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FORSCHUNG/098: Wenn das Schreiben zur Qual wird... (highlights - Uni Bremen)


"highlights" - Heft 18 / Mai 2007
Informationsmagazin der Universität Bremen

Wenn das Schreiben zur Qual wird.....

.... interessiert dies auch die "Angewandte Linguistik": An der Universität Bremen befassen sich Sprachwissenschaftler mit den Ursachen und Folgen von Schreibschwierigkeiten


Da liegt es nun vor einem das weiße Blatt Papier. Oder es ist auf dem Bildschirm abgebildet - und das Blinken des Cursors kommt einem plötzlich beinahe ungeduldig vor, als warte das Dokument auf die ersten meisterhaften Zeilen. Doch selbst Leute "vom Fach" wie Journalisten oder Schriftsteller "kämpfen" mit ihren Texten. Für die meisten Menschen sind Schreibhemmungen oder Schreibblockaden ohnehin eine der größten Plagen im Alltag. Sich schriftlich verständlich auszudrücken, ist für viele eine nur äußerst mühsam zu erwerbende Kunst. Warum fällt den meisten Menschen das Schreiben so schwer? Woher rührt die Angst vor dem Texten? Welche mentalen Prozesse laufen beim Schreiben eines Textproduktes ab und wie werden diese Prozesse von verschiedenen Faktoren beeinflusst? Welche Rolle spielen Texttyp oder Textlänge, Intelligenz, Sprachkompetenz und Schreiberfahrung, die Benutzung von Papier, Computer oder Diktiergerät? Mit diesen Fragen befasst sich unter anderem die "Angewandte Linguistik" - so der Name des Forschungsbereiches von Professor Hans Krings und seiner Arbeitsgruppe. Die Wissenschaftler der Universität Bremen wollen die Zusammenhänge rund um das Thema Schreiben besser verstehen und daraus praktische Handlungsempfehlungen ableiten.


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Dumm gelaufen: "Wir haben uns das Spiel des Jahres gegönnt! Leider haben wir es (zu mehreren) nicht geschafft, das Spiel aufgrund der schlecht verständlichen Gebrauchsanweisung zu spielen", heißt es in eine Rezension im Internet. Was hier im Bereich der Anleitungen für Verdruss sorgt, findet sich in allen Praxisfeldern des Schreibens wieder: Technische Dokumentationen, Behörden- und Verwaltungsschreiben, medizinische und pharmazeutische Texte, juristische Formulierungen, Lehrtexte, Schulbücher, Fernstudien, Wissenschaftskommunikation und Massenmedien schaffen es oftmals nicht, klar und verständlich zu sein. Die andere Seite der Medaille beim Schreiben ist die Angst davor: Sogar erfolgreiche Schriftsteller, Künstler des Wortes, haben zum Teil unter Schreibblockade gelitten. Warum fällt das Schreiben so schwer?

Professor Hans Krings hat eine einleuchtende Erklärung: "Weil beim Schreiben derart viele Subprozesse ablaufen, dass wir sie nicht alle gleichzeitig in den Griff bekommen können." Anders als bei hochgradig automatisiert ablaufenden Dingen wie Autofahren, Spazierengehen oder Tennisspielen sei der Mensch beim Schreiben "sprachlich und intellektuell sehr stark gefordert". Rund 30 wichtige Teilprozesse gibt es beim Schreiben: Quellen finden, lesen und auswerten, Lesererwartungen und Vorwissen berücksichtigen, flüssig und sprachlich richtig formulieren, Mängel in der Textstruktur und am Inhalt erkennen und verbessern, den Leser fesseln und den Text illustrieren, eigene Konzentration und Motivation aufrecht erhalten ..... "Schreiben ist eine sekundäre Kommunikationsform", nennt Krings einen weiteren Grund für die Schwierigkeit, sich dabei verständlich auszudrücken. "Bevor wir den ersten Text schreiben, können wir schon hervorragend mündlich kommunizieren. Dann erst lernen wir ein kompliziertes, abstraktes Symbolsystem - die Schrift - und sollen uns damit ausdrücken können. Wobei natürlich niemand so schreiben soll, wie ihm 'der Schnabel gewachsen' ist." Und es gibt weitere Faktoren: Schreiben ist "zeitversetzte" Kommunikation. Der Text wird erst später gelesen. Er hat oft mehrere, nicht selten unbekannte oder unterschiedliche Adressaten - etwa bei den Bedienungsanleitungen, die an eine sehr heterogene Gruppe gerichtet sind. "Außerdem ist beim Schreiben mehr Verbindlichkeit im Spiel", so Krings. Denn was bedeutet es, wenn man schreibt, dass die Wohnung im guten Zustand übergeben wird? "Bei Vertragstexten wird daher um jedes Wort gefeilscht", so der Hochschullehrer.

Schreibforschung ist ein Teilgebiet der Psycholinguistik, einer Disziplin an der Schnittstelle zwischen Sprachwissenschaft und Psychologie - es geht um die Komplexität der Teilprozesse "in den Köpfen". Um an die Datengrundlage zu kommen, nutzen die Wissenschaftler sowohl Offline- als auch Online-Verfahren. Produktanalysen befassen sich mit den Schreibprodukten samt Zwischenergebnissen wie Gliederungen, Notizen und Konzepten. Nicht seiten werden ähnliche Produkte des gleichen oder anderer Schreiber miteinander verglichen. Einen Einblick geben auch Interviews, Fragebögen und Schreibtagebücher, die die untersuchten Personen führen. Die Online-Verfahren umfassen Beobachtungsprotokolle, Videoaufzeichnungen, Computerprotokolle samt "Tastaturmitschnitten", das Verfolgen von Augenbewegungen, physiologische Messungen (EEG) und Spezialverfahren mit unsichtbarer Tinte. Wichtig sind auch verbale Daten: "Lautes Mitsprechen oder -denken während des Schreibens und Dialogprotokolle verraten uns besonders viel über die individuellen Prozesse des Schreibers", so Hans Krings.

Die Anzahl der Fragen rund um dieses Gebiet ist groß: Welche Wirkung haben äußere Einflüsse? Gibt es bestimmte "Schreibtypen" - drücken sich beispielsweise extrovertierte Texter besser aus als introvertierte? Wie viel Zeit wird für welche Schritte verwendet, wer überarbeitet seinen Text wie oft? "Man sollte annehmen, dass erfahrene Schreiber näher an der Endfassung sind und daher ihre Texte seltener überarbeiten als unerfahrene. Tatsächlich ist es umgekehrt", nennt der Bremer Professor ein Forschungsergebnis.

Neben dieser eher Grundlagen-orientierten wissenschaftlichen Arbeit gibt es die anwendungsbezogene Forschung: Wie kann man Schreibprozesse für die Schreiber erleichtern? Wie lehrt man "richtiges Schreiben", welche Strategien verschaffen dem geplagten Texter Erleichterung? Im Auftrag des Bremer Senators für Bildung und Wissenschaft hat die Arbeitsgruppe um Hans Krings gerade ein Vorhaben für und mit einer sehr bedürftigen Zielgruppe durchgeführt. "Schreiben an der Uni: Maßnahmen zur Förderung des akademischen Schreibens für Studierende" lautet der Titel. "Die Zahl junger Menschen, die aufgrund von Schreibblockaden ihr Studium später abschließen oder sogar abbrechen, ist wahrscheinlich größer als gedacht. Da gibt es eine hohe Dunkelziffer", so Krings. Kein Wunder: "Die Schule bereitet auf diese Art des wissenschaftlichen Schreibens nicht vor und Einführungskurse in der Uni zielen an den Kernproblemen des Schreibens meist vorbei." Er und seine Mitarbeiter haben auf der Grundlage von Interviews und Fragebögen jetzt diesen Teilbereich genauer durchleuchtet. Ergebnis ist neben neuen Erkenntnissen aus dieser "Schreibszene" ein computergestütztes Programm: Der "Schreibtutor", der im Sommer im Internet allgemein zugänglich sein soll, gibt für verschiedene Phasen des Schreibens wichtige Ratschläge.

Vielleicht ist dies ein erster Schritt, damit den Studierenden ihre Schriftlichen Arbeiten an der Uni leichter gelingen. Krings' Traum ist es, mit "Schreibzentren" an Universitäten das kreative Texten besser zu lehren: "Allein in den USA gibt es mehr als 300 Studiengänge für 'creative writing'. In Deutschland einen einzigen."


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32 Schreibempfehlungen

Professor Hans Krings hat auf der Basis seiner Forschungen und Erfahrungen eine kleine Auswahl von Strategien zur Erleichterung schwieriger Schreibaufgaben zusammengetragen. Das Dokument mit dem Titel "Die Mühen des Schreibens reduzieren - 32 ausgewählte Empfehlungen" können Sie im Internet unter dieser Adresse einsehen und herunterladen:
www.uni-bremen.de/campus/campuspress/highlights/schreibempfehlungen.pdf

Kontakt:
Prof. Dr. Hans Peter Krings
Angewandte Linguistik
Universität Bremen, Fachbereich 10
Postfach 330440, D-28334 Bremen
Tel. (+49) 0421/218-9590
E-Mail krings@uni-bremen.de
www.cms.fb10.uni-bremen.de/lehrpersonal/krings.aspx


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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
9. Jahrgang, Heft 18 / Mai 2007, S. 14-17
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Universitäts-Pressestelle
Postfach 330440, 28334 Bremen
Telefon: 0421/218-27 51, Fax: 0421/218-42 70
E-Mail: presse@uni-bremen.de
WWW: www.uni-bremen.de/campus/campuspress/highlights

"highlights" erscheint zweimal jährlich und ist erhältlich bei der Universitäts-Pressestelle.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2007