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FORSCHUNG/019: Kinder entdecken, fragen, forschen (Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 1/2008

Kinder entdecken, fragen, forschen
Handreichungen für die pädagogische Praxis im Elementarbereich

Von Astrid Wendell und Marion Wulf


Neue Erkenntnisse aus der Forschung über Lernen in der frühen Kindheit und das politische Bedürfnis, in allen Tageseinrichtungen hohe Bildungsqualität anzubieten, haben die Bundesländer dazu veranlasst, Bildungspläne auch für den Elementarbereich vorzulegen. Kindertageseinrichtungen stehen nun vor der Herausforderung, diese Pläne in die Praxis umzusetzen. Das Projekt "Natur-Wissen schaffen" der Deutsche Telekom Stiftung an der Universität Bremen setzt genau an diesem Punkt an und entwickelt Handreichungen zur Umsetzung der Bildungsbereiche Mathematik, Naturwissenschaft, Technik und Medien im Kindergarten.


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Kinder erforschen und entdecken ihre Umwelt von Anfang an: Schon als Säuglinge erkunden sie mit den Augen, den Händen und ihrem Mund Gegenstände und ihre unmittelbare Umgebung. Wenn sie sprechen lernen, fangen sie an, viele Fragen zu stellen: Können Kartoffeln schwimmen? Warum sind Räder rund? Ist der Mond größer als die Sonne? Sie sind interessiert an Phänomenen, die ihnen im Alltag begegnen und möchten den Dingen auf den Grund gehen.

Diese frühen Lernprozesse haben eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung des Denkens der Kinder. Die "Wieso, Weshalb, Warum-Fragen helfen den Kindern dabei, Wissen aufzubauen, ihre Denkprozesse wie kausales Denken und Schlussfolgern zu entwickeln, ihrer Umwelt Sinn zu verleihen und sich damit letztlich besser in ihr zurecht zu finden.

Neuere entwicklungspsychologische Befunde weisen diesen frühen Bildungsprozessen in der Kindheit einen großen Stellenwert für die weitere kognitive Entwicklung zu. Zusätzlich hat die aktuelle Diskussion um die Bildungsqualität in Schulen zum Beispiel durch die PISA Studie dazu geführt, dass auch von politischer Seite den frühen Bildungsprozessen eine größere Bedeutung beigemessen wird. In allen Tageseinrichtungen und für alle Kinder soll eine hohe Bildungsqualität geboten werden. Dieses kommt in den Bildungsplänen, die von den Ländern für den Elementarbereich vorgelegt werden, zum Ausdruck.

Die Fachkräfte in den Einrichtungen stehen vor der Herausforderung, diese Bildungspläne in die Praxis umzusetzen.Wie können Erzieherinnen die natürliche Entdecker- und Forscherfreude der Kinder aufgreifen und vertiefen und somit zu einer Bildung von Anfang an beitragen?

Das Projekt Natur-Wissen schaffen unter der Leitung von Wassilios E. Fthenakis, Professor für Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der Freien Universität Bozen, Italien, stellt pädagogische Grundlagen und methodische Konzepte für die Umsetzung der Bildungsbereiche Technik, Mathematik, Naturwissenschaften und Medien zur Verfügung. Erzieherinnen und Erzieher erfahren hier sehr konkret und an Beispielen, wie sie mit Kindern im Vorschulalter Bildungsprozesse in diesen Bereichen gestalten.


Entdeckerfreude im Alltag

Entscheidend ist bei diesen Lernprozessen, dass sie an den Alltag der Kinder und an ihre Interessen anknüpfen. Der Alltag von Kindern ist voll von Phänomenen mit naturwissenschaftlichem und technischem Hintergrund: Die Kinder betätigen Lichtschalter und Klospülung, sie schauen beim Kochen von Wasser zu, essen Eis und beobachten so, wie Wasser verschiedene Zustände annehmen kann, sie buddeln in der Erde, spielen auf der Wiese und pflegen Tiere. Diese Themen der Kinder werden aufgegriffen und in der Interaktion mit der Fachkraft und anderen Kindern vertieft, etwa in Projekten. Diesem methodischen Konzept liegt ein Verständnis vom kompetenten Kind zu Grunde, das aktiv mit seiner Lebensumwelt in Kontakt tritt und im Austausch mit anderen, mit Kindern oder Erwachsenen, Wissen aufbaut. Durch solche ko-konstruktiven Prozesse, also gemeinsames Lernen und Erleben mit anderen Menschen, erschließen sich Kinder kulturell geprägtes Wissen.


Mathematik ist überall

Kinder treffen in ihrer Lebenswelt aber nicht nur auf Begebenheiten, die mit Naturwissenschaften und Technik in Verbindung stehen. Auch mathematische Phänomene sind an unzähligen Stellen zu finden.

Geometrische Formen, Zahlen und Mengen begegnen Kindern überall, und ohne Begriffe, die die Lage von Dingen im Raum beschreiben, wäre eine Orientierung nur schwer möglich. Das alles hat mit Mathematik zu tun. Viele derartige Situationen kann die Fachkraft im Kita-Alltag aufgreifen, um mit Kindern gemeinsam aktiv und in sinnvollen Zusammenhängen Mathematik zu betreiben. Dabei erforscht und bespricht sie mit den Kindern mathematische Sachverhalte, sodass diese ihr Verständnis dafür in der Interaktion vertiefen. Auf diese Weise vernetzen Erzieherinnen die Mathematik mit anderen Bildungsbereichen und stärken die Kinder in ihrer ganzheitlichen, bereichsübergreifenden Kompetenzentwicklung.

Zum Beispiel entdecken Kinder beim Klettern und Toben verschiedene räumliche Perspektiven, sie erfahren beim Musizieren und Tanzen rhythmische Strukturen, beim Bauen und Konstruieren experimentieren sie mit geometrischen Formen, und die Dimension "Zeit" erleben Kinder sehr konkret, wenn sie beim Backen warten, bis die Kekse fertig sind. Zudem sind bei vielen alltäglichen Problemen und besonders auch im Rahmen naturwissenschaftlicher Projekte häufig mathematische Kompetenzen wie das Sortieren und Klassifizieren, Vergleichen, Abzählen, Wiegen und Messen gefragt.


Medien in der Welt von Kindern

Kindheit heute ist auch Medienkindheit: Die meisten Kinder schauen fern und nutzen Hörspielkassetten oder CDs. Foto- und Filmkameras, Telefon und Handy werden in den Familien der Kinder und teilweise auch von den Kindern selbst regelmäßig genutzt. Auch mit Computerspielen, Lernsoftware und dem Internet kommen Kinder schon früh in Berührung.

Medien bereichern die Erfahrungswelt und Lernmöglichkeiten von Kindern, wenn sie zum Beispiel ihre Sicht auf die Welt mit der Kamera festhalten oder sich zusammen mit den Eltern im Internet über ein spannendes Thema informieren. Und auch das vielgeschmähte Fernsehen und die bei Kindern im Kindergartenalter sehr beliebten Hörspielkassetten bieten viele Anregungen, die Kinder im Spiel aktiv aufgreifen und weiterführen.

Um Medien aktiv, kreativ und verantwortungsvoll zu nutzen, brauchen Kinder (ebenso wie Erwachsene) allerdings einige Kompetenzen. Dazu gehören Fähigkeiten im aktiven Gebrauch von Medien ebenso wie die Fähigkeit, sich kritisch mit Medien und dem eigenen Medienverhalten auseinander zu setzen. Das im Projekt Natur-Wissen schaffen entwickelte Material zur Medienbildung hat diese beiden Seiten der Medienkompetenz im Blick. Es liefert Fachkräften, aber auch Eltern, viele Hinweise, Anregungen und Hintergrundinformationen, um Kinder dabei zu stärken, Medien sinnvoll zu nutzen und sich im "Mediendschungel" zurecht zu finden.


Bildungsprozesse dokumentieren

Für eine hohe Bildungsqualität ist nicht nur die fachlich fundierte Umsetzung entscheidend, sondern ein weiterer wichtiger Aspekt ist, die Bildungsprozesse zu reflektieren und dokumentieren. Dies wird auch in vielen Bildungsplänen der Länder als ein Ziel genannt. Deswegen werden im Projekt Natur-Wissen schaffen auch Portfolios zur Dokumentation und Reflexion der pädagogischen Arbeit und der kindlichen Bildungs- und Entwicklungsprozesse entwickelt und didaktisch-pädagogische Anregungen zur Umsetzung des Portfoliokonzepts angeboten.


Bewährungsprobe in der Praxis

In einem intensiven Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis werden die Praxistauglichkeit und die Verständlichkeit der Materialien überprüft. 25 Piloteinrichtungen in ganz Deutschland beteiligen sich als Experten für pädagogische Arbeit im Elementarbereich an der Entwicklung mit Engagement und konstruktiven Vorschlägen.

Die enge Verzahnung und Zusammenarbeit des Projektes mit der Praxis wird auch in dem ersten veröffentlichten Band des Projektes deutlich. Die Dokumentation über Projektbeispiele liefert eine Fülle von Anregungen und Ideen aus der elementarpädagogischen Praxis. Alle Beispiele im Buch sind als Gewinner aus dem Wettbewerb "Forschkönige" hervorgegangen, den die Deutsche Telekom Stiftung 2006 ausgeschrieben hatte. Bundesweit waren Kindertageseinrichtungen aufgefordert worden, ihre Projekte in den genannten Bereichen vorzustellen. Eine Jury aus Wissenschaftlern und Praktikern wählte daraus die 18 besten Beiträge.

Für die Dokumentation hat sich das Projekt Natur-Wissen schaffen die Gewinner-Projekte genauer angesehen. Beschrieben wird dort, wie die mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Lern- und Entwicklungsprozesse von Kindern unterstützt werden können. Zahlreiche Fotos, Experimentiertipps und Kurzfilme auf DVD geben Anregungen für die praktische Arbeit. Ausführliche pädagogische Kommentare ergänzen den Nutzen des Bandes.


Weitere Informationen:
www.natur-wissen-schaffen.de


Marion Wulf
ist seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Natur-Wissen schaffen" und dort für Implementierung und Evaluation zuständig. Die promovierte Politikwissenschaftlerin hat zu den Themen Qualifizierung, Berufsorientierung, Arbeitsmarkt und Chancengleichheit gearbeitet und war für die Implementierung von Konzepten und Strategien zur Personalentwicklung in Wirtschaft und Wissenschaft verantwortlich.


Astrid Wendell
ist seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Natur-Wissen schaffen". Die promovierte Diplom-Psychologin bearbeitet im Projekt psychologische und pädagogische Grundlagen der Elementarbildung sowie die Bildungsbereiche Naturwissenschaften und Technik.


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 1/2008, Seite 14-17
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2008