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MELDUNG/302: Zahlen erkennt das Gehirn mit beiden Hälften (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 27.01.2016

Zahlen erkennt das Gehirn mit beiden Hälften


Forscher der Universität Jena und des Jenaer Universitätsklinikums lokalisieren eine wichtige Region zur visuellen Verarbeitung von Zahlen im menschlichen Gehirn und zeigen, dass diese in beiden Hirnhälften aktiv ist. Im Journal of Neuroscience veröffentlichen sie hochaufgelöste Magnetresonanz-Aufnahmen dieser Region und widerlegen damit bisherige Erkenntnisse, wonach die Zahlenerkennung allein in der rechten Hemisphäre erfolgt (DOI:10.1523/JNEUROSCI.2129-15.2016).


Im menschlichen Gehirn herrscht Arbeitsteilung. Auch wenn sich unser Denkorgan durch erstaunliche Flexibilität und Plastizität auszeichnet, übernehmen unterschiedliche Bereiche in der Regel unterschiedliche Aufgaben. Während Wörter und Sprache vorrangig in der linken Hemisphäre verarbeitet werden, ist für das Zahlenverständnis überwiegend unsere rechte Gehirnhälfte zuständig. Diese Arbeitsteilung, so die bisherige Vermutung, rühre auch daher, dass die grundlegenden Prozesse des Erkennens von Buchstaben und Zahlen ebenfalls unterschiedlich in den Hirnhälften lokalisiert sind. Doch das ist nicht der Fall, zumindest nicht, was die visuelle Verarbeitung von Zahlen angeht.

Neurowissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Jenaer Universitätsklinikums haben jetzt herausgefunden, dass die visuelle Verarbeitung von Zahlen in einer sogenannten "visual number form area" (NFA) erfolgt - und zwar in beiden Hirnhälften gleichermaßen. In der Fachzeitschrift "Journal of Neuroscience" veröffentlichten die Jenaer Forscher erstmals hochaufgelöste Magnetresonanz-Aufnahmen, die die Aktivität dieser schwer zugänglichen Region im Gehirn gesunder Probanden zeigt und widerlegen damit bisherige Erkenntnisse, wonach die Zahlenerkennung allein in der rechten Hirnhälfte erfolgt.

In ihrer Studie haben Dr. Mareike Grotheer und Prof. Dr. Gyula Kovács vom Institut für Psychologie der Uni Jena sowie Dr. Karl-Heinz Herrmann aus der Radiologie (IDIR) des Jenaer Uniklinikums den Versuchsteilnehmern jeweils für Sekundenbruchteile Zahlen, Buchstaben und Abbildungen von Alltagsgegenständen gezeigt und währenddessen ihre Hirnaktivität im Magnetresonanztomographen (MRT) aufgezeichnet. Dabei konnten sie die Region, in der die visuelle Verarbeitung von Zahlen abläuft, eindeutig eingrenzen. Das kleine Areal an der Unterseite des linken und rechten Schläfenlappens reagiert bei der Präsentation von Ziffern mit erhöhter Aktivität. Buchstaben oder andere Abbildungen, aber auch verfremdete Zahlen führen zu einer deutlich geringeren Hirnaktivität in diesem Bereich.

Obwohl das Jenaer Team aus vorherigen Untersuchungen anderer Forscher bereits wusste, wo es nach dem Areal suchen musste, steckt in der nun vorgelegten Studie eine Menge Entwicklungsarbeit. "Diese Region war bislang eine Art blinder Fleck im menschlichen Gehirn", sagt Mareike Grotheer. Der Grund: Versteckt unter Ohr und Gehörgang, umgeben von Knochen und Luft, wiesen bisherige MRT-Scans dieses Bereichs zumeist zahlreiche Artefakte auf und verhinderten so detaillierte Untersuchungen.

Für ihre Studie haben die Jenaer Wissenschaftler nun einen leistungsstarken 3-Tesla-MRT-Scanner des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie (IDIR) des Jenaer Uniklinikums genutzt, der sehr hochaufgelöste dreidimensionale Abbildungen des Gehirns der Probanden liefert, die nur wenig Artefakte enthalten. Diese Aufnahmen wurden zudem räumlich geglättet und so das übriggebliebene "Rauschen" entfernt. Mit dieser Methode eröffnen die Neurowissenschaftler jetzt auch anderen Forschern die Möglichkeit für Untersuchungen in dieser bislang "unterbelichteten" Hirnregion. "Hier werden nicht nur Zahlen erkannt, sondern auch Gesichter und Objekte", weiß Prof. Kovács.

Original-Publikation:
Grotheer M, Herrmann KH, and Kovács G.:
Neuroimaging Evidence of a Bilateral Representation for Visually Presented Numbers,
The Journal of Neuroscience 2016, 36(1): 88-97,
DOI:10.1523/JNEUROSCI.2129-15.2016


Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution23

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Dr. Ute Schönfelder, 27.01.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2016

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