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GESELLSCHAFT/248: Zum Wandel der Generationenbeziehungen in der modernen Gesellschaft (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2012 - Nr. 97

Zwischen Konflikt und Solidarität
Zum Wandel der Generationenbeziehungen in der modernen Gesellschaft

Von Thomas Olk



Die Beziehungen zwischen den Generationen haben sich tiefgreifend verändert. Die demografische Entwicklung ist in unserer Gesellschaft von der quantitativen Verschiebung zwischen der Bevölkerungsgruppe der »Jungen« und der »Alten« geprägt (Alterung der Bevölkerung). Dies nährt unter anderem die Befürchtung, dass ein Krieg zwischen den Generationen bevorsteht. Tatsächlich stellen sich jedoch die persönlichen Beziehungen zwischen Personen verschiedener Generationen keineswegs so negativ dar, wie im Folgenden gezeigt wird. Auf der gesellschaftlichen Ebene ist die Lage schwieriger. Die wachsende Anzahl älterer Menschen scheint eine Umverteilung von Ressourcen zu Lasten der jüngeren Generation zu begünstigen. Dies gilt insbesondere für den Bereich sozialstaatlicher Leistungen. Während die ältere Generation relativ gut abgesichert ist (vor allem in der Rente), müssen sich jüngere Generationen auf deutlich niedrigere Rentenniveaus einstellen. Wie steht es also wirklich um die Chancen der heutigen Generation von Kindern und Jugendlichen? Welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen dem Bereich der familiären Unterstützungsbeziehungen, dem privaten Generationenvertrag, und dem bislang primär beachteten öffentlichen Generationenvertrag?


Zum Verständnis von »Generation«

Das Konzept der Generationen spielt in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen eine Rolle. Trotz der Veränderungen in den Beziehungen zwischen Minderjährigen und Erwachsenen - dazu zählen etwa die Aufwertung der Rolle von Kindern und Jugendlichen sowie die Relativierung des Wissensvorsprungs der Erwachsenen - stellt das Konzept der Generation nach wie vor eine zentrale Grundlage der Theoriebildung und Forschung in der Erziehungswissenschaft dar (Liegle 2011). Erziehung findet immer zwischen den Generationen statt. Es gibt einen Prozess der Institutionalisierung von Kindheit und Jugend als Erziehungs- und Lern-Kindheit. Auch die Weitergabe des kulturellen Erbes erfolgt in der Abfolge aufeinanderfolgender Generationen.

Generation ist aber auch ein Schlüsselkonzept der Soziologie (Kohli 2009). Angesichts des grundlegenden Tatbestands des biologischen Werdens und Vergehens stellt sich die für die Reproduktion von Gesellschaften zentrale Frage: Wie kann Kontinuität in der Abfolge von Generationen gesichert werden? Wie kann die kulturelle Tradition weitergegeben werden? Wie entsteht in der Abfolge von Generationen gesellschaftlicher Wandel? Wie grenzen sich unterschiedliche Generationen gegeneinander ab? Um diese zentralen Fragen der Soziologie der Generationen beantworten zu können, müssen zwei Ebenen unterschieden werden (Kaufmann 1993): Auf der Makroebene (gesellschaftliche Ebene) stehen Generationenverhältnisse im Mittelpunkt, also das Verhältnis zwischen Großgruppen der Gesellschaft, die sich in ihrer generationalen Zugehörigkeit unterscheiden. Auf der Mikroebene geht es um die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Generationen (Generationenbeziehungen), also zum Beispiel um die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Schülern und Lehrern.


Gutes Miteinander von Eltern, Enkelkindern und Großeltern

Ein bedeutsamer Bereich der Generationenbeziehungen sind die Beziehungen zwischen Kindern, Eltern und Großeltern in den Familien. Trotz des Wandels dieser innerfamilialen Beziehungen gibt es wenig Anhaltspunkte für den erwähnten Krieg der Generationen. Die meisten Menschen sind im engen Kontakt mit verschiedenen Generationen der eigenen Familie und finden dort verlässliche Unterstützung. Zudem bedeutet die gestiegene Lebenserwartung mehr gemeinsame Lebenszeit unterschiedlicher Generationen. Damit erhöhen sich auch die Möglichkeiten intergenerationalen Zusammenlebens. Wie der Alterssurvey zeigt, haben heute vier von fünf Menschen zwischen 40 und 85 Jahren eigene Kinder, 40 Prozent haben Enkelkinder (Motel-Klingelbiel u.a. 2010, S. 194).

Die Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern sind heute überwiegend sehr positiv. Sie können als partnerschaftlich und entspannt beschrieben werden (Shell Deutschland Holding 2010). Der Anteil derjenigen Jugendlichen, die angeben, dass sie ihre Kinder genauso oder so ähnlich erziehen möchten, wie sie selbst erzogen wurden, hat in der Zeitspanne zwischen 1985 und 2010 von 53 auf 73 Prozent zugenommen. Das zeigt, dass es zwischen Eltern und Kindern eine hohe Übereinstimmung in den Grundeinstellungen und erziehungsbezogenen Normen gibt.

Fragt man nach den Beziehungen zu den Eltern, so lassen sich allerdings schichtspezifische Differenzen feststellen. Während noch 67 Prozent der Jugendlichen aus der unteren Mittelschicht angeben, bestens mit ihren Eltern auszukommen, sind es bei den Jugendlichen der Unterschicht nur noch 40 Prozent (Shell Deutschland Holding 2010). Es ist zu vermuten, dass die Jugendlichen ihre Eltern für ihre schwierige materielle Lage ein Stück weit verantwortlich machen.


Trotz erschwerter Rahmenbedingungen ist das Ausmaß innerfamilialer Unterstützung nach wie vor sehr hoch

Die Rahmenbedingungen für die Beziehungen zwischen den Generationen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. So haben die Wohnentfernungen aufgrund berufsbedingter Mobilität zugenommen. Wie Auswertungen des DJI-Surveys AID:A zeigen, leben heute 24,8 Prozent der Großeltern im selben Haushalt wie ihre Enkelkinder oder in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. 53,7 Prozent wohnen bis zu einer Stunde Fahrzeit, 21,5 Prozent noch weiter entfernt. Dabei hängt die wohnliche Distanz sehr stark vom Bildungsniveau ab. Je höher die Bildung, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die erwachsenen Kinder weiter von ihrem Elternhaus fortziehen. Mit Hochschulabschluss wohnen zum Beispiel nur noch 16,5 Prozent der erwachsenen Kinder in unmittelbarer Nähe zu ihren Eltern, mit Hauptschulabschluss sind es dagegen 33,7 Prozent.

Die Qualität der Beziehungen zwischen Großeltern, Eltern und Kindern wird dadurch jedoch nicht schlechter. So belegt der Alterssurvey eine weiterhin hohe Kontakthäufigkeit und Beziehungsenge zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern (Motel-Klingelbiel u.a. 2010, S. 196ff.). Auch Großelternschaft hat eine hohe subjektive Bedeutung. Großeltern zu sein, ist den meisten wichtig, der Großteil hat mindestens einmal wöchentlich mit den eigenen Kindern Kontakt (Motel-Klingelbiel u.a. 2010, S. 207f.)

Sowohl der Alterssurvey als auch der DJI-Survey AID:A belegen eindrücklich, dass sich die Angehörigen unterschiedlicher Generationen im Familienkontext gegenseitig unterstützen (DJI 2010). Dabei wird zwischen der Unterstützung durch Geld einerseits und durch persönliche Hilfen andererseits unterschieden. Betrachtet man die Hilfebeziehungen zwischen der Großelterngeneration und den anderen Generationen, so zeigt sich: Großeltern unterstützen ihre erwachsenen Kinder vor allem mit Geld. Auch die Enkelkinder erhalten zunehmend Geldgeschenke (Motel-Klingelbiel u.a. 2010, S. 200ff.). Diese finanziellen Leistungsströme fließen entgegen der Richtung des öffentlichen Generationenvertrags, bei dem bekanntlich finanzielle Mittel von der mittleren Generation (also den jeweils Erwerbstätigen) zu den Älteren (Ruheständlern) umverteilt werden. Bei den persönlichen (instrumentellen) Hilfen verhält es sich anders: Hier sind es insbesondere die jüngeren Familienmitglieder, die ihre Eltern beziehungsweise Großeltern im Haushalt unterstützen oder Pflegeleistungen erbringen, wobei dies insbesondere die weiblichen Familienmitglieder übernehmen. Allerdings wird dies wegen der räumlichen Entfernungen und der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen und älteren Menschen immer schwieriger und daher auch seltener.

Auch bei der Kinderbetreuung sind Großeltern nach wie vor engagiert. Der DJI-Survey AID:A zeigt, dass mehr als ein Drittel der Kinder im entsprechenden Alter in den letzten Wochen vor der Befragung von ihren Großeltern betreut wurden, wobei der Schwerpunkt bei den unter Dreijährigen liegt (DJI 2010). Allerdings ist laut Alterssurvey seit 1996‍ ‍der Anteil der Großeltern, die auf ihre Enkelkinder aufpassen, von etwa einem Drittel auf ein Viertel gesunken (Motel-Klingelbiel u.a. 2010, S. 205f.). Hierfür sind steigende Wohnentfernungen, der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung sowie - was in Zukunft eine immer größere Rolle spielen wird - die steigende Erwerbstätigkeit der Angehörigen der Großeltern-Generation verantwortlich.

Insgesamt gilt also: Der öffentliche Generationenvertrag ist die Voraussetzung dafür, dass private Leistungsströme von der ältesten Generation zur nächst jüngeren fließen können. Werden Renten gekürzt, ist zugleich der private Generationenvertrag betroffen. Das trifft zuerst all jene, die niedrigere Renten haben; sie werden ihre familialen finanziellen Transferleistungen als Erste einschränken müssen.

Die Abbildung zeigt die Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland. Der Anteil der Menschen über 65 steigt, während der Anteil der jungen Bevölkerung abnimmt. -Quelle: Statistisches Bundesamt (2008): 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, eigene Berechnung und Darstellung



Wie der Sozialstaat Generationenpolitik betreibt

Seit den grundlegenden Ausführungen von Karl Mannheim (1928) zum Konzept der Generationen ist bekannt, dass bestimmte wirtschaftliche, politische und kulturelle Konstellationen Generationen konstituieren können. In diesem Sinne ist etwa von der »Wirtschaftswundergeneration«, der »Kriegsgeneration« beziehungsweise der »skeptischen Generation« gesprochen worden. Mit der Expansion des Sozialstaates kann nun auch der Sozialstaat eine Generationen prägende Wirkung entfalten. Das (Nicht-)Vorhandensein von sozialen Sicherungsleistungen kann die Lebensbedingungen und Zukunftschancen von Geburtskohorten nachhaltig prägen und damit ihre Handlungsorientierungen und ihr Generationenbewusstsein beeinflussen. Darüber hinaus ist der Sozialstaat maßgeblich für die Ausdifferenzierung der Altersgruppen im Lebenslauf, also die Differenzierung in die Kindheits- und Jugendphase, die Phase des erwerbstätigen Erwachsenalters und die des Ruhestandsalters verantwortlich.

Dieser sozialstaatliche Einfluss auf die Generationenverhältnisse wird an der Ausgestaltung des Zwei-Generationen-Vertrages im Nachkriegsdeutschland deutlich. Mit der Einführung der dynamischen Rente im Jahre 1957 durch Konrad Adenauer wurde eine Entwicklung vorläufig abgeschlossen, die mit den Bismarckschen Sozialgesetzgebungen begonnen worden war: Die Verantwortung für das Wohl der Älteren wurde kollektiviert, während die Verantwortung für das Wohl der Kinder und Jugendlichen den Eltern zugeordnet und damit privatisiert wurde. Dementsprechend zeigen die Sozialberichte der Bundesregierung, dass sich der Löwenanteil der Sozialausgaben auf Leistungen des Renten- und Gesundheitssystems konzentriert, die verstärkt von der älteren Generation in Anspruch genommen werden, während der Umfang der Leistungen für Kinder und Jugendliche zumindest bislang vergleichsweise gering ausgefallen ist.

Der Sozialstaat konstituiert damit drei Generationengruppen: die Generationen der Kinder, der Erwerbstätigen und der Ruheständler. Die Grenzen zwischen diesen drei Generationen können verschoben und damit generationale Einheiten neu konfiguriert werden. Zum Beispiel ist das Heraufsetzen des Rentenalters eine Strategie, um die Größenordnungen zwischen den Generationen zu verändern und damit den Generationenvertrag finanzierbar zu halten. In die gleiche Richtung zielt die Verkürzung der Bildungszeiten durch Maßnahmen wie G8 oder die konsekutiven Studiengänge. Alle diese Maßnahmen haben das Ziel, die Gruppe der Erwerbstätigen im Vergleich zu den »ökonomisch Inaktiven« zu vergrößern.

Betrachtet man die Generationen prägende Wirkung des Sozialstaates in historischer Perspektive, dann lassen sich die folgenden »wohlfahrtstaatlichen Generationen« identifizieren (Leisering 2000): In den 1960er-Jahren entstand unter Bedingungen wirtschaftlichen Wachstums und eines expandierenden Sozialstaats die »Wohlstands- und Wirtschaftswundergeneration«; in den 1970er-Jahren bildete sich die »klassische sozialstaatliche Generation« heraus; in den 1980er- und 90er-Jahren die »defensive Sozialstaatsgeneration«, die bereits gegen Sozialabbau kämpfen musste, und schließlich entstand im Übergang zum 21.‍ ‍Jahrhundert die »sozialstaatliche Verlierergeneration«, die weiterhin hohe Leistungen zur Finanzierung des sozialen Sicherungssystems erbringen muss, aber selbst wenig von diesem Sozialstaat erwarten kann. Angesichts der demografisch bedingten Verknappung der nachwachsenden Generation gibt es gegenwärtig erste Anzeichen dafür, dass wir uns möglicherweise - zumindest bezogen auf einen Teil der jungen Menschen - im Übergang von einer »überflüssigen« beziehungsweise »verlorenen« zu einer »Gewinner«-Generation befinden.


Die »Verlierergeneration«: alleingelassen und überfordert

Die Jugendgeneration des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts war beim Übergang in das Erwerbsleben in den vergangenen Jahren mit chronisch hohen Arbeitslosigkeitsquoten, reduzierten Wachstumsquoten sowie einem Überangebot an Bewerbern auf den Ausbildungs- und Stellenmärkten konfrontiert. Die »guten«, weil sicheren, Arbeitsplätze waren bereits mit Angehörigen der Generation der Babyboomer der 1950er-Jahre besetzt. Die Anforderungen an den Einzelnen, diesen schwierigen Übergang zu bewältigen, stiegen. Es wurden immer höhere Bildungsabschlüsse erforderlich, die aber keine Garantie mehr für den Eintritt in entsprechende berufliche Positionen darstellten. Zugleich hat sich der Zugang zum Arbeitsmarkt labilisiert: Für immer mehr Jugendliche ist der Eintritt in das Beschäftigungssystem mit prekären beziehungsweise atypischen Beschäftigungsverhältnissen verbunden, zu denen Mini-Jobs, Leiharbeit, befristete und Niedriglohnbeschäftigungen gehören. So ist zum Beispiel der Anteil der 15- bis 25-Jährigen, die ihr Erwerbsleben in atypischen Beschäftigungsverhältnissen beginnen, dramatisch gestiegen: im Jahrzehnt zwischen 1997 und 2007 von 19,5, auf 39,2 Prozent (Statistisches Bundesamt 2008).

Damit hat sich der Übergang in den Arbeitsmarkt nicht nur verkompliziert und individualisiert, sondern das Risiko befristeter und unsicherer Beschäftigungsverhältnisse ist auf die nachkommenden Jugendgenerationen verschoben worden, während die Angehörigen der älteren Generationen mehrheitlich sichere Jobs in den Stammbelegschaften besetzen. Es fand eine Umverteilung der Lasten globalisierter Arbeitsmärkte auf die junge Generation statt. Das lässt sich auch an den Armutsquoten ablesen. Es sind die 11- bis 30-Jährigen, die im Vergleich mit den anderen Altersgruppen die höchsten Armutsquoten aufweisen, wobei die höchsten Quoten bei den 20- bis 25-Jährigen zu finden sind (siehe Abbildung). Im Zuge der intensiven Debatte über Kinderarmut wurde die am stärksten von Armut betroffene Gruppe der Jugendlichen beziehungsweise jungen Erwachsenen an den Rand der Aufmerksamkeit gedrängt.

Diese generationale Betroffenheit von wirtschaftlichen und sozialstaatlichen Risiken hat allerdings keineswegs zu einem entsprechenden Generationenbewusstsein geführt. Denn die Jugendgeneration des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts hat auf ihre Lage weder mit Protest noch mit kollektiven Strategien des Widerstands reagiert. Im Gegenteil: Junge Menschen reagieren auf solche Unsicherheiten mit einer gesteigerten Leistungs- und Anpassungsbereitschaft sowie mit pragmatischen Verhaltensstrategien. Entsprechende Auswertungen der Shell Studie (2007) belegen, dass die befragten jungen Menschen im Bewusstsein, weniger von sozialstaatlichen Leistungen profitieren zu können, sich dennoch bereit zeigen, ihrer Rolle als Beitragszahler in das Rentensystem weiter nachzukommen, was von den Autoren als Strategie der Selbstüberforderung bezeichnet wird (Willert/Picot 2008). Zugleich sind die Angehörigen dieser Jugendgeneration an familialen Solidaritätsbeziehungen sehr interessiert und messen der Familie als einem Hilfe- und Solidaritätsnetzwerk eine hohe Bedeutung zu.

Die Abbildung zeigt die Armutsquoten nach Altersgruppen in Deutschland. Die höchsten Armutsquoten gibt es bei Personen zwischen 11 und 30 Jahren. -Quelle: Statistisches Bundesamt (2011): Datenreport. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Band 1. Wiesbaden, S. 167 (eigene Darstellung)



Neue, aber ungleiche Chancen für die Jungen

Inzwischen wirkt sich der demografische Wandel auf den Arbeits- und Ausbildungsmärkten aus. Es gibt mehr Ausbildungs- und Arbeitsangebote und weniger Bewerber, offene Stellen können nicht immer sofort besetzt werden. Zugleich sind in den vergangenen zehn Jahren die sozialstaatlichen Aufwendungen für Kinder und Familien erhöht worden. Mit der Einführung neuer familienbezogener Leistungen (zum Beispiel Elterngeld, Kindergelderhöhung) und dem Ausbau der Kleinkindbetreuung ist die öffentliche Verantwortung für das Wohlergehen von Kindern ausgeweitet worden. Kein Bereich des deutschen Sozialstaates hat sich in den vergangenen Jahren so stark entwickelt wie der Leistungsausbau für Kinder und Familien. Dies ist bisher allerdings auf die Gruppe der kleinen Kinder begrenzt. Die jungen Menschen im Alter zwischen 18 und 29‍ ‍Jahren gehen dagegen weitgehend leer aus. Hier entsteht eine Investitionslücke für junge Menschen, die sich zu einer Gerechtigkeitslücke verfestigen kann. Zwar wird die Situation auf den Ausbildungs- und Stellenmärkten generell besser, aber die Polarisierung von Chancen nimmt weiter zu. Während die Nachfrage nach Hochqualifizierten steigt, wird die Nachfrage nach vermeintlich geringer qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern keineswegs größer. Noch können längst nicht alle Bewerberinnen und Bewerber mit niedrigeren Schulabschlüssen mit Ausbildungsstellen versorgt werden und noch wird ein relevanter Teil dieser jungen Menschen auf das sogenannte Übergangssystem verwiesen (BMBF 2011). Die generelle Verbesserung der Chancen für die neue Jugendgeneration ist also keineswegs mit der Aufhebung von Chancenungleichheiten innerhalb dieser Generation verbunden.

Zusammenfassend lassen sich die folgenden Schlüsse ziehen. Erstens: Der private Generationenvertrag, also die Solidaritätsbeziehungen zwischen Kindern, Erwachsenen und Großeltern, ist nach wie vor vital und gewinnt sogar an Bedeutung. Zweitens: Diese Vitalität ist davon abhängig, dass der private durch den öffentlichen Generationenvertrag flankiert wird. Dieser wurde bislang auf das System der Alterssicherung reduziert, was mit der Tradition des sozialpolitischen Denkens in Deutschland zusammenhängt. Das bisherige Verständnis des öffentlichen Generationenvertrags muss jedoch deutlich erweitert werden: Die expandierenden Bildungs- und Betreuungsleistungen für Kinder sowie die auszubauende öffentliche Unterstützung junger Menschen beim Übergang in Ausbildung und in das Erwerbsleben müssen als wesentliche Elemente des öffentlichen Generationenvertrages angesehen werden. Dieser muss so gestaltet werden, dass sowohl für die Älteren als auch für die nachkommenden Generationen Leistungen entwickelt werden, die zu einem eigenständigen Leben befähigen. Dies wird nur dann möglich sein, wenn sich die Formen der Wohlfahrtsproduktion pluralisieren, wenn also neben Markt und Staat auch die Zivilgesellschaft stärker einbezogen wird. Für die Herstellung von Wohlfahrt werden künftig alle gesellschaftlichen Akteure und Institutionen benötigt.

Professor Dr. Thomas Olk ist Professor für Sozialpädagogik und Sozialpolitik sowie stellvertretender Institutsdirektor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Kontakt: thomas.olk@paedagogik.uni-halle.de

LITERATUR

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(Zugriff am 02.02.2012)

KAUFMANN, FRANZ-XAVER (1993): Generationenbeziehungen und Generationenverhältnisse im Wohlfahrtsstaat. In: Lüscher, Kurt / Schultheis, Franz (Hrsg.): Generationenbeziehungen in »postmodernen« Gesellschaften. Konstanz, S. 95-108

KOHLI, MARTIN (2009): Ungleichheit, Konflikt und Intergeneration - Anmerkungen zur Bedeutung des Generationenkonzepts in der Soziologie. In: Künemund, Harald / Szydlik (Hrsg.): Generationen. Multidisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden, S. 239-236

MANNHEIM, KARL (1928): Das Problem der Generationen. In: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie, Heft 7, S. 157-185; Heft 8, S. 309-3033

MOTEL-KLINGELBIEL, ANDREAS / WURM, SUSANNE / TESCH-ROEMER, CLEMENS (Hrsg.; 2010): Altern im Wandel. Befunde des Deutschen Alterssurveys (DEAS). Stuttgart

LEISERING, LUTZ (2000): Wohlfahrtsstaatliche Generationen. In: Kohli, Martin / Sydlik, Marc (Hrsg.): Generationen in Familie und Gesellschaft. Opladen, S. 59-76

LIEGLE, LUDWIG (2011): Generationen. In: Otto, Hans-Uwe / Thiersch, Hans (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. München/Basel. 4. Auflage, S. 510-516

SHELL DEUTSCHLAND HOLDING (Hrsg.; 2010): Jugend 2010. Eine pragmatische Generation behauptet sich. Frankfurt am Main

STATISTISCHES BUNDESAMT (2008): Ergebnisse der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden

SZYDLIK, MARC / KÜNEMUND, HARALD (2009): Generationen aus der Sicht der Soziologie. In: Künemund, Harald / Szydlik, Marc (Hrsg.): Generationen. Multidisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden, S. 7-21

WILLERT, MICHAELA / PICOT, SIBYLLE (2008): Verortung Jugendlicher in der alternden Gesellschaft. In: Hoffmann, Dagmar / Schubarth, Wilfried / Lohmann, Michael (Hrsg.): Jungsein in einer alternden Gesellschaft. Bestandsaufnahme und Perspektiven für das Zusammenleben der Generationen. Weinheim/München, S. 91-111


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2012