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MELDUNG/1555: Nicht jeden locken Weltruhm und Millionen (SB)




Kubrat Pulew - Gegenentwurf zum Superstar Klitschko

Wie alle Herausforderer Wladimir Klitschkos erfreut sich auch Kubrat Pulew unmittelbar vor dem Kampf einer Aufmerksamkeit, die das Niveau dessen haushoch übersteigt, was Medien und Publikum in der Vergangenheit von ihm wußten. Das gilt für den Bulgaren sogar in besonderem Maße, da er in einer Szene exaltierter Selbstdarsteller und medialer Wiederkäuer kaum in Erscheinung getreten ist. Zwei Ausnahmen gilt es zu nennen: Zum einen halten ihn viele Experten derzeit für den besten Schwergewichtsboxer nach Klitschko. Das mögen manche anders sehen, die muskelbepackte Nachwuchsboxer nach sechs Siegen zum Hoffnungsträger der Branche erklären oder ohnehin nur gelten lassen, was auf dem Boden ihres Nationalstolzes gedeiht. Zum andern ist er in seiner Heimat ein Volksheld, Sportler des Jahres und mit einer der bekanntesten Popsängerinnen des Landes liiert.

Pulew ist nur vier Zentimeter kleiner als der Weltmeister und bringt kaum weniger Gewicht auf die Waage. Außerdem hat er mit Dimitrenko und Ustinow bereits zwei Riesen vorzeitig besiegt. Kandidaten wie der Pole Tomasz Adamek oder der Brite Tyson Fury hatten keine Lust, sich mit dem Bulgaren zu messen, obgleich ihnen im Falle eines Sieges die Herausforderung Klitschkos winkte. Der Ukrainer selber wollte auch nicht gegen Pulew antreten, der jedoch als Pflichtherausforderer der IBF seinen Anspruch geltend machen konnte. Alle wissen, daß mit diesem Gegner nicht gut Kirschen essen ist, und gehen ihm tunlichst aus dem Weg, zumal er keinen klangvollen Namen trägt, der die Kassen klingeln ließe.

Wladimir Klitschko wird so boxen, wie man es von ihm kennt: Pulew mit der Führhand beharken und fernhalten, um ihn einzuschüchtern und irgendwann abzuschießen. Sollte ihm der Bulgare dennoch zu nahe kommen, klammert der Titelverteidiger sofort, was ihm die Ringrichter seit geraumer Zeit nahezu widerspruchslos durchgehen lassen. Also kann dem Ukrainer eigentlich nichts passieren, wie gut der Herausforderer auch immer vorbereitet sein mag. Alexander Powetkin hatte bei seiner Niederlage gegen Klitschko im vergangenen Jahr einige Male die Tür weit aufgestoßen und den Ukrainer direkt vor den Fäusten, dann aber so weiträumig geschlagen, daß Klitschko seinen Arm blockieren konnte. Ein kleines Fragezeichen bleibt daher vor dem Kampf in der Hamburger O2 World: Die Stärke des Champions, eben jene Situation nahezu auszuschließen, in der er höchst angreifbar ist, weist wie ein Leuchtfeuer den Weg - den allerdings seit zehn Jahren kein Herausforderer mehr zu Ende gehen konnte.

Der 1981 in Sofia geborene Kubrat Pulew war ein ausgezeichneter Amateurboxer, der als Angehöriger der bulgarischen Armee seit 2001 zur Spitzenklasse seines Landes gehörte. Bei den Weltmeisterschaften 2005 im chinesischen Mianyang gewann er eine Bronzemedaille, der im folgenden Jahr bei der Europameisterschaft in Plowdiw wiederum Bronze folgte. Auf dem Höhepunkt seiner Amateurlaufbahn sicherte er sich bei der Europameisterschaft 2008 in Liverpool mit vier Siegen den Titel. Nach diesem Turnier plante er, ins Profilager zu wechseln, was ihm jedoch zu diesem Zeitpunkt wegen seines laufenden Vertrags mit den bulgarischen Streitkräften noch nicht möglich war.

Nach der Amateurweltmeisterschaft 2009 unterschrieb Pulew einen Profivertrag beim deutschen Boxstall Sauerland Event und bestritt am 19. September 2009 in Neubrandenburg seinen ersten Kampf unter neuem Vorzeichen. Bei seinem dritten Auftritt besiegte er den namhaften Nigerianer Gbenga Oluokun nach Punkten. Im Jahr 2010 verbuchte der Bulgare sechs Siege, wobei er unter anderem Matt Skelton, Dominick Guinn und Paolo Vidoz in die Schranken wies. Am 5. Mai 2012 gewann er in Erfurt gegen Alexander Dimitrenko durch K.o. in der elften Runde und wurde damit Europameister im Schwergewicht. Diesen Titel verteidigte er am 29. September 2012 erfolgreich gegen den Weißrussen Alexander Ustinow, der ebenfalls in der elften Runde die Segel streichen mußte.

Im August 2013 gewann er einen Ausscheidungskampf der IBF gegen den erfahrenen US-Amerikaner Tony Thompsen klar nach Punkten und wurde Pflichtherausforderer Wladimir Klitschkos bei diesem Verband. Daraufhin legte er den Titel des Europameisters nieder. Im Dezember 2013 setzte er sich gegen Joey Abell und im April 2014 gegen Ivica Perkovic jeweils vorzeitig durch.

Zuletzt bereitete sich Kubrat Pulew mit seinem Trainer Otto Ramin im bulgarischen Rila-Gebirge auf 2000 Metern Höhe auf den bevorstehenden Titelkampf vor. Wie der 33jährige in einem aktuellen Interview unterstrich, wolle er Weltmeister werden. Hingegen strebe er nicht an, weltbekannt zu sein oder viele Millionen zu verdienen. Geld mache ihn nicht glücklich, und Sport sei für ihn kein Geschäft, sondern sein "Lebensinhalt, ein Traum, eine Manie". Immerhin stehen ihm 1,4 Millionen Dollar aus dem Kampf in Hamburg zu, die sich jedoch bescheiden gegen die 5,7 Millionen Dollar ausnehmen, die der Titelverteidiger kassiert.

Trainiert Pulew in Berlin, wohnt er im Drei-Sterne-Hotel eines Landsmanns, der längst ein Boxfan geworden ist. Das Trainingsquartier, eine frühere Schulsporthalle im Plattenbaugebiet Marzahn, mutet schlicht an, ist aber geräumig und reicht ihm vollkommen aus. Der Kontrast zu dem Weltbürger, Großverdiener und Medienstar Klitschko könnte größer nicht sein. Früher habe das Klitschko-Lager so getan, als sei Kubrat die größte Pfeife. Dabei sei er nicht umsonst die Nummer eins der IBF-Rangliste, so Trainer Ramin. Klitschko sei fünf Jahre älter als er, fügt Kubrat Pulew hinzu: "Mir gehört die Zukunft, seine Zeit ist vorbei." [1]


Fußnote:

[1] http://www.t-online.de/sport/boxen/id_71774434/boxen-klitschko-jaeger-pulew-mir-gehoert-die-zukunft.html

14. November 2014