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JUGEND/024: Mehr Partizipation wagen (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2013 - Nr. 104

Mehr Partizipation wagen

Von Ursula Bischoff, Frank König und Eva Zimmermann



Aus Projekten gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ziehen oft diejenigen Jugendlichen einen besonderen Nutzen, die sich bereits gesellschaftlich engagieren. Das Ziel der "sozialen Integration" erreichen die Projekte nur dann, wenn weniger engagierte Mädchen und Jungen stärker beteiligt werden.


Maßnahmen zur pädagogischen Prävention von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus bei Jugendlichen sind in Deutschland nichts Neues. Förderprogramme des Bundes und der Länder zu diesem Thema gibt es bereits seit mehr als zehn Jahren. An der Evaluation von vier Bundesprogrammen waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Außenstelle Halle des Deutschen Jugendinstituts (DJI) beteiligt. Neu ist in den letzten Jahren, dass die Perspektive der Adressatinnen und Adressaten der Präventionsarbeit und die Effekte pädagogischer Programme stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Damit verbindet sich die Frage, inwieweit die Zielgruppe die Maßnahmen akzeptiert und davon profitiert.

Vor dem Hintergrund aktueller Debatten und Forschungsergebnisse zum politischen und gesellschaftlichen Engagement von Jugendlichen (zum Beispiel die "Shell Jugendstudie 2010" oder die Zusatzerhebung "Engagement 2.0" der DJI-Studie "Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten" AID:A) interessieren die Fachpraxis, die Politik und die Forschung darüber hinaus, inwieweit es gelingt, junge Menschen zu erreichen, die kaum gesellschaftlich aktiv sind und die als weniger bildungsorientiert gelten. Ungeachtet aller Bemühungen, junge Menschen für ein gesellschaftliches Engagement zu begeistern, wird der Demokratiepädagogik oft vorgeworfen, vor allem bildungsaffine Heranwachsende zu erreichen, die ohnehin zu den gesellschaftlich und sozial Aktiven zählen.

Zu den Fragen der Akzeptanz und des Nutzens von Präventionsprojekten begann das DJI 2011 eine Studie mit bundesweit über 2.000 Jugendlichen, die in sogenannten Lokalen Aktionsplänen (LAP) im Bundesprogramm "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" an pädagogischen Einzelmaßnahmen teilgenommen hatten. LAP sind vor Ort ausgearbeitete Konzepte von Kommunen und Akteuren der Zivilgesellschaft (etwa Kirchen), die darauf abzielen, tolerantes und demokratisches Denken und Verhalten vor allem bei Jugendlichen zu fördern. Die Untersuchung von Projekten in LAP ist besonders interessant, weil sie als kommunale Strategien zur Demokratieförderung konzipiert sind und deshalb der pädagogischen Arbeit mit kaum oder nicht engagierten Kindern und Jugendlichen eine besondere Aufmerksamkeit schenken (sollten). Diese Absicht zeigt sich auch darin, dass etwa zwei Drittel der erfassten Projekte das Ziel der "sozialen Integration" ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfolgten.


Jugendliche lernen, Probleme besser zu lösen

Seit dem Start der schriftlichen Befragung wurden die Rückmeldungen von rund 2.200 Heranwachsenden in mehr als 200 Projekten ausgewertet. 90 Prozent der Befragten waren zwischen 12 und 19 Jahre alt, das Geschlechterverhältnis war nahezu ausgewogen. Etwa die Hälfte der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen (52 Prozent) gab an, in ihrer Freizeit im gesellschaftlichen, politischen oder sozialen Bereich aktiv zu sein.

Diese Zahl entspricht dem Anteil der gesellschaftlich aktiven Jugendlichen, die auch die AID:A-Zusatzerhebung "Jugendliche Aktivitäten im Wandel. Gesellschaftliche Beteiligung und Engagement in Zeiten des Web 2.0" bestätigt (Begemann/Bröring/Sass 2011, S. 16). In der Auswertung zeigte sich, dass die Projekte bei den meisten Teilnehmenden einen Erkenntniszuwachs bewirkten. 85 Prozent der Heranwachsenden gaben an, etwas Neues gelernt zu haben. Rund zwei Drittel hatten das Gefühl, nicht nur ihre Handlungs- und Problemlösungsfähigkeiten verbessert zu haben, sondern das erarbeitete Wissen und die erworbenen Fertigkeiten auch unmittelbar im Alltag anwenden zu können. Die Zufriedenheit mit den Projektinhalten und der Projektdurchführung bewerteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einer sechsstufigen Notenskala im Durchschnitt mit "gut" (2,0). Drei Viertel von ihnen würden die besuchte Veranstaltung weiterempfehlen.

Ein Großteil der untersuchten Projekte wurde von freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe umgesetzt und fand an der Schnittstelle von schulischer und außerschulischer Pädagogik statt. Daher ist es interessant, die Frage zu klären, wie sich die Bewertungskategorie "Partizipation" im Urteil der Teilnehmenden widerspiegeln würde. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden unter anderem gefragt, ob sie freiwillig an dem Projekt teilgenommen hatten, wie sie in die Auswahl und Vorbereitung eingebunden wurden und ob die Projektdurchführenden auf die Wünsche und Bedürfnisse der Jugendlichen eingegangen waren.

Rund 60 Prozent der Befragten bestätigten diesen letzten Punkt - etwa wenn in einem Projekt zum Thema Antisemitismus der palästinensische Migrationshintergrund von teilnehmenden Mädchen und Jungen und damit verbunden der Nahost-Konflikt thematisiert wurde - und vergaben für die Durchführung der Projekte im Mittel die Schulnote 1,8. Heranwachsende, die den Eindruck hatten, dass ihre Wünsche keine angemessene Berücksichtigung fanden, benoteten die Projektumsetzung mit 2,4 deutlich schlechter.

Entsprechende Unterschiede zeigten sich auch in Bezug auf den wahrgenommenen Lernerfolg: Diejenigen Jugendlichen, die ihre Wünsche und Bedürfnisse bei der Durchführung der Projekte berücksichtigt sahen, bewerteten ihren subjektiven Wissens- und Kompetenzzuwachs deutlich höher als diejenigen, die den Eindruck hatten, dass kaum auf ihre Bedürfnisse eingegangen worden war. Die Unterschiede zwischen gesellschaftlich oder sozial aktiven beziehungsweise nicht-aktiven Heranwachsenden hinsichtlich ihrer Zufriedenheit mit den Projekten und ihres Lernerfolgs sind moderater, aber ebenfalls statistisch bedeutsam: Jugendliche, die in ihrer Freizeit gesellschaftlich aktiv sind, bewerteten sowohl die Maßnahmen als auch ihren Lernerfolg besser als nicht-aktive.

Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die Zufriedenheit mit den Projekten und der subjektiv empfundene Lernerfolg der Jugendlichen besonders von zwei Faktoren abhängen: erstens von der Möglichkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, das Projekt mitzugestalten (Bewertungskategorie "Partizipation": Wurde auf die Wünsche der Jugendlichen eingegangen?); und zweitens davon, ob sie schon "gesellschaftlich aktiv/engagiert" waren (Jugendliche, die sich sowieso schon gesellschaftlich engagierten, bewerteten die Projekte positiver).

Im Vergleich beider Faktoren zeigte sich allerdings, dass der "Berücksichtigung von Wünschen und Bedürfnissen" ein höheres Gewicht zukommt als dem gesellschaftlichen Engagement und damit indirekt der Bildungsorientierung der Jugendlichen (Solga/Dombrowski 2009): Es spielt zwar eine Rolle, ob Jugendliche schon gesellschaftlich aktiv (und damit in der Regel bildungszugewandter) sind, aber es ist nicht der Haupteinflussfaktor auf den Lernerfolg der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Für die pädagogische Praxis ergibt sich daraus der Hinweis, dass Partizipation möglicherweise eine gewisse kompensatorische Funktion gegenüber dem Faktor "Engagement" (und damit Bildung) haben kann.


Höhere Beteiligung bedeutet größeren Lernerfolg

Für die Gestaltung demokratiepädagogischer Angebote, die insbesondere bildungsferne, gesellschaftlich wenig aktive Jugendliche nicht nur erreichen, sondern auch integrieren wollen, sind demnach drei Herausforderungen zu meistern: Erstens gilt es, an die Interessen, Fragen und Probleme der Kinder und Jugendlichen anzuknüpfen, um sie für Bildungsprozesse zu motivieren ("Subjekt- und Handlungsorientierung"). Zweitens sind Rahmenbedingungen notwendig, die es erlauben, pädagogische Beziehungen aufzubauen, die von gegenseitiger Akzeptanz geprägt sind - etwa in Bezug auf eine gewisse zeitliche, inhaltliche und methodische Offenheit (Erben/Schlottau/ Waldmann 2012). Drittens sollte eine "Sonder"-Pädagogik, die ausschließlich auf benachteiligte Kinder und Jugendliche zielt, möglichst die Ausnahme sein. Im Interesse von Perspektivenerweiterung und sozialer Integration geht es darum, Brücken zwischen den Lebenswelten von gesellschaftlich aktiven und nicht-aktiven Heranwachsenden zu schlagen ("Inklusionsorientierung").

Dies verweist auf die Potenziale des Handlungsraums Schule, der durch den derzeitigen Trend zur Ganztagsbildung noch einmal zusätzliches Gewicht erhält. Die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte besteht dabei darin, Demokratielernen unter der Bedingung von heterogenen Bildungsvoraussetzungen der Heranwachsenden zu gestalten. Ein zentraler und immer wieder neu einzufordernder Gestaltungsfaktor ist dabei, so die Ergebnisse der DJI-Studie, die pädagogische Praxis teilhabeorientiert auszurichten. "Inklusion durch Partizipation" (Merkel/Petring 2012) verlangt von den Projekten, die lebensweltlichen Erfahrungskontexte, Fähigkeiten sowie Interessen der Kinder und Jugendlichen direkt aufzunehmen und ihnen Gelegenheiten zu geben, ihre milieubedingten Weltsichten erweitern zu können (Holzbrecher 2008).

Dabei geht es zum einen darum, entsprechende "Lernlandschaften" zu gestalten, in denen beispielsweise Ansätze des "Peer-Lernens" oder des "Service-Learning", bei dem gesellschaftliches Engagement von Schülerinnen und Schülern mit dem Unterrichtsstoff verknüpft wird, verwirklicht werden. Zum anderen stehen die pädagogischen Fachkräfte vor der Aufgabe, ihre Kompetenzen im Umgang mit Heterogenität stetig weiterzuentwickeln.


DIE AUTORINNEN, DER AUTOR

Dr. Ursula Bischoff und Eva Zimmermann sind wissenschaftliche Referentinnen, Frank König ist wissenschaftlicher Referent in der Fachgruppe "Politische Sozialisation und Demokratieförderung" der DJI-Außenstelle Halle (Saale) und dort in der Evaluation des Bundesprogramms "TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN" tätig.
Kontakt: bischoff@dji.de, ezimmermann@dji.de, fkoenig@dji.de


LITERATUR

BEGEMANN, MAIK-CARSTEN/BRÖRING, MANFRED/SASS, ERICH (2011): Eine Studie über neue Formen des Engagements. In: Jugendpolitik, Heft 1, S. 16-21

ERBEN, FRIEDRUN/SCHLOTTAU, HEIKE/WALDMANN, KLAUS (Hrsg.; 2012): "Wir haben was zu sagen!" Politische Bildung mit sozial benachteiligten Jugendlichen. Schwalbach/Ts.

HOLZBRECHER, ALFRED (2008): Handlungsfelder im Umgang mit Heterogenität. In: Seminar, Heft 4, S. 6-11

MERKEL, WOLFGANG/PETRING, ALEXANDER (2012): Politische Partizipation und demokratische Inklusion. In: Mörschel, Tobias/Krell, Christian (Hrsg.): Demokratie in Deutschland. Zustand - Herausforderungen - Perspektiven. Wiesbaden, S. 93-119

SHELL 2010 (2010): Im Internet verfügbar unter
www.shell.de/aboutshell/our-commitment/shell-youth-study/2010.html (Zugriff: 12.11.2013)

SOLGA, HEIKE/DOMBROWSKI, ROSINE (2009): Soziale Ungleichheiten in schulischer und außerschulischer Bildung. Stand der Forschung und Forschungsbedarf. Hans-Böckler-Stiftung, Arbeitspapier 171. Düsseldorf


DJI Impulse 4/2013 - Das komplette Heft finden Sie im Internet als PDF-Datei unter:
www.dji.de/impulse

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2013 - Nr. 104, S. 20-22
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-140, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de
 
DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos unter www.dji.de/impulsebestellung.htm
abonniert oder unter vontz@dji.de schriftlich angefordert werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2014