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MELDUNG/1818: Wem passen die großen Schuhe? (SB)



Deontay Wilder träumt von der Alleinherrschaft

Wenngleich Deontay Wilder nicht ausschließen will, daß sich Tyson Fury am 28. November in Düsseldorf gegen Wladimir Klitschko durchsetzen könnte, geht er doch zu Recht davon aus, daß die boxinteressierte Zuschauerschaft vor allem an einem Kampf zwischen ihm selbst und dem Ukrainer interessiert ist. Der Brite hat zweifellos auf der Insel sein Publikum, weniger jedoch in Deutschland und gar nicht in den USA, zumal er dort bei seinem bislang einzigen Auftritt nicht gerade Bäume ausgerissen hat. Wilder ist hingegen als WBC-Weltmeister im Schwergewicht, athletische Erscheinung und recht eloquenter Sportstar den US-amerikanischen Zuschauern weithin bekannt. Das gilt zwar nicht in gleichem Maße für Klitschko, der im April bei seinem Sieg über Bryant Jennings im Madison Square Garden harsche Kritik einstecken mußte. Zusammen wären die beiden Weltmeister jedoch allemal ein attraktives Gespann, das für den bedeutendsten Kampf seit Jahren stünde, der im Schwergewicht ausgetragen wird.

Der in 24 Auftritten ungeschlagene Tyson Fury wurde bei seinem Debüt in den USA von dem körperlich unterlegenen Steve Cunningham, der problemlos im Cruisergewicht antreten könnte, auf die Bretter geschickt. Fury gewann diesen Kampf, aber nicht so sehr wegen seiner Schlagwirkung, die für einen 2,06 m großen Riesen ungewöhnlich schwach ausfällt. Vielmehr drückte und drängte er den viel kleineren Gegner so lange, bis dieser erschöpft unter den Schlägen zusammenbrach. Deontay Wilder hat 35 Kämpfe gewonnen, in denen er nur einmal über die volle Distanz gehen mußte. Er ist schnell, inzwischen technisch versiert und kann vor allen Dingen seinen Gegner mit einem Schlag ausschalten.

Wilder will unangefochtener Weltmeister aller Klassen werden, wie es früher hieß, als das Schwergewicht noch nicht zu einer langweiligen Dauerregentschaft der Klitschkos verkommen war. Er werde jedem die restlichen Gürtel abjagen, der sie zum gegebenen Zeitpunkt besitzt, am liebsten jedoch Wladimir Klitschko, hat der US-Amerikaner aus Alabama den Fahrplan für das kommende Jahr klar vor Augen. Sollte es zu diesem Duell kommen und Wilder gewinnen, hätte er ausgesorgt. Im Falle eines knappen Ausgangs wäre eine Revanche sicher eine attraktive Option, wobei der US-Amerikaner als zehn Jahre jüngerer Boxer zunehmend bessere Aussichten hätte, sich erneut durchzusetzen.

Tyson Fury wäre nach einer Niederlage gegen Klitschko kein Thema für Wilder mehr, der allenfalls dem jüngeren Cousin Hughie Fury eine Chance geben könnte. Dessen Lager hat eigenen Angaben zufolge ein Angebot des WBC-Weltmeisters ausgeschlagen, über einen Kampf zu verhandeln. Diese Entscheidung war weise, da Hughie noch schwächer als Tyson Fury schlägt und Wilder im günstigsten Fall einige Runden lang davonlaufen könnte, bis ihn ein Volltreffer von den Beinen holt. Daran wird sich auch künftig nichts ändern, doch ist ein Sinneswandel des Fury-Clans nicht auszuschließen, sollten dem älteren Sproß die Felle weggeschwommen sein. [1]

Verläuft alles wie vorgesehen, bestreitet Deontay Wilder im Januar einen weiteren Aufbaukampf gegen einen Kontrahenten, der noch gefunden werden muß. Voraussichtlich im Frühsommer folgt dann eine Titelverteidigung gegen den Pflichtherausforderer Alexander Powetkin, der als anspruchsvollste Aufgabe im Kandidatenfeld gilt. Der Russe hat zwar im Oktober 2013 gegen Wladimir Klitschko klar verloren, doch durfte der Ukrainer dabei klammern, was das Zeug hielt. In einigen Situationen kam Powetkin dem Weltmeister dennoch so gefährlich nahe wie seit Jahren kein Gegner mehr. Zudem hatte seine Vorbereitung damals noch unter wechselnden Trainern und Orten gelitten, während er nun seit geraumer Zeit im heimischen Tschechow unweit Moskau lebt und trainiert, wo er sich am wohlsten fühlt. Das könnte zu einer Stabilität beitragen, die selbst Wilder vor Probleme stellt.

Für den US-Amerikaner kommt es nicht zuletzt darauf an, sich nicht nur im Boxring in Szene zu setzen, ohne dabei dem Größenwahn zu erliegen. Längst wird er von US-amerikanischen Kommentatoren als Nachfolger Floyd Mayweathers gehandelt, der den professionellen Boxsport in den nächsten fünf bis zehn Jahren prägen dürfte. Allerdings könnten die Schuhe des wesentlich kleineren Weltergewichtlers Mayweather doch zu groß für den 2,01 m messenden Wilder sein, folgte er doch dem weltweit bestverdienenden Sportstar auf dem Fuße, der sich selbst zu einer legendären und lukrativen Marke aufgebaut hat.

Immerhin stehen die Aussichten Wilders auf den Spitzenplatz der Branche besser als die anderer Anwärter. Zwar wird Oscar de la Hoya nicht müde, sein Zugpferd Saul "Canelo" Alvarez als Nachfolger Floyd Mayweathers anzupreisen, doch hat der junge Mexikaner nicht nur klar gegen Mayweather verloren, sondern auch in anderen Fällen nicht allzu gut ausgesehen. "Canelo" kann zwar eine riesige hispanische Fangemeinde mobilisieren, ist aber als Boxer längst nicht versiert und außerhalb des Rings kaum präsentabel genug, um die Lücke zu füllen, die der scheidende Superstar hinterläßt.

Sollte es Wilder gelingen, Powetkin und Klitschko zu besiegen und damit alle Titel im Schwergewicht zu vereinigen, legte dies den Grundstein für eine langjährige Regentschaft. Die Kämpfe zwischen Wladimir Klitschko und Tyson Fury sowie Anthony Joshua und Dillian Whyte dezimieren noch vor Ende des Jahres die Konkurrenz, da die Verlierer weit abgeschlagen werden. Damit blieben noch Bryant Jennings, Carlos Takam, Viatscheslaw Glatskow, Lucas Browne, Ruslan Tschagajew, Kubrat Pulev, Luis Ortiz, Alexander Ustinow, Joseph Parker und Charles Martin, die durch die Bank schwächer als Wilder einzuschätzen sind. [2]

Zudem ist der US-Amerikaner kein langweiliger Sicherheitsboxer, sondern stets auf einen vorzeitigen Sieg aus, wofür ihm seine Schnelligkeit und enorme Schlagwirkung zustatten kommen. Er hat das Zeug, das Schwergewicht wieder zur attraktivsten Gewichtsklasse mit den höchsten Zuschauerzahlen aufzuwerten. Man sagt ihm Charisma nach, und er ist nicht auf den Mund gefallen, wobei er wahlweise gepflegt parlieren oder übel schimpfen kann. Sein einziger ernsthafter Konkurrent ist Gennadi Golowkin, der wie er keinen Gegner scheut und jeden vorzeitig besiegt. Der Kasache hat jedoch zwei Eigenschaften, die ihn ins Hintertreffen bringen: Er ist kein Amerikaner und bleibt stets höflich. Das muß zwar kein Nachteil sein, ist aber im Boxsport insofern ein Handicap, als auf dem lukrativen US-Markt einheimische Akteure bevorzugt werden, die Müll reden und ihre Gegner beschimpfen können.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/10/wilder-fury-has-a-chance-but-fans-interested-in-klitschko-wilder/#more-200346

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/10/deontay-wilder-has-right-personality-to-replace-mayweather-says-rosado/#more-200355

14. Oktober 2015


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