als eine optische Linse auf, die Unzufriedenheit bündelt und ihr einen Namen gibt, wodurch diese zu einer Mobilisierungsformel geworden ist. Heute gehören ethnische Symbole, Anliegen und Forderungen zum festen Bestand der politischen Kommunikation in Südasien, die im Rahmen des SFB 584 am Beispiel Nepals untersucht wird.


Das Beispiel Nepal

Nepal ist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch eine gewaltsame Vereinigung von 60 Fürstentümern entstanden. Die bereits zu diesem Zeitpunkt kulturell und religiös durchmischte Bevölkerung wurde im Jahr 1854 per Dekret der Hindu-Herrscher zu einer nationalen Kastenhierarchie erklärt. Die Gesamtheit der Bevölkerung wurde in fünf hierarchisch gegliederte Ränge unterteilt mit den "doppelgeborenen" hochkastigen Hindus zuoberst, mit ethnischen Gruppen in den beiden mittleren Rängen und den "unberührbaren Kasten" zuunterst. Dabei korrelierten Rechte, Pflichten und Strafen der in Kollektivkategorien gefassten Akteure mit ihrem Rang. Kulturelle Distinktion war Norm; der Hinduismus als Religion der Herrscher bot hierfür die ideologische Klammer. Mitte des 20. Jahrhunderts setzte mit der politischen Öffnung Nepals eine neuartige gesellschaftliche Ordnung ein. Die neu der Modernisierung verschriebenen Machthaber propagierten eine homogene Nationalkultur als die Kommunikation fördernd und dem Fortschritt dienlich. Während die Herrscher die Kultur nationaler Eliten als verbindlich erklärten, kritisierten sie die Pflege von Minderheitenkulturen und -religionen als rückständig und verbannten deren Symbole aus nationalen Repräsentationen. Damit haben die Maßnahmen der Assimilierung die Nation anstatt zu vereinen noch stärker geteilt als das zuvor verordnete Kastengefüge. Der Ausschluss aus der Öffentlichkeit und Zugangsbarrieren in Politik und Verwaltung für Minderheitenmitglieder, denen es an kulturellem, sozialem und ökonomischem Kapital mangelte, gerieten deshalb zu einer Exklusionsmatrix, gegen die sich zunehmend Widerstand zu formieren begann. Infolge blutiger Unruhen im April 1990 nahm König Birendra die Beschneidung seiner Machtfülle hin und proklamierte eine neue Verfassung, die Gewaltenteilung, Meinungs- und Organisationsfreiheit garantierte und den multireligiösen, multiethnischen und mehrsprachigen Charakter der nepalesischen Gesellschaft anerkannte.

Das Projekt ethnischer Selbstfindung, Selbstbeschreibung und Selbstbehauptung kam seither schnell in Gang und manifestiert sich heute in kommunikativen Praktiken, die auf sieben diskursive Figuren zurückgreifen. Anfänglich schien den ethnischen Aktivistinnen und Aktivisten zu genügen, dass sie die Existenz ethnischer Sprachen, Religionen und Gebräuche überhaupt öffentlich zur Sprache bringen konnten, doch griffen Aktivisten in politischer Kommunikation zunehmend auf Figuren der Bedeutsamkeit zurück, die ein durch ethnische - und damit auch sprachliche und religiöse - Vielfalt reiches kulturelles Erbe Nepals hervorheben.


Territorialität, Temporalität und ethnische Solidarität

Bald treten die Figuren der Territorialität und der Temporalität auf den Plan. Territorialität markiert die Zugehörigkeit ethnischer Gruppen zu bestimmten Gebieten. Rituelle Marker und andere Symbole bringen die Ortsbindung ethnischer Angehöriger, die Ausdehnung einst besessener Ländereien und frühere politische Hoheitsrechte zum Ausdruck. Spirituelle Bezüge werden betont, ebenso wie die starken emotionalen Bande, die mit Besitzverhältnissen und mit Autorität einhergehen. In den ethnischen Selbstdarstellungen wird zudem die Dauer der Ansiedlung in den "Stammesregionen" immer wichtiger. Dadurch geraten periphere Landesregionen zunehmend in den Blick. Dies geschieht etwa zeitgleich mit der prägnanten Umdeutung globaler Entwicklungsdiskurse, die den kommunikativen Raum Nepals so entscheidend prägen. In diesem Kontext tritt die Figur der ethnischen Solidarität auf den Plan, die sehr gute Anschlüsse zu den partizipativen Modellen der Entwicklungszusammenarbeit bietet, die sich im Verlauf der 1990er Jahre zunehmend kommunitärer Begrifflichkeit bedient. Die Exklusion der hohen Kasten, die hier zum Anderen werden, schafft den gemeinsamen Nenner für die diskursive Vereinigung der ethnischen Gruppen. Nachdruck liegt nunmehr auf der Rhetorik des Zusammengehörens: Egalitäres Ethos, Kooperationsbereitschaft, hoher Stellenwert der Gegenseitigkeit und politisches Engagement werden als die kostbaren Ressourcen beschrieben, über welche die gesamte ethnische Bevölkerung verfügt - und die hohen Kasten nicht, denen nun Fatalismus und Ichbezogenheit unterstellt werden. Hier wird - in Worten von Laclau und Mouffé - eine situative diskursive Bündnispolitik hergestellt.

Wimmer (2009) schlägt für solche Kontexte den Begriff der Transvaluierung vor, sprich: Strategien zur Umdeutung oder Veränderung normativer Prinzipien in nach ethnischen Kriterien hierarchisierenden sozialen Ordnungen. Er unterscheidet zwischen der Equalisierung-Strategie, die in Bezug auf Status und politische Macht nach Gleichheit strebt, sowie einer normativen Inversion, die eine vorhandene Rangordnung umzukehren sucht. Zu diesem Zweck eignet sich besonders die Figur des erfahrenen Unrechts: Darstellungen der teilweisen Enteignung ethnischer Bevölkerung im Zuge der hinduistischen Einwanderung in deren Stammesgebiete und die Konzentration der politischen Macht auf die hohen Hindu-Kasten lassen die Letzteren in einem negativen Licht erscheinen. Auf diesem Boden werden die konterhegemonialen Figuren bedeutsam, die den zentralistischen Staat anprangern, ebenso wie die erdrückende Dominanz hochkastiger Hindus sowie Ungleichheit. Ab 1996 werden die Maoisten zu immer wichtigeren Akteuren im politischen Raum Nepals. Ihr Kampf und die staatliche Gegengewalt bringen Tod und Zerstörung materieller wie immaterieller Güter - wie des Vertrauens. Zugleich erlangt Gewalt transformierende Kraft. Maoisten kennen den Groll und die Klagen des Volkes und sehen sich als das Sprachrohr für die Armen, die Dalit (vormals: "Unberührbare"), die Frauen und für die ethnischen Gruppen. Sie fordern die grundlegende Umstrukturierung ("state restructuring") Nepals zu autonomen Regionen, die eine identitäre Prägung der jeweils autochthonen Ethnie erhalten sollen. Soziale Inklusion, so das Argument, könne nur unter den Rahmenbedingungen der Dezentralisierung gelingen, wo dominante ethnische Gruppen den Ton angeben.

Im Verlauf der 1990er Jahre haben die Aktivisten für die gesamte ethnische Bevölkerung Nepals den Terminus "janjati" (Gruppen des Volkes) eingeführt, was deren "Echtheit", Verwurzelung und dauerhaften Territorialbezug konnotiert. Dieser Terminus gewinnt mit der Zeit an Schärfe. Wer nicht dazugehört, sind vor allem die Kasten-Hindus, welche die Figuren der Temporalität und Territorialität als die "Nachzügler" ausgrenzen. Mit der Forderung nach ethnischen autonomen Regionen gelingt eine Absage an die durch herrschaftliche Praxiskomplexe, Sinnmuster und kulturelle Codes begründete ungerechte Ordnung und zugleich die Konstituierung partikularer Denkweisen, Vorstellungs- und Verhaltensschemata, die als alternativlos postuliert werden. Damit wird das Politische als Moment des Antagonismus gedacht, das ein konstitutives Außen und nach innen Einheit erzeugt. Hier tritt die Figur der Mitgliedschaft auf den Plan. Mitgliedschaft soll territorial nach dem Anciennitätsprinzip gestaltet werden. Den nicht majoritären ethnischen Gruppen werden weniger (Kollektiv-)Rechte und Machtbefugnisse zugestanden und mehr Abgaben abverlangt. Die Umsetzung dieses Plans ist offen.


Fazit

Dank ihrer Mehrdeutigkeit hält die Sprache der Ethnizität eine Vielfalt an semantischen Operationen bereit, die vielfältige Strategien ethnischer Grenzziehung und Grenzverschiebung ermöglichen - von partikularistischen strategischen Essentialisierungen zu Anschlussmöglichkeiten in Form von Erweiterungen gesellschaftlicher Wir-Konstruktionen. Sie verfügt heute über ein reichhaltiges Repertoire an politischen Argumenten und Werthaltungen, die in weltgesellschaftlichen Handlungszusammenhängen supralokale Anschlüsse bieten.


Prof. Dr. Joanna Pfaff-Czarnecka ist seit 2001 Professorin für Sozialanthropologie an der Universität Bielefeld. Ihre Forschungsgebiete sind vor allem: Politische Anthropologie, Südasien und Zuwanderungsgeschichte Mitteleuropas.


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Quelle:
BI.research 35.2009, Seite 64-68
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2010