Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → SOZIOLOGIE

GESELLSCHAFT/192: Ehe zwischen Ausschluß und Zwang (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 104, 2/08

Konferenzbericht
Ehe zwischen Ausschluss und Zwang
Multikulturalismus, sexuelle Autonomie und rechtlicher Diskurs

Von Christa Markom und Ines Rössl


Multikulturalismus ist in Theorie und Politik in die Defensive geraten. Als Grund dafür wird häufig die Unvereinbarkeit von Geschlechteregalität und kultureller Vielfalt genannt. Entlang der aktuellen Auseinandersetzungen zu Zwangsheirat und gleichgeschlechtlicher Ehe wurden auf der internationalen Konferenz "Multiculturalism, Autonomy and the Law" Alternativen zur verengten Debatte um Multikulturalismus, Frauenrechte und Gewaltprävention diskutiert. Dabei blieb auch das Konzept der Ehe selbst nicht unhinterfragt.


*


Ob Kopftuch oder Zwangsverheiratung - wenn es um Fragen des Geschlechterverhältnisses in ethnisch oder kulturell markierten Kontexten geht, scheint eine große Nachfrage an gesichertem Wissen zu bestehen. Regelmäßig wird - in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen oder Vorlesungen - die Frage gestellt: "Wie ist das denn jetzt wirklich?" Häufig wird dann dazu übergegangen, darüber zu debattieren, ob "diese Frauen" das Kopftuch freiwillig tragen oder nicht, und ob sich "die türkischen Mädchen" überhaupt vorstellen können, nicht zu heiraten. Der (zumindest bisweilen) durchaus zugestandenen Komplexität der sozialen Praxis wird mit besorgten Fragen und Vermutungen begegnet. Dabei werden Berichte von NGOs sowie Opfer-Autobiografien (wie z.B. von Necla Kelek) dankbar aufgesogen, weil sie die lang ersehnte Gewissheit zu versprechen meinen.

In dem beständigen Kreisen um die Frage, wie es "wirklich" ist, ist es mitunter schwierig, die Ebene zu wechseln und Zweifel anzusprechen: Welcher Diskurs wird hier (re)produziert? Wie kommt dieser zustande und wer nimmt daran (zu welchem Zweck) teil? Diese Fragen sind wesentlich, da soziale Realitäten und Identitäten auf komplexe Weise und immer im Kontext von politischen Strategien hergestellt werden.


Diversität, Feminismus und Gewalt

Angesichts der diskursiven und homogenisierenden Überfrachtung des Themas "traditionsbedingter Gewalt" besteht eine Herausforderung darin, andere Wege des Nachdenkens zu finden. Das Forschungsprojekt "Multikulturalismus im Widerstreit" (angesiedelt an der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) näherte sich daher dem Thema der Zwangsverheiratung auf unübliche Weise. Zum einen inkludierte das aus Sozialanthropologinnen und Rechtstheoretikerinnen bestehende Forschungsteam von Beginn an auch den Ausschluss (für homosexuelle Paare) von der Ehe in seine Fragestellungen. Dadurch wurden umstrittene Konzepte wie Ehe, Autonomie, Elternrechte, Kultur und Identität auch in Mehrheitskontexten einer allgemeinen Problematisierung zugänglich, anstatt lediglich auf "die Anderen" zu fokussieren.

Zum anderen betrachtete das Forschungsteam die Themen auf drei Ebenen: Erstens wurde im Zuge einer Feldforschung der Frage nachgegangen, wie minorisierte und etablierte Gruppen mit den Themen PartnerInnenwahl und Sexualität umgehen. Zweitens trat zu diesem empirischen Zugang der Anspruch hinzu, unter Rückgriff auf Prinzipien der Autonomie und Gleichheit feministische Anliegen zu formulieren, wobei diese immer kontextualisiert werden müssen. Drittens wurden Interviews mit PolitikerInnen und ExpertInnen aus Beratungsstellen und Institutionen geführt, um die Produktion von Diskursen über Zwangsverheiratung und gleichgeschlechtliche Ehe zu untersuchen.


Autonomie und Eheschließung

Auch das Recht produziert wirkmächtige Diskurse und lässt sich dahingehend analysieren, inwiefern es kontextspezifisch Bedingungen für Autonomie herstellt und ob es dabei (als Nebeneffekt) kulturalistische Stereotypisierungen befördert. Diesem Aspekt widmete sich eine vom Forschungsteam am 16. Mai 2008 veranstaltete Konferenz mit dem Titel "Multiculturalism, Autonomy and the Law: Forced Marriage und Exclusion from Marriage as Contested Legal Fields in the UK, Austria and Turkey" in Wien.

Wie Sabine Strasser (Österreichische Akademie der Wissenschaften, MET University Ankara) und Elisabeth Holzleithner (Institut für Rechtsphilosophie, Universität Wien) in ihrer Einleitung zur Konferenz betonten, stellt sich die Frage der Autonomie nicht nur in Hinblick darauf, wann bei der Eheschließung Freiwilligkeit endet und Zwang beginnt, sondern auch dann, wenn Personen von der Heirats-Option ausgeschlossen werden. Das Autonomie-Konzept betrifft nicht nur die Abwesenheit von Zwang, sondern auch die Verfügbarkeit von Wahlmöglichkeiten, und in der gegenwärtigen Gesellschaft stellt die Ehe eine Option dar, die manchen offen steht und anderen nicht.


Zwangsverheiratung im Rechtsdiskurs

Im ersten Panel der Konferenz zeichnete Anne Phillips (Gender Institute, LSE London) die Entwicklung der britischen Judikatur zur Ehe-Annullierung nach. Bis in die 1980er Jahre ließen die Gerichte nur gravierende Eingriffe (Bedrohungen der Freiheit und körperlichen Integrität) als Grund für eine Eheaufhebung zu. In späteren Entscheidungen zählte das Kriterium, ob die Betroffene gegen ihren eigenen Willen zur Eheschließung gedrängt worden war. Dabei berücksichtigten die Gerichte vor allem die konkreten Umstände der Betroffenen wie Alter, finanzielle Abhängigkeit, emotionalen Druck und kulturellen Hintergrund.

Phillips begrüßte diesen "kultursensiblen" Ansatz, warnte jedoch davor, dass er sehr leicht in kulturelle Stereotypisierungen kippen kann. Auch bestehe die Gefahr, dass Frauen prinzipiell die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit in Bezug auf Ehearrangements abgesprochen wird. In Großbritannien hatte man sich gegen die Einführung eines speziellen strafrechtlichen Delikts entschieden. Demgegenüber wurde 2006 in Österreich der Passus der "Nötigung zur Eheschließung" explizit in den Tatbestand der schweren Nötigung eingefügt. Die Wahrnehmung des Themas auf juristischer Ebene konzentriert sich hier daher auf das Strafrecht.

Katharina Beclin (Institut für Kriminologie, Universität Wien) erklärte, dass die Bestimmung nur dann greift, wenn Verletzungen von Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen angedroht werden. Beclin plädierte dafür, dass auch die Drohung mit psychologischen oder emotionalen Verletzungen miteinbezogen werden sollte.

Die Sozialanthropologin Ayse Çaglar (Central European University, Budapest) fasste am Ende des Konferenztages zusammen: In Großbritannien und Österreich seien die Debatten über Zwangsverheiratung eng verwoben mit Diskussionen über Einwanderung, Staatsbürgerschaftsrechte und gesellschaftliche Diversität. Demgegenüber habe der Vortrag der Anwältin Cânân Arin aus Istanbul gezeigt, dass das Thema in der Türkei im allgemeineren Kontext von Frauenrechten betrachtet wird, wobei insbesondere auch ökonomische Rahmenbedingungen problematisiert werden.


Debatten über gleichgeschlechtliche Ehe

Im Nachmittags-Panel knüpften die Vorträge von Nikolaus Benke (Institut für Römisches Recht, Universität Wien) und Andrew Sharpe (School of Law, Keele University) an den Vormittag an. Sie diskutierten Konzepte, die auch aus der Multikulturalismus-Debatte bekannt sind. Benke argumentierte, dass die Ermöglichung gleichgeschlechtlicher Ehen die einzige Schlussfolgerung sei, wenn man die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit ernst nähme.

Demgegenüber stand Sharpe dieser Art von "identity politics" skeptisch gegenüber: Sexuelle Identitäten würden als unveränderlich festgeschrieben und gleichzeitig homogenisiert. Zudem habe das Recht auf Ehe auch umverteilende Effekte; die Forderung nach gleichgeschlechtlicher Ehe blende somit Differenzen und Machtgefälle (anhand von ethnischer Zugehörigkeit, sozialer Schicht, Geschlecht, Alter etc.) innerhalb von sexuellen Minderheiten aus. Ähnlich wie Anne Phillips, die das Problem kultureller Stereotypisierung angesprochen hatte, warnte Sharpe vor einer leichtfertigen Bezugnahme auf Gruppenidentitäten. Zudem betonte er, dass sowohl Ehe als auch eingetragene PartnerInnenschaft Instrumente der Kontrolle und Normalisierung von Intimbeziehungen seien und zur Differenzierung zwischen legitimen und "abweichenden" Beziehungskonzepten beitragen.

So stand während der gesamten Konferenz immer wieder die Institution der Ehe selbst zur Diskussion. Auch Yasemin Öz, Anwältin in Istanbul und Repräsentantin der lesbisch-schwulen Initiative KAOS GL, begründete die Tatsache, dass sich die türkischen AktivistInnen derzeit kaum mit der Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe beschäftigen, nicht nur damit, dass es zuvor noch auf anderen Gebieten (insbesondere Anti-Diskriminierung) Terrain zu gewinnen gelte, sondern sie zeigte sich auch skeptisch gegenüber der Ehe selbst.


Links:
www.univie.ac.at/node-cmc

Zu den Autorinnen:

Die Sozialanthropologin Christa Markom und die Juristin Ines Rössl sind Mitarbeiterinnen im NODE-Projekt "Multikulturalismus im Widerstreit. Geschlechteregalität, kulturelle Diversität und sexuelle Autonomie in der EU" am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie (Uni Wien).


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 104, 2/2008, S. 28-29
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-355
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Inland 20,- Euro; Ausland 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2008