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FORSCHUNG/050: Der exzessive Dialog der Religionen (BI.research - Uni Bielefeld)


BI.research 30.2007
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Der exzessive Dialog der Religionen

Von Levent Tezcan und Marcus Otto
Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung


Das IKG-Projekt "Macht und kulturelle Selbstbehauptung in der interkulturellen Kommunikation. Dialog im Konflikt? Eine empirische Analyse christlich-islamischen Dialogs in Deutschland"

Der Ausgangspunkt für das Projekt zur interkulturellen Kommunikation ist die gegenwärtig zu beobachtende Tendenz, dass der interreligiöse Dialog, genauer: der Dialog mit dem Islam als Lösungsformel für verschiedene gesellschaftliche Konflikte in den Vordergrund tritt. Der inzwischen für selbstverständlich relevant gehaltene gesellschaftliche Dialogdiskurs soll daher problematisiert werden, um schließlich seine Reichweite und Grenzen abzustecken. Das mit einem Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnete Projekt ist zugleich Teil eines neu ins Leben gerufenen geisteswissenschaftlichen Netzwerkes.


Interreligiöse Verständigung als Ausweg?

In der öffentlichen Debatte wird die Religion seit einiger Zeit immer stärker thematisiert, und die Wissenschaft reagiert darauf, indem sie die klassischen Vorstellungen von Säkularität (also Verlagerung der Religion ins Private und ihr Bedeutungsschwund) korrigiert. Der Präsenz des Islam kommt dabei eine besondere Rolle zu. Inzwischen, zweifellos insbesondere nach dem "11. September", hat sich der interreligiöse, respektive christlich-islamische Dialog zu einem Knotenpunkt in den interkulturellen Angelegenheiten entwickelt. Die Forschungsidee basiert auf der Beobachtung, dass im Rahmen des paradigmatischen Diskurses vom "Kampf der Kulturen" die vormaligen Integrationsfragen mehr und mehr in Kulturfragen übersetzt und ihre Lösung immer mehr von einer interkulturellen, respektive interreligiösen Verständigung abhängig gemacht werden.


Ausgewählte Ergebnisse

Eigentlich existieren interreligiöse Dialogzirkel in Deutschland seit ca. 30 Jahren, also seit dem Beginn der Arbeitsmigration. Die anfängliche Hilfestellung der Kirchen an muslimische Gruppen (zum Beispiel Gebetsnischen in den Kirchen) hatte schnell dazu geführt, die Beziehungen auf Dauer zu stellen und ihnen eine religiöse Rahmung zu verleihen. Dialogkreise entstanden öfters auch bei Konflikten wie zum Beispiel bei Moscheebauprojekten. Regional haben sich parallel dazu in mehreren Bundesländern Islamforen und überregionale Dialoginitiativen (Christlich-Islamische Gesellschaften) herausgebildet, die den praktischen Dialog auf eine abstraktere Ebene anheben wollten, um ihn dauerhaft zu sichern. Seitdem der Dialog immer stärker mit der Integrationsfrage verbunden und als Mittel der Gewaltprävention gedacht wird, scheint er nahezu das einzige Format zu sein, in dem Einheimische und Einwanderer muslimischen Glaubens miteinander kommunizieren könnten. Damit avancierte der Dialog zu einem prominenten Vehikel des kulturalistischen Diskurses, weil Religion sich als Identitätsmarker für den diffusen Begriff der Kultur beziehungsweise Tradition anbietet. Dies gilt sowohl für Selbst- wie für Fremdbeschreibungen. Der Dialog will den viel beschworenen Kampf der Kulturen bekämpfen, bestätigt ihn aber stets, indem er Fragen und Probleme unterschiedlicher Natur unter dem Dach Kultur und Religion verhandelt. Der Dialog wird dabei exzessiv; den Akteuren fehlt das Bewusstsein der Selbstbeschränkung und damit auch die Fähigkeit, die Grenzen des Dialogs zu bestimmen.


Quasi-ethnisches Label "Muslimischer Glaube"

Von den Effekten her betrachtet funktioniert der interreligiöse Dialog folglich als ein Identitätsdiskurs. Dessen Hauptmotto lautet: Wer den Anderen verstehen will, muss zuerst wissen, wer er selber ist, was seine Kultur, sein Glaube ist. Bürger unterschiedlicher Herkunft sollen sich folglich primär auf ihre religiöse Zugehörigkeit hin ansprechen. Kirchen und muslimische Verbände erscheinen dabei als Vertreter von Gemeinschaften, die sich nun als geschlossene Kollektive gegenüber stünden und in einen Dialog miteinander treten sollten. Andernfalls würden sie sich bekämpfen. Türkische, arabische, persische Einwanderer werden nur noch als Muslime thematisiert. Die ständige Rede von "Muslimen und Nicht-Muslimen" zeigt, dass religiöse Zugehörigkeit nun die Funktion eines quasi-ethnischen Labels annimmt. Interessant ist, dass dabei unterstellt wird, dass die Einwanderer mit muslimischem Glauben ohne weiteres über ihre Religion zu definieren sind, während eine solche Festlegung auf Religion sich für die Deutschen offenbar verbietet. Die Reichweite dieser generalisierenden Zuschreibung einer primär religiösen Zugehörigkeit für Einwanderer bleibt allerdings bei den genuin interreligiösen Dialogkreisen noch begrenzt, da sie sich ihrerseits innerhalb der areligiösen Gesamtgesellschaft als Minderheit erfahren. Diese generalisierende Identitätszuschreibung entfaltet ihre Wirkung erst richtig, wenn der interreligiöse ungebremst in den interkulturellen Dialog hinüber gleitet und dieser von den politischen Instanzen übernommen wird. Die Grenzen zwischen den beiden Typen des Dialogs sind dabei fließend. Eine systematische Unterscheidung beziehungsweise Grenzbestimmung ist uns bisher noch nicht begegnet. Über die Massenmedien ist er zudem ein globalisiert und aus lokalen und nationalen Kontexten herausgeführt worden.


Gesellschaftliche Relevanz

Unsere Forschung richtete das Augenmerk insbesondere darauf, wie Religion und Kulturgegenwärtig stärker aufeinander bezogen werden. Selbst der Papst sprach in Istanbul vom Dialog der Kulturen. Umgekehrt mündet der interkulturelle Dialog, sofern er politisch umsetzbar sein soll, in den interreligiösen. Denn Religion mit klarer Dogmatik, ansprechbaren Institutionen, erkennbaren Zeichen, heiligen Orten/ Plätzen und ethisch-moralischem Anspruch an die Lebensführung der Individuen operationalisiert anscheinend die schwer greifbare Kultur für den politischen Diskurs. Inwiefern der interreligöse Dialog tatsächlich dazu taugt, ein Forum zu sein, auf dem gesellschaftlich vielfältige Fragen verhandelt werden, oder ob diese Zuspitzung der Kommunikation zwischen Einwanderern und Einheimischen auf den religiösen Dialog eine konfrontative Problemwahrnehmung erst recht verschärft, für diese politisch relevanten Fragen möchte die hier vorgestellte Studie das öffentliche Bewusstsein sensibilisieren. Die Grenzen des interreligiösen Dialogs zu bestimmen, das müsste eine der zentralen Aufgaben des Dialogs selbst sein, wollte er tatsächlich zur gesellschaftlichen Entspannung beitragen. Sollte nicht der Einwanderer vor allem auch ein Bürger bleiben oder überhaupt erst zu einem solchen werden wie der Einheimische, wo seine religiöse Eigenart eine Dimension der gesellschaftlichen Kommunikation ausmacht?


Dr. Levent Tezcan studierte Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Ankara und Sozialwissenschaften an der Universität Bremen und promovierte an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Seit 1995 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am IKG. Sein Arbeitsgebiet umfasst Kultursoziologie, Soziologie des Islam und Konfliktforschung.

Marcus Otto, M.A., studierte Geschichtswissenschaft und Soziologie an der Universität Bielefeld und arbeitete von 2001 bis 2004 in einem Sonderforschungsbereich der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie zu "Krisen politischer Inklusion". Seine Forschungsschwerpunkte sind die moderne Geschichte Frankreichs, Diskurstheorie und postkoloniale Konflikte. Seit 2006 arbeitet er am IKG.


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Quelle:
BI.research 30.2007, Seite 27-30
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2007