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MELDUNG/870: Goldene Tage des Mittelgewichts (SB)




Drei hochklassige Titelkämpfe in zeitlich enger Folge

Die Frage, wer der beste Boxer einer Gewichtsklasse sei, ist so alt wie der professionelle Faustkampf selbst und kaum jemals wirklich schlüssig zu beantworten. Gerade diese Ungewißheit macht die Sache so reizvoll für die Protagonisten dieser Disziplin, in deren ewiger Gralssuche nach dem wahren Champion man ihr innerstes Leitmotiv verorten könnte. Profane Lösungen, indem man beispielsweise jeden gegen jeden kämpfen läßt, verbieten sich nicht nur aus zeitlichen Gründen von selbst. Wohl beleben Turniere dann und wann das Geschäft, doch bedarf es selbst bei diesem Modus eng zugeschnittener Formate, soll das Verfahren angesichts eines Konglomerats widersprüchlicher Interessen nicht unversehens aus den Fugen geraten.

Wie es der Zufall will, kommt es Anfang September im Mittelgewicht zu der außergewöhnlichen Konstellation, daß sechs der weltbesten Akteure dieses Limits in engem zeitlichen Abstand paarweise aufeinandertreffen. Auf diese Weise dürften im direkten Duell oder Fernvergleich zumindest einige Anhaltspunkte konkretisiert werden, wie es tatsächlich um die aktuelle Rangfolge bestellt ist. Am 1. September trifft WBA-Superchampion Felix Sturm in einem Vereinigungskampf, der in Oberhausen ausgetragen wird, auf den australischen IBF-Weltmeister Daniel Geale. Am selben Tag verteidigt der reguläre WBA-Weltmeister Gennadi Golowkin seinen Titel in New York gegen Europameister Grzegorz Proksa aus Polen. Wenig später folgt dann am 15. September in Las Vegas das hochkarätige Kräftemessen zwischen dem Argentinier Sergio Martinez und Julio Cesar Chavez jun. aus Mexiko, dem amtierenden WBC-Champion in dieser Gewichtsklasse. Wenngleich Martinez, vom Ehrengürtel des RING-Magazins abgesehen, der einzige in diesem Feld von sechs renommierten Boxern ist, der gegenwärtig keinen Titel trägt, gilt er doch nach übereinstimmender Auffassung der Experten als derzeit führender Akteur im Mittelgewicht.

WBA-Weltmeister Gennadi Golowkin, der nach Lesart dieses Verbands eine Stufe unter dem Superchampion Felix Sturm rangiert, sollte ursprünglich sogar auf Dmitri Pirog treffen, den Titelträger der WBO. Dieser mußte jedoch seinen für den 25. August geplanten Auftritt verletzungsbedingt absagen. Wenngleich aufgrund dieses Mißgeschicks der Gürtel der WBO fürs erste aus dem Spiel ist, hält man den an Pirogs Stelle eingesprungenen Grzegorz Proksa doch für einen kaum weniger hochwertigen Ersatz. Dieser Auffassung ist zumindest Tom Loeffler von K2 Promotions, dem Unternehmen der Klitschkos, die nicht nur sich selbst, sondern längst auch eine Reihe anderer namhafter Boxer verschiedener Gewichtsklassen wie Gennadi Golowkin vermarkten. Proksa habe sein Talent beim Sieg über den ehemaligen Weltmeister Sebastian Sylvester eindrucksvoll unter Beweis gestellt, führt Loeffler zur Begründung an, warum die Wahl auf den Polen gefallen ist, der sich damit beim führenden US-Sender HBO in Szene setzen kann.

Wie Loeffler einräumt, sei Proksa nach dem Ausfall Pirogs allerdings der einzige namhafte Kandidat gewesen, der einzuspringen bereit war. Da Golowkins Präzision und Schlagwirkung weithin bekannt und gefürchtet seien, schreckten die meisten potentiellen Gegner vor diesem Risiko zurück. Felix Sturm wolle nicht einmal über Gennadi reden, schießt Loeffler einen Pfeil auf den Superchampion ab, der sich dem regulären Weltmeister seines Verbands früher oder später stellen muß. Für Proksa hingegen eröffne sich die ungeahnte Gelegenheit, schon jetzt um einen Titel zu kämpfen, weshalb sich dessen Team von Beginn an gesprächsbereit gezeigt habe.

Gennadi Golowkin sei bereit, gegen jeden anzutreten, und so werde er sich auch auf den gefährlichen Polen einstellen, der ihm einen spektakulären Kampf liefern dürfte. Beide boxten offensiv und könnten gewaltig zuschlagen, so daß mit Sicherheit kein langweiliges Geschiebe ohne dramatische Höhepunkte zu befürchten sei, wirbt Loeffler für das New Yorker Duell. Der Pole kämpfe breitbeinig und mit hängenden Armen, so daß sein unorthodoxer Stil häufig Vergleiche mit Sergio Martinez wachrufe. Golowkin habe daher eine harte Nuß zu knacken, werde Proksa aber letztendlich in die Schranken weisen. Beide Boxer seien jung, talentiert und mit besten Zukunftsaussichten gesegnet, doch müsse einer von ihnen am 1. September weichen. Sollte der Pole der Leidtragende sein, habe er zumindest die Chance genutzt, sein Können auf großer Bühne zu präsentieren.

16. August 2012