Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → PSYCHOLOGIE

SOZIALES/117: Verhalten sich ältere Väter anders als jüngere? (DJI)


DJI Bulletin 83/84 - 3/4/2008
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Die Vaterrolle aus Sicht von Vätern
Verhalten sich ältere Väter anders als jüngere?

Von Angelika Tölke


Franz Beckenbauer, Theo Waigel, Gregor Gysi, Johannes Rau, Konstantin Wecker sind Männer, die alle mit über 50 Jahren (nochmals) »stolzer Vater« wurden. Sie sind in der Öffentlichkeit exponierte Männer und werden in den Medien mit Vorliebe zu Schlagzeilen und Aufhängern.
Familienforscher und Psychologen gewinnen mitunter den späten Vätern positive Seiten ab. So stellt beispielsweise der Wiener Psychologe Harald Werneck fest, dass sich die »ergrauten Papas« mehr Zeit für die Kinder nähmen und mehr Emotionen investierten als ihre jungen Vaterkollegen. Aufgrund ihrer Lebenserfahrung seien sie stärker gefeit gegen die Verführungen der Karriere sowie »dankbar für jede Minute in der Nähe der Kleinen, denn sie wissen, dass ihre Zeit beschränkt ist« (Der Spiegel 12/1999).
Wie aber verhalten sich ältere Väter gegenüber ihren Kindern bzw. ihren »selbst gemachten Enkeln« (Eugen Roth)? Kommt es neben dem Aufschub der Elternschaft zu einer zeitlich stark verlagerten Vaterschaft? Dazu im Folgenden Ergebnisse aus einer wissenschaftlichen Studie.


Die »rush hour of life« muss auch von Vätern bewältigt werden

In der Altersspanne zwischen Ende 20 und Mitte 30 müssen in einer kurzen Zeitspanne von fünf bis sieben Jahren Entscheidungen getroffen und realisiert werden, die mehr oder minder das ganze weitere Leben bestimmen: den Partner fürs Leben finden, den richtigen Job bekommen, eine sichere Anstellung erreichen, Kinder kriegen, möglicherweise noch die älteren Eltern pflegen, ferner, wenn möglich, ein Eigenheim bauen. Dieser zeitliche Engpass verlangt von Frauen und Männern gleichsam hohe Anforderungen.

Die neuen Leitbilder für Partnerschaften, die auf Gleichheit abzielen, sowie für eine Vaterschaft, die eine aktive Rolle im Alltag des Kindes einfordern, stoßen auf Leistungsanforderungen des Arbeitsmarktes und des Berufslebens, die einen vollen und flexiblen Einsatz bedingen. Lange Phasen der Unsicherheit und Instabilität kennzeichnen nicht nur den Einstieg in das Erwerbsleben, auch der weitere berufliche Werdegang bietet kaum noch vorgezeichnete Karrierewege und stellt häufig dauerhaft erhöhte Anforderungen an Flexibilität und Innovation (BMFSFJ 2006: Siebter Familienbericht).


Wie lässt sich die Vaterrolle aktiv umsetzen?

Durch die zeitliche Verschiebung einer Vaterschaft auf das letzte Drittel des Erwerbslebens, d. h. ab dem 50. Lebensjahr, könnte eine aktive Vaterrolle im Alltag prinzipiell leichter realisiert werden. Für die meisten betroffenen Männer ist dann der Höhepunkt der beruflichen Entwicklung erreicht oder bereits überschritten (mit Ausnahmen im höheren Management): Die Betreffenden fallen aus den betrieblichen Dynamiken der Beförderungen und Fortbildungen sowie aus den Stellenangeboten des Arbeitsmarktes aus Altersgründen heraus und müssen, können oder wollen Abstand von persönlich oder betrieblich immer wieder neu definierten beruflichen Zielen und Positionen nehmen.

Die Lebensprioritäten können sich in dieser Lebensspanne verlagern und einer Vaterschaft einen höheren Stellenwert als Lebenssinn geben. Damit konkurriert andererseits die Wahrnehmung, wonach der gesellschaftliche Wandel insbesondere in der jungen Lebensphase und von den jeweils nachrückenden Geburtsjahrgängen getragen wird. Demnach würde man Veränderungen in der Vaterrolle insbesondere bei jüngeren Vätern erwarten.


Ältere und jüngere Väter unterscheiden sich im Verhalten zu ihren Kindern

Analysen mit dem »Generations and Gender Survey« zeigen diesen Unterschied bei Vätern in Abhängigkeit von ihrem Lebensalter deutlich auf. Diese Erhebung wurde im Jahr 2005 im Auftrag des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB, Wiesbaden) an Frauen und Männern im Alter von 18 bis 79 Jahren durchgeführt.

Für diese Analysen werden »ältere Väter« als Männer zwischen 50 bis 64 Jahren eingestuft, die mindestens ein Kind unter sieben Jahren haben, mit dem sie gemeinsam in einem Haushalt leben und so den Alltag teilen.

»Aktive Väter« bedeutet, sie geben bei »ausgewählten Alltagsverrichtungen« an, dass sie

- verantwortlich Aufgaben übernehmen,
- aktiv etwas mit dem Kind unternehmen,
- Zeit für das Kind investieren.


Der Zusammenhang von Lebensalter und Engagement als Vater

Die Ergebnisse des »Generations and Gender Survey« bilden die Form des Buchstaben U (siehe Abb. 1):

Sowohl junge Väter (25 bis 34 Jahre) als auch ältere Väter (50 bis 64 Jahre) lassen sich aufgrund ihrer Angaben, welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten sie normalerweise im Alltag für ihr Kind übernehmen, als aktive Väter charakterisieren.

Väter im mittleren Alter (von 35 bis 49 Jahren) haben dagegen größere Schwierigkeiten, die vielfältigen Anforderungen des Familien- und Berufslebens zu vereinbaren. Gerade die Aktivitäten mit Kindern scheinen darunter zu leiden; diese Väter benennen signifikant weniger kindbezogene Aktivitäten als die jüngeren sowie die älteren Väter.

Die Tatsache, dass Väter mittleren Alters aus eigener Intention weniger mit ihren Kindern machen, scheint nicht plausibel. Sie sind eher mit strukturellen Widerständen bzw. mit einer Vielzahl und Vielfalt an Anforderungen gleichzeitig konfrontiert - was mit der »rush hour of life« erklärt werden kann.

Diese Altersgruppen sind nicht identisch mit den im Siebten Familienbericht auf die »rush hour« bezogenen Altersgruppen, da dieser die Entscheidungen sowie das Eintreten von Ereignissen innerhalb dieser Zeitspanne aufführt, während in den hier dargestellten Analysen die anschließende Lebensphase der Handhabung im Alltag Gegenstand ist.

In der mittleren Lebensphase, die für die meisten Menschen typischerweise die Familienphase ausmacht, ist es Vätern am wenigsten möglich, die Vaterrolle aktiv und mit der Verantwortungsübernahme zu gestalten, ohne negative Folgen im beruflichen Bereich befürchten sowie sich weiter in der eigenen Freizeit einschränken zu müssen. Väter über 50 Jahren können dagegen ihre Prioritäten verlagern.

Die Ergebnisse haben explorativen Charakter aufgrund der kleinen Fallzahl älterer Väter mit kleinen Kindern (siehe Tabelle).



Anzahl der Aktivitäten von Vätern mit ihren Kindern nach Alter (in Prozent)

0 Aktivitäten
1 bis 2 Aktivitäten
3 bis 5 Aktivitäten
25-34 Jahre
n=130
13     

34        

53        

35-49 Jahre
n=248
12     

50        

38        

50-64 Jahre
n=12
8     

42        

50        

Gesamt
n=390
12     

44        

44        

Quelle: »Generations and Gender Suvey«, Eigene Berechnungen



Bildungsniveau und Beschäftigungssituation beeinflussen die Gestaltung der Vaterrolle

Väter mit höherer Bildung zeigen mehr Aktivitäten mit den Kindern. Männer mit Abitur setzen sich in der Ausübung ihrer Vaterrolle von Vätern mit niedrigerem Schulabschluss deutlich ab. Sie machen 2,6 Mal häufiger sowie vielfältigere Aktivitäten mit Kindern und zeigen sich verantwortlicher als Väter mit Hauptschulabschluss.

Der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau sowie Qualität bzw. Quantität der Aktivitäten wurde bereits in mehreren Studien festgestellt:

Höher gebildete Männer stimmen einer aktiven Vaterrolle stärker zu als geringer gebildete. Dieser Sachverhalt bestätigt sich auch auf der Ebene des faktischen Verhaltens - zumindest aus der Sicht der Väter selbst.

Die Erwerbsbeteiligung sowie die wöchentlich geleistete Arbeitszeit im Beruf stehen in signifikanter Beziehung zur Ausübung der Vaterrolle und haben einen unmittelbaren Zusammenhang:

Je mehr ein Vater arbeitet, desto weniger kindbezogene Aktivitäten übt er aus.

Väter, die einer Teilzeitarbeit nachgehen oder nicht erwerbstätig sind, übernehmen im Alltag vier Mal so viele Aufgaben verantwortlich für ihren Nachwuchs wie die in einem »Normalarbeitsverhältnis« Beschäftigten, also Vollzeitbeschäftigte mit durchschnittlicher Wochenstundenanzahl.

Väter, die überdurchschnittlich viel Zeit an ihrem Arbeitsplatz verbringen, also 50 Stunden und mehr in der Woche arbeiten, übernehmen einschneidend weniger Verantwortung in der Versorgung ihres (kleinen) Kindes und teilen im Vergleich zu den anderen Vätern am wenigsten das alltägliche Geschehen mit ihrem Nachwuchs.

Zwischen wöchentlich geleisteter Arbeitszeit im Beruf und kindbezogenen Aktivitäten besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Wird ein wöchentliches Arbeitspensum von ca. 35 bis unter 50 Stunden im mittleren Lebensalter überschritten, so entzieht dies dem Kind den Vater und ist folgenreich für das Familienleben.


Fazit

Jüngere und ältere Väter sind in das Leben ihres Nachwuchses unmittelbar involviert; sie lassen sich als engagierte Väter charakterisieren, die Verantwortung übernehmen und Zeit investieren.

Die jüngeren Väter initiieren und realisieren den sozialen Wandel - aber eben nicht nur sie: Auch ältere Väter setzen neue Vaterschaftsmodelle um, wenn die beruflichen und gesellschaftlichen Strukturen es ihnen erlauben, vermutlich ergänzt durch spezifische persönliche Partnerschafts-, Familien- und Lebenserfahrungen.

Väter im mittleren Lebensalter haben die größten Schwierigkeiten, die vielfältigen Aufgaben des Familien- und Berufslebens zu vereinbaren. Das neue Leitbild der aktiven Vaterschaft wird in der mittleren Altersspanne, die in Deutschland der typischen Familienphase entspricht, aus der eigenen Wahrnehmung der Väter am wenigsten umgesetzt.

Diese Ergebnisse stellen die Eigensicht von Vätern dar, was keineswegs mit der Sicht von Müttern übereinstimmen muss. Aber sie ist dennoch eine wichtige Seite des Familienalltags mit Kindern. Dieser Vergleich kann aus Platzgründen hier jedoch nicht dargestellt werden.


Angelika Tölke
Kontakt: toelke@dji.de


Literatur:

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ; Hrsg) (2006): Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik. Siebter Familienbericht. Berlin

Generations and Gender Survey - durchgeführt vom Bundesinstitut für Bevölkerungswissenschaft (BIB). Wiesbaden
(bib@destatis.de)

Tölke, Angelika (2009): Verhalten sich ältere Väter anders als jüngere? Die Vaterrolle aus der Sicht von Vätern und von Müttern. In: Bedingungen und Potentiale intergenerationaler Beziehungen. Wiesbaden


*


Quelle:
DJI-Bulletin Heft 83/84, 3/4/2008, S. 24-26
Herausgeber:
Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI)
Nockherstraße 2, 81541 München
Tel.: 089/623 06-0, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de/bulletins

Das DJI-Bulletin erscheint viermal im Jahr.
Außerdem gibt es jährlich eine Sonderausgabe in
Englisch. Alle Hefte sind kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2009