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GESELLSCHAFT/177: Weiblicher Sextourismus (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 99, 1/07

"I give you some real good lovin"
Touristinnen auf der Suche nach sexuellen (Liebes-)Abenteuern

Von Bernadette Schausberger


Der Film "In den Süden", der derzeit in den Kinos läuft, hat die Diskussionen um weiblichen Sextourismus angeheizt. Den Ursachen, Hintergründen und Auswirkungen des weiblichen Sextourismus geht die Autorin in diesem Beitrag nach.


Sextourismus ist per Definition jede Form von Tourismus, bei der Reisende materiell belohnte sexuelle Kontakte mit lokalen PartnerInnen haben. Jährlich reisen auch eine Menge von Frauen aus Industrienationen mit dem Wunsch nach Erotik und nicht zuletzt Exotik vor allem in Länder der "Dritten Welt", besonders nach Tunesien, Gambia, Kenia oder Jamaika. Ob es "die weibliche Sextouristin" überhaupt gibt, wurde und wird diskutiert. Der Umstand, dass auch Frauen für sexuelle Dienste zahlen, scheint eine klare Sprache zu sprechen, dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied zum männlichen Pendant: Frauen lassen sexuelle Kontakte oft nur dann zu, wenn sie in Form von romantischer Liebe daherkommt, sie nehmen ihre (bezahlten) Affären meist sehr ernst, und es ist für sie nicht gesagt, dass es sich um einen zeitlich begrenzten Urlaubsflirt handelt. Langandauernde, großzügige, finanzielle Unterstützung des Partners ist häufig. Maßgeblich verantwortlich für das derartige Handeln der Frauen sind unter anderem die weibliche Sozialisation wie auch die westliche Industriegesellschaft mit ihren Vorstellungen von Schönheit und ewiger Jugend.


Sun, sea, sand and sex - beach phantasies

Auf der Landkarte des sexuellen Begehrens zog es Männer traditionell in die östliche Hemisphäre und Frauen eher gen Westen. Die männlichen Sehnsüchte richteten sich von jeher eher auf die angeblich dienende, demütige, geschmeidige asiatische Kindfrau, die "naturverbundene" Nackte und die verschleierte Orientalin, die aus ihren Hüllen heraus dem Mann verheißungsvolle Blicke zuwirft. Weibliche Lüste treibt es eher zu "gestandenen, urwüchsigen" Männern und Machos in die Karibik oder nach Afrika. Beide Geschlechter suchen Orte auf, an denen sich historische Bilderwelten und Projektionen mit gelebtem (im Fall der Frauen meist heterosexuellem) Sex verbinden lassen.

Die (relativ neue) ökonomische Potenz westlicher Frauen und das Ausleben dieser muss aber auch als eine neue Identität jenseits der alten Geschlechterrollen gesehen werden und soll als eine innovative Handlungsstrategie von Frauen betrachtet werden. Der ausgesprochen kapitalistische Charakter des Ganzen liegt auf der Hand. Zwei Kräfte treffen sich hier: die ökonomische Potenz der Frau aus dem Westen und die sexuelle Kraft des Mannes aus dem Urlaubsland.


Macht Geld sexy?

"I see nothing immoral about it. I regard it more as a temporary love affair. He tells me all the things I want to hear, and I guess in return I pay for everything - meals, accommodation, transport, tours - and buy him gifts. But that is because I have much more money than he does. It is mutually beneficial (...) He tells me I'm the most beautiful woman he has ever seen and that he loves my body, I know it might not be absolutely true, but it's nice to hear. The affection, attention, intimacy and compliments are equally, if not more, important to me than the sexual aspect of the relationship."(1)

Das Zitat stammt aus einem Text über britische Sextouristinnen auf Jamaika. Es geht, folgt man den Aussagen dieser Frauen hier, um Liebe und gegenseitige Unterstützung, die Protagonistinnen bekommen, was sie wollen. Sextourismus und Prostitution sei das nicht.

Das exotische, erotische Liebesabenteuer schlägt nach den Ferien, zurück im Alltag, oft in Frust und Irritation um. Auch der Märchenprinz aus dem Süden ist nur ein Lügner und Betrüger und die Frau aus dem Westen nur eine Geldquelle und nicht die Traumfrau? Diese "(Selbst)Täuschung" entlädt sich nicht selten in Rassismen. Dass der Mann sich von seiner Urlaubsbekanntschaft oft (ökonomische) Vorteile, vielleicht ein besseres Leben erwartet, passt so gar nicht in das Bild von (uneigennütziger/naiver) Romantik und Liebe und somit keineswegs auf die Projektion des "edlen Wilden".


Unterwegs zu neuen Rollenbildern?

"Rights and wrongs of female sex tourism: is it harmless fun, a mutually beneficial business transaction? Or is it exploitation and, if so, who is the victim and who is the perpetrator - the women who fall for declarations of true love or the mostly poor, underemployed men who make them? What makes it different from male sex tourism, which is normally seen as sleazy and abhorrent? And is it, as many critics argue, perpetuating the racist myth of the hyper-sexual black man?"(2)

Frauen sind auf der Suche nach sozialer und ökonomischer Mobilität und probieren neue Formen intimer Beziehungen aus. Ein Gefühl von Freiheit, das sich allgemein auf Reisen breit macht, kommt diesem Aufbruch entgegen.

"Die Verschmelzung mit der Fremde ist hier eine typisch weibliche Umgangsweise mit dem Fremden im Gegensatz zu den Eroberungs- und Unterwerfungsstrategien von Seiten der Männer."(3)

Auch wenn die sozialen und ökonomischen Verhältnisse zwischen Frauen und Männern in westlichen Ländern bei weitem nicht egalitär sind, so gibt es dennoch für westliche Frauen heutzutage wesentlich mehr Wahlmöglichkeiten als in früheren Zeiten. Genderrollen sind zunehmend unter Beschuss, werden in Frage gestellt und dekonstruiert. Dennoch wird frau auch heute noch zur Frau gemacht. Viele wünschen sich ein Kind und eine Familie und einen "echten Mann". Mit den (anerzogenen, verinnerlichten) Bildern im Kopf macht sich Frau auf Reisen, auf die Jagd nach dem Märchenprinzen oder schmilzt dahin, wenn ihr plötzlich jemand das Blaue vom Himmel verspricht. Ein Bild von männlicher Herrschaft und weiblicher Unterwerfung ist auch an den schönsten Orten der Welt in der schönsten Zeit des Jahres prägend. Kulturelle, alters- und bildungsmäßige Unterschiede werden im Urlaub gerne übersehen oder verdrängt. Nicht selten wird die Fremde sexualisiert und Liebe scheint auf paradiesischen Stränden keine Unterschiede zwischen "Rasse" und Klasse zu machen. Ein dualistisches Bild von Frau und Mann, das auf hierarchischen Machtverhältnissen beruht, bleibt jedoch dominant. "Starke Männer", die in westlichen Ländern kritisiert und oft auch abgelehnt werden, können fernab der Heimat ohne wenn und aber "genossen" werden.

"Frauen können auf Grund ihres sozialen und ökonomischen Status als westliche Touristin dominante Rollen in Beziehungen einnehmen, als Frau sind sie jedoch nach wie vor sexistischen und patriarchalen Strukturen untergeordnet."(4)


Happy End?

Der Traum von einer romantischen Liebe oder Liebesaffäre ist ein treuer Begleiter auf den Reisen einer Sextouristin. Im Gegensatz zu den so reisenden Männern wollen Frauen von professionellen Liebhabern im Grunde nichts wissen. Liebesschwüre, Treue, Edelherzigkeit sind es, was frau in der Ferne sucht und (vorgeblich) auch findet, denn auch hier wird dem touristischen Markt entsprochen. Sextouristinnen bewegen sich somit meist in einer Grauzone von Anmache und Anziehung, sexueller Ausbeutung, Gefühl und HelferInnensyndrom.

Abschließend gibt es noch zu sagen, dass Kategorien wie 'race', 'class', 'gender' auch im Urlaub Themen bleiben, mögen sie auch das eine oder andere Mal subtiler daherkommen und vor allem gerne verdrängt werden. Die Attraktivität von Geld ist das wesentliche Kriterium im Sextourismus, "wahre Liebe" ist aber nach wie vor kein Konsumgut. Diese Erkenntnis ist nicht selten bitter.


Anmerkungen:

(1) Martin, Lorna: Sex, sand and sugar mummies in a Caribbean beach fantasy. In: The travel guardian vom 23.07.2006.
http://travel.guardian.co.uk/article/2006/Jul/23jamaica.theatre.theobserver

(2) Ebd.

(3) Backes, Martina/Goethe, Tina u.a. (Hginnen):Im Handgepäck Rassismus Beiträge zu Tourismus und Kultur (Freiburg 2002) S.78.

(4) Goethe, Tina: Latin Lover: Frauen auf Beziehungsreisen.
In http://www.trouble-in-paradise.de/02beingthere/index.htm vom 3.09.2005


Literaturtipp:
Burghoff, Christel/Kresta, Edith: Sonne, Sand und Sex.
In: taz 15.6.2002, S. 19-20.

Filmtipp:
Laurent Cantet: Vers le sud - In den Süden (Frankreich 2006).

Zur Autorin:
Bernadette Schausberger ist Sozial- und Kulturanthropologin, lebt und arbeitet zurzeit in Valencia und plant ein angewandtes (Forschungs-) Projekt zu kritischem Tourismus oder Alternativen dazu.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 99, 1/2007, S. 16-17
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2007