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SOZIALES/108: Beziehungsweisen (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 1-3/2008, Januar bis März 2008

Beziehungsweisen

Wie Paare Nähe und Distanz über die Form des Zusammenlebens regulieren


Früher war alles einfach: Man wurde ein Paar, heiratete, gründete einen gemeinsamen Hausstand und blieb bis ans Lebensende zusammen. Heute geht der Trend eindeutig zum "Lebensabschnittsgefährten", Heirat muss nicht sein, und Paare denken darüber nach, ob sie unter einem gemeinsamen Dach leben wollen. Immer mehr Menschen entscheiden sich dagegen. Psychologen untersuchen nun erstmals ihre Motive.


Es gibt sogar schon einen Begriff für Beziehungen, bei denen die Partner freiwillig nicht gemeinsam wohnen: LATats. Die Abkürzung steht für "living apart together" - getrennt zusammenleben. Mittlerweile hält es in Deutschland fast jedes sechste Paar so. Das sind annähernd genauso viele, wie unverheiratet zusammen wohnen. Als LATs gelten dabei aber nur solche Beziehungen, bei denen die Partner so nah beieinander wohnen, dass sie sich problemlos täglich sehen könnten. Nicht dazu gerechnet werden Paare, die - etwa aus beruflichen Gründen - getrennt wohnen müssen. Repräsentative Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigen, dass sich überwiegend Menschen ab einem Alter von über 40 Jahren für diese Lebens- und Beziehungsform entscheiden und sie als langfristige und attraktive Alternative betrachten.

Nun widmen sich erstmals in einer groß angelegten Studie Psychologen dem Thema. Zusammen mit Wissenschaftlern der Humboldt-Universität möchte Birk Hagemeyer vom Institut für Psychologie der Uni Potsdam herausfinden, welche teils unbewussten Motive die Menschen bei der Entscheidung für eine LAT-Beziehung leiten. Zudem wollen sie erforschen, ob es einen Zusammenhang zwischen grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen und der Wahl der Partnerschaftsform gibt.


Nähe und Distanz

"In jeder Beziehung gibt es ein bestimmtes Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz, zwischen Intimität und Autonomie. Wo es sich einpegelt, bestimmen die Partner entsprechend ihren Bedürfnissen", erläutert Birk Hagemeyier. Es handelt sich dabei jedoch uim implizite, das heißt teilweise unbewusste Motive. Deshalb können die Psychologen die Probanden nicht direkt danach befragen. Sie bedienen sich deshalb eines "Tricks". Den Probanden werden Fotos und schematische Bilder gezeigt, die Paare in verschiedenen Situationen zeigen. Die Teilnehmer sollen zu jedem Bild Aussagen darüber treffen, was die abgebildeten Personen ihrer Meinung nach gerade denken und fühlen. Der Test fragt also auf indirektem Weg danach, welches der beiden Bedürfnisse bei den Testteilnehmern jeweils stärker ausgeprägt ist.

Birk Hagemeyer hat in den kürzlich abgeschlossenen Voruntersuchungen aus den Beschreibungen der Probanden ein Auswertungssystem entwickelt. Dafür identifiziert er die Begriffe, die Probanden häufig verwenden, wenn sie Nähe beziehungsweise Distanz ausdrücken wollen. Aus vielen Bildern hat er zudem diejenigen ausgesucht, die sich für die Studie am besten eignen. Zusätzlich zu den Bildbeschreibungen sollen die Studienteilnehmer auch einen Fragebogen ausfüllen, mit dem sich ihre individuelle Ausprägung der fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit, der so genannten "Big Five", bestimmen lässt. Dazu gehören beispielsweise die Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Außerdem wollen die Psychologen von den LAT-Paaren wissen, wie sie ihre Beziehung gestalten und erleben, also beispielsweise, wie oft sie sich treffen und wie zufrieden sie mit der gemeinsam verbrachten Zeit sind.


Stadtleben macht frei

In den nächsten Monaten wollen Birk Hagemeyer und seine Kollegen nun insgesamt 800 Paare im Alter zwischen 18 und 67 Jahren befragen. Jeweils die Hälfte der Probanden suchen sie in Berlin-Charlottenburg und in einem ländlichen, überwiegend katholischen Kreis in Niedersachsen. Auf diese Weise können sie auch die Einflüsse des sozialen Umfeldes ermitteln. Die Psychologen vermuten, dass der soziale Druck in der Stadt geringer ist und sich deshalb Persönlichkeitsmerkmale freier entfalten können und damit auch die Wahl der Partnerschaftsform.


Mehr Sex?

Darüber hinaus haben die Wissenschaftler weitere Hypothesen. "Wir nehmen an, dass Menschen, die sich für eine LAT-Beziehung entscheiden, mehr Autonomie brauchen als andere", sagt der Psychologe. "Zudem gehen wir davon aus, dass implizite Motive ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal sind, unabhängig vom Alter und dem jeweiligen Partner. Auch zum Einfluss auf das Sexualleben der Paare haben die Forscher eine Theorie: "Die räumliche Distanz geht zwar auf Kosten von Nähe und Vertrautheit. Das kann aber gleichzeitig die Leidenschaft füreinander steigern, denn das Unvertraute ist sexuell anziehender als das Vertraute", erklärt Birk Hagemeyer. "Dies lässt sich auch evolutionsbiologisch begründen." Ob die Wissenschaftler mit ihren Hypothesen richtig liegen, wird sich im Sommer abzeichnen. Dann sollen die ersten Ergebnisse vorliegen. (bm)


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 1-3/2008,
Januar bis März 2008, S. 39
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2008