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FRAGEN/003: Dr. Jana Rückert-John - "Barbie ist konservativ" (idw)


Universität Hohenheim - 06.03.2009

"Barbie ist konservativ"

Zum 50sten Geburtstag einer alterslosen Grand Dame (9. März 2009):
Dr. Jana Rückert-John vom Kompetenzzentrum für Gender und Ernährung der Universität Hohenheim


Frage: Frau Dr. Rückert-John, Sie behaupten, ohne Spülmaschine würde es Barbie nicht geben.

Dr. Rückert-John: Ja, stimmt. In den 1950er Jahren in den USA beginnt die Technologisierung des Haushalts. Frauen wurden dadurch von vielen Arbeiten befreit, die zeitaufwändig waren und schmutzig machten. Auf einmal konnte die Hausfrau neben Haushalt und Kindern auch noch schick sein, sich schön machen und ihre Freizeit gestalten.

Frage: Schön wie Barbie, die sich über 50 Jahre lang ihre Traumfigur bewahrt - und gleichzeitig den Bulimie-Trend verantwortet und schon Fünfjährige zu ihrer ersten Diät bringt. Richtig?

Dr. Rückert-John: Nein, das wäre zu einfach. Kinder und Jugendliche, wie auch Erwachsene sind weitaus komplexeren Einflüssen ausgesetzt. Und die erste Diät ist bei Mädchen als ein Ausdruck der Pubertät zu werten, mit der sie sich von der Kindheit lösen, weil sie sich an Erwachsenen und deren Geschlechterrolle samt Schönheitsidealen orientieren oder sich dagegen entscheiden, wenn manche Mädchen ihre Barbies in dieser Lebensphase rasieren, in den Toaster oder in die Mikrowelle stecken.

Frage: Also ist es überreagiert, wenn besorgten Eltern die Barbie aus Angst vor dem Schlankheitswahn aus dem Kinderzimmer verbannen?

Dr. Rückert-John: Auch das wäre zu eindimensional gedacht. Meiner Meinung nach greift Barbie nur bereits existierende Rollenmodelle auf, die zeitgemäß und gesellschaftlich akzeptiert sind. Ihre Funktion ist, jungen Mädchen die Gelegenheit zu geben, solche Rollen auszuprobieren. Doch wenn man kleinen Mädchen nicht schon beigebracht hätte, dass wespentaillige Langhaar-Blondinen schön sind, könnten sie mit einer Barbie doch gar nichts anfangen. Insofern ist Barbie genauso konservativ, wie jedes andere Spielzeug.

Frage: Konservativ? Nicht eher Avantgarde? Schließlich hat Barbie einen Pilotenschein, ist Managerin und...

Dr. Rückert-John: ... mittlerweile gibt es sogar eine Art Angela-Merkel-Variante als Politikerin. Sie ist nicht verheiratet, hat keine Kinder und sich 2004 sogar von ihrem Partner Ken getrennt. Trotzdem hinkt sie dem Zeitgeist eher hinterher: Die Rollenmodelle funktionieren nur, weil sie im Alltag nur allzu oft durch Fernsehen, Zeitungen und andere Menschen bestätigt werden und so Sicherheiten vermitteln. Barbie bettet sich hier wunderbar in unser Leben ein und wird deshalb von den Kindern nicht in Frage gestellt.

Frage: Es gab in den 90er Jahren eine schwarze Barbie und nun gibt es auch ein verschleiertes Gegenmodell in der muslimischen Welt. Ist das nicht doch eine Vorreiterrolle?

Dr. Rückert-John: Das ist ein Teil der Geschäftsidee, die sehr clever angelegt ist. Das einzige, was Barbie vermeidet, ist Mutter zu werden. So kann sie viele Rollen ausprobieren. Sie hat ein großes Netzwerk aus Freunden Verwandten und jetzt auch wechselnden Partnern. Da herrscht eine ständige Dynamik in ihrem sozialen Umfeld - und das ist natürlich verkaufsfördernd.
Nein, Barbie selbst ist nur Spiegelbild der gesellschaftlichen Rollenmuster. Statt Aufbruch zu neuen Ufern hilft sie also eher mit, sich mit diesen verschiedenen Rollen in der Gesellschaft zu identifizieren.

Frage: Wird dadurch ein anatomisch unmögliches Schönheitsideal mitzementiert? Was also tun? Eine dicke Barbie produzieren?

Dr. Rückert-John: Man müsste beim gesamten Sozialisationskontext ansetzen. Wenn wir uns einen Tag im Leben eines Mädchens vorstellen, dann stellen wir fest, dass die von Barbie vorgegebenen Rollen im Alltag nur allzu oft bestätigt werden. Wenn die Eltern, die Erzieherinnen, die Zeitschriften, die Mädchen-Magazine oder Kindernachrichten im Fernsehen - wenn all diese Bezugpersonen und Medien die angebotenen Rollen-Modelle der Barbie bestätigen, fängt das Kind nicht an, diese zu hinterfragen.

Frage: Was kann man Ihrer Meinung nach dann dagegen unternehmen? Wie kann diese anhaltende Bestätigung der Rollen durchbrochen werden?

Dr. Rückert-John: Hier muss die Familie und andere Bezugspersonen alternative Rollenmodelle aufzeigen, am besten natürlich selbst vorleben. Wenn die Mutter mit dem Kind im Bio-Laden einkaufen geht, sich mit vollwertiger Ernährung beschäftigt oder zum Frühstück über die Puppe sagt: "Die Barbie ist ja viel zu dünn, die muss jetzt erst einmal was essen." Um Essstörungen zu verhindern, müssen zum Beispiel auch die Erzieherinnen in den Kindergärten regelmäßig mit den Kindern zusammen essen und nicht Frühjahrs-Diät praktizieren.

Frage: Was wünschen Sie Barbie?

Dr. Rückert-John: Kinder, eine Familie - und einen gesunden Appetit.



Text: Petschko

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution234


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 06.03.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2009