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MELDUNG/296: Kooperation ohne Worte (idw)


Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik - 15.12.2015

Kooperation ohne Worte

Was uns das Ziehen an einem Seil über die Kooperationsbereitschaft eines anderen sagt


Tübingen, 15.12.15. Interaktion mit anderen Menschen ist ein wichtiger Teil unseres Alltaglebens. Wir sind oft darauf angewiesen, mit anderen zusammenzuarbeiten - aber wie beurteilen wir, wie kooperativ jemand ist? Forscher vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik haben herausgefunden, dass wir einen guten Kooperationspartner selbst dann erkennen, wenn wir ihn weder sehen noch hören. Um soziale Informationen über jemanden zu sammeln, reicht uns offenbar bereits das Wissen, auf welche Art der andere an einem Seil zieht.


Foto: © Dong-Seon Chang / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Tübingen

Zwei Versuchspersonen im Experiment: Sie können sich weder sehen noch hören - Kooperation funktioniert nur über das Seil.
Foto: © Dong-Seon Chang / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Tübingen

Im täglichen Leben beurteilen wir unser Gegenüber durch verbale oder nonverbale Kommunikation: Wir sehen was er tut, oder wir hören ihm zu, wenn er uns in seine Pläne einweiht. Was aber, wenn Kommunikation nahezu unmöglich ist?

Wissenschaftler aus der Abteilung Wahrnehmung, Kognition und Handlung von Prof. Heinrich Bülthoff verbanden in einem Verhaltensexperiment zwei Personen mit einem Seil. Getrennt durch einen Sichtschutz führten sie eine gemeinsame Aufgabe aus: Jeder sollte an einem Computer Punkte sammeln. Das ging jedoch nicht gleichzeitig, denn das Seil war so kurz, dass jeweils nur einer seine Tastatur erreichte. Um die Aufgabe durchführen zu können, war eine gute motorische Koordination gefragt - natürlich ohne sich vorher abzusprechen. Nach dem Versuch befragten die Forscher die Teilnehmer zu ihrem Interaktionspartner.

Es stellte sich heraus, dass die Probanden vorgeprägte Erwartungen an das Verhalten ihres Partners hatten. Sie gingen davon aus, dass sich der verbundene Mitstreiter genauso verhalten würde, wie sie selbst. Offenbar verhielten sich die meisten fair: Die Teilnehmer-Pärchen neigten sehr oft dazu, sich beim Punktesammeln abzuwechseln. Nach diesem Kriterium fiel auch die anschließende Beurteilung aus: Die Kooperationsbereitschaft des Partners wurde danach bewertet, wie willig er sich abwechselte. Aber nicht nur die Zusammenarbeit wurde aufgrund des Seilzugs eingeschätzt - die Befragten zogen auch persönliche Schlüsse. So etwa über die Körpergröße oder das Geschlecht des unsichtbaren Interaktionspartners.

Wurden die Erwartungen der Probanden erfüllt und das Punktesammeln erfolgte gerecht, nahmen sie den anderen als kooperativ, weiblich und eher klein wahr. Machte der Seilpartner jedoch was er wollte, so schätzten sie ihn eher als egoistisch, männlich und größer ein.

Die Studie zeigte, dass Menschen selbst in Situationen ohne Kommunikationsmöglichkeit soziale Informationen sammeln und Schlüsse über die Persönlichkeit des anderen ziehen. Vor allem scheint Reziprozität - ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Verhalten - ein wichtiges Merkmal für die Beurteilung von Interaktionspartnern zu sein.

In Zukunft wird es immer mehr Situationen geben, in denen die Zusammenarbeit zwischen Menschen oder auch zwischen Mensch und Maschine gefragt ist. Zu wissen, wie eine perfekte Kooperation funktionieren kann, wäre dabei ein großer Vorteil. Rettungsroboter am Unfallort müssen beispielsweise miteinander und auch mit Menschen kooperieren können. Dong-Seon Chang, der die Idee zu der Studie hatte, sagt: "Zu verstehen, wie Menschen sich ohne Worte und Sichtkontakt am besten koordinieren, wäre eine wichtige Erkenntnis, um Mensch-Maschine-Interaktionen zu verbessern." Weitere Studien könnten diese Zusammenhänge noch genauer aufdecken.


Abbildung: © Dong-Seon Chang / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Tübingen

Experimentaufbau: Die Probanden müssen eine gemeinsame Aufgabe ausführen.
Abbildung: © Dong-Seon Chang / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Tübingen


Originalpublikation:
Dong-Seon Chang, Franziska Burger, Heinrich H Bülthoff and Stephan de la Rosa; The Perception of Cooperativeness Without Any Visual or Auditory Communication; i-Perception December 2015
http://ipe.sagepub.com/content/6/6/2041669515619508.full.pdf+html


Das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik forscht an der Aufklärung von kognitiven Prozessen auf experimentellem, theoretischem und methodischem Gebiet. Es beschäftigt rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 40 Ländern und hat seinen Sitz auf dem Max-Planck-Campus in Tübingen. Das MPI für biologische Kybernetik ist eines der 82 Institute und Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.


Weitere Informationen unter:
http://tuebingen.mpg.de/en/cybernetics-news-2/detail/article/kooperation-ohne-worte/134.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution632

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Christina Bornschein, 15.12.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2015

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