Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → BOXEN

MELDUNG/713: Britische Extraklasse - zumindest dem Munde nach (SB)



Tyson Fury sucht eine Abkürzung

Der moderne Boxsport, dessen Wurzeln zumindest die Briten zweifelsfrei auf der Insel verorten, hat dort traditionell sein begeisterungsfähiges Publikum. Wenngleich britische Schlachtenbummler in anderen Ländern trotz der aus ihrem Besuch generierten Umsätze nicht immer gern gesehen sind, da sie mitunter über die Stränge schlagen, ist ihre Präsenz doch bemerkenswert: Reisen auf den Kontinent oder gar in die Staaten, um ihren boxenden Landsleuten bei Auslandsauftritten aus voller Kehle den Rücken zu stärken, haben sie zahlenmäßig nahezu allen anderen Nationen voraus.

Wollte man in diesem Zusammenhang von einem Synergieeffekt sprechen, so ist dieser im Schwergewicht zweifellos mit dem Namen Klitschko verbunden. Die britische Szene in der Königsklasse erfreute sich hierzulande kaum der aktuell fokussierten Wahrnehmung, hätte das boxende Brüderpaar nicht den Fehdehandschuh des niemals mundfaulen David Haye aufgehoben. Im Kielwasser dieser über Jahre gestreckten werbewirksamen Kampagne ausgetauschter Provokationen verfielen die Weltmeister darauf, Briten als vermarktungsfähige Herausforderer ins Visier zu nehmen. Da die Amerikaner längst keinen nennenswerten Kandidaten mehr aufzubieten haben, verwandelte sich der britische Nachwuchs zusehends in einen Weidegrund der Klitschkos, die stets auf der Suche nach unverbrauchten Gegnern sind.

Dieser Trend führte fast zwangsläufig dazu, daß britische Schwergewichtler lange vor der unabdingbaren Erfahrung und Reife als Herausforderer der Ukrainer gehandelt wurden, die Kanonenfutter brauchten und dieses zum härtesten Prüfstein starkredeten. Angelockt vom Honig der Chance, katapultartig zum Titelanwärter zu avancieren und eine satte Börse mitzunehmen, offenbar aber auch geblendet vom Glanz selbstüberschätzter Bedeutung, sind Boxer mit einer überschaubaren Anzahl heil überstandener Auftritte plötzlich Weltmeister im Geiste.

Rühmliche Ausnahme war bislang der in 17 Kämpfen ungeschlagene Hüne Tyson Fury, der vor nicht allzu langer Zeit in nüchternen Einschätzung seines vorerst begrenzten Könnens auf den traditionellen Karriereweg setzte. Schritt für Schritt wollte er Erfahrungen sammeln, sich mit angemessenen Gegner hocharbeiten, vielleicht als Zwischenetappe Europameister werden, um auf lange Sicht schließlich einen Champion aufs Korn zu nehmen. Offenbar ist er dabei, dem äußeren und wohl auch inneren Druck stattzugeben und mit einer Abkürzung zu liebäugeln.

Der 23 Jahre alte Tyson Fury hat die Titel des Britischen und Commonwealth-Meisters freiwillig abgegeben, nachdem die Verhandlungen über einen Kampf gegen seinen Pflichtherausforderer David Price gescheitert sind. Statt dessen will er sich auf die Jagd nach einem Weltmeister machen. Er sei fasziniert von neuen Karriereplänen, weil er die Sache jetzt anders angehe und "wie ein Trojaner trainiere", um Champion zu werden. Trainieren wie ein Trojaner ist ein recht befremdliches weil ungewöhnliches Wortspiel, das immerhin in seinem Anklang an einen Stabreim einen gewissen Reiz haben mag. Daß er die Sache jetzt anders angehen wolle, läßt jedoch eine Wende um 180 Grad hinsichtlich seiner sportlichen Schrittfolge befürchten.

Was die gescheiterten Verhandlungen mit David Price betrifft, unterstreicht Furys Promoter Mick Hennessy, daß man sich nicht von anderen Promotern, Kampfversteigerungen und Titeln reinreden lasse. Man habe ein tolles Programm auf Channel 5 geplant, das es wert gewesen wäre, dem größtmöglichen Publikum zugänglich gemacht zu werden. Leider sei das Angebot einer Börse von 100.000 Pfund für einen Kampf unter der Regie dieses Senders zurückgewiesen worden. Tyson Fury gab die Erklärung ab, es sei eine Ehre gewesen, die beiden Titel gewonnen und erfolgreich verteidigt zu haben. Er sei jedoch inzwischen die Nummer sieben der Welt, weshalb er nun weiterziehen werde: "Wenn David Price glaubt, daß er mich schlagen kann, wäre es schlau gewesen, den Zahltag im terrestrischen Fernsehen anzunehmen."

Kurzentschlossen hat der britische Boxverband einen Kampf zwischen David Price und dem früheren Commonwealth-Champion Sam Sexton anberaumt. Während Price in zwölf Kämpfen ungeschlagen ist, stehen für seinen mutmaßlichen Gegner 15 Siege und zwei Niederlagen zu Buche. Er sei enttäuscht, daß sich Fury ihm nicht gestellt habe, da dieser Kampf beim Publikum sehr gut angekommen wäre, meint Price. Gemeinsam mit seinem Trainer sei er zu der Auffassung gelangt, daß Sexton der schwerere Gegner ist, da er eine bessere Beinarbeit habe und schneller schlage. Der Abend mit Fury wäre hingegen sehr kurz geworden, da dieser viel zu offen boxe. Das habe ihm schon in jüngerer Zeit Schwierigkeiten bereitet, die offen zutage treten dürften, sobald Fury sich mit der Weltklasse mißt. Manager Frank Maloney gibt sich natürlich überzeugt, daß sein Schützling gewinnen wird. Price sei der aufregendste britische Fighter seit Lennox Lewis. Das ist zwar maßlos überzogen, zeigt aber zugleich, auf welch hohem Niveau inzwischen in der britischen Schwergewichtsszene zumindest mit Worten gefochten wird.

10. Februar 2012