Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/1905: Gehegt und gepflegt (SB)



Eddie Hearn hütet sein Zugpferd Anthony Joshua

Der britische Schwergewichtler Dereck Chisora und sein Promoter Sauerland Event haben sich dafür entschieden, nicht gegen Anthony Joshua anzutreten, sondern einen Kampf um den vakanten Titel des Europameisters gegen Kubrat Pulew vorzuziehen. Da beide Boxer bei Sauerland unter Vertrag stehen, macht diese Option aus dessen Sicht insofern Sinn, als er die volle Kontrolle über die Austragungsrechte behält und sie mit keinem anderen Promoter teilen muß. Allerdings stellt sich natürlich die Frage, was langgediente Akteure mit dem zur Disposition stehenden Gürtel anfangen sollen, der doch eher eine Durchgangsstation für junge, aufstrebende Talente ist.

Indessen sind Chisora und Pulew in Kämpfen um die Weltmeisterschaft gescheitert, so daß ihre derzeitigen Aussichten gering sein dürften, eine erneute Chance zu bekommen. Der 34jährige Bulgare mußte sich im November 2014 Wladimir Klitschko in der fünften Runde geschlagen geben. Seither hat er sich gegen Maurice Harris und George Arias durchgesetzt. Chisora unterlag 2012 dem damaligen WBC-Champion Vitali Klitschko, obgleich dieser wegen einer Verletzung nur mit einem Arm kämpfen konnte. Im November 2014 bezog Chisora in einem Ausscheidungskampf der WBO eine klare Niederlage gegen seinen Landsmann Tyson Fury. Danach hat er sich gegen Andras Csomor, Jakov Gospic, Peter Erdos, Marcelo Luiz Nascimento und Beka Lobjanidze durchgesetzt, die man bestenfalls als zweitklassig einstufen kann.

Für Chisora, der 25 Auftritte gewonnen und fünf verloren hat, ist Pulew nicht nur wegen dessen Bilanz von 22 Siegen und einer Niederlage eine wenig aussichtsreiche Alternative. Wie seine Hilflosigkeit gegen Tyson Fury zeigte, kommt er mit größeren Kontrahenten schlecht zurecht. Zudem verfügt der Bulgare über einen ausgezeichneten Jab und kann sehr gut aus der Distanz boxen, so daß der Londoner enorme Probleme haben dürfte, an ihn heranzukommen.

Nach den Worten Kalle Sauerlands ging es bei der Entscheidung gegen Joshua nicht darum, ihm aus dem Weg zu gehen. Ausschlaggebend sei vielmehr der finanzielle Aspekt gewesen, da Chisora das Angebot als enttäuschend bezeichnet und abgelehnt habe. Weil der Kampf vermutlich von Sky Box Office im Pay-TV übertragen worden wäre, könnte man eine Aufteilung der Gesamtbörse je zur Hälfte für angemessen erachten. Zwar ist Joshua inzwischen in England der prominentere Boxer, doch kann Chisora für sich geltend machen, mit namhafteren Kontrahenten im Ring gestanden zu haben. Offenbar schwebte Joshuas Promoter Eddie Hearn jedoch ein geringerer Anteil für den Gegner vor. [1]

Möglicherweise bestreitet Anthony Joshua nun einen Ausscheidungskampf der IBF gegen Carlos Takam, dessen Sieger neuer Pflichtherausforderer des Weltmeisters Charles Martin werden soll. Der 29jährige hatte sich im Januar den vakanten Titel gesichert, da sein Gegner Wjatscheslaw Hlaskow wegen einer schweren Knieverletzung in der dritten Runde aufgeben mußte. Sollte es zum Kampf zwischen Joshua und dem robusten Takam kommen, hätte der Brite eine harte Nuß zu knacken.

Ginge es nach Leon Margules, dem Promoter des ungeschlagenen Charles Martin, wäre eine Abkürzung möglich. Er führt eigenen Angaben zufolge Gespräche mit Eddie Hearn über einen Titelkampf mit Anthony Joshua, der seinetwegen auch in London stattfinden könne. Er habe sein Interesse zum Ausdruck gebracht, doch wisse er nicht, ob man auf der Gegenseite für diese Option bereit sei oder den in 15 Auftritten unbesiegten Joshua zunächst Erfahrungen mit leichteren Anforderungen sammeln lassen wolle.

Im Kampf gegen seinen britischen Rivalen Dillian Whyte im Dezember konnte Joshua von Glück reden, daß sein Gegner schon zuvor an einer Schulterverletzung laboriert hatte, die sich in der zweiten Runde verschlimmerte. Wäre Whyte in der Lage gewesen, mit vollem Tempo nachzusetzen, hätte es schlecht für den Favoriten ausgesehen, der bereits im dritten Durchgang nach Luft zu ringen schien.

Das letzte Wort ist Martins Berater Al Haymon vorbehalten, der grünes Licht für einen Kampf gegen Joshua geben müßte. Da der IBF-Weltmeister dabei ein beträchtliches Risiko einginge und leichtere Optionen zur Verfügung stehen, wird wohl ein anderer Kandidat die Chance bekommen, den IBF-Weltmeister herauszufordern. Im Gespräch sind Chris Arreola, Dominic Breazeale und überraschenderweise Artur Szpilka, obgleich der Pole zuletzt gegen den WBC-Champion Deontay Wilder verloren hat. Es stünde der IBF schlecht zu Gesicht, ihm sofort den nächsten Titelkampf zu genehmigen, ohne daß er sich nach der Niederlage mit erfolgreichen Auftritten rehabilitiert hat. Da Szpilka jedoch ebenfalls mit Margules zusammenarbeitet, könnte dieser durchaus geneigt sein, der leichtesten Möglichkeit den Zuschlag zu geben. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/02/chisora-face-pulev-ebu-strap/#more-204976

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/02/charles-martins-management-interested-anthony-joshua-fight/#more-205086

8. Februar 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang