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MELDUNG/1919: Der Schrecken des Schwergewichts (SB)



Luis Ortiz überrollt auch Tony Thompson

Luis Ortiz hat seinem Ruf, als Schrecken des Schwergewichts die Konkurrenz links und rechts aus dem Feld zu schlagen, wiederum alle Ehre gemacht. Vor 4585 zahlenden Zuschauern in Washington D.C. beendete der in Miami lebende Kubaner den erschreckend einseitigen Kampf gegen den Routinier Tony Thompson in der sechsten Runde. Am 19. Dezember hatte er den Titel des Interimsweltmeisters der WBA auf so eindrucksvolle Weise gegen Bryant Jennings verteidigt, daß in der Folge niemand mehr gegen ihn antreten wollte. Am Ende fand sich Thompson bereit, trotz einer viel zu kurzen Vorbereitungszeit von nur drei Wochen mit dem Kubaner in den Ring zu steigen. Da dieser Gegner in der Rangliste nicht unter den Top 15 plaziert war, genehmigte der Verband das Duell allerdings nicht als Titelkampf.

Der in der Rechtsauslage boxende Ortiz übernahm von Beginn an das Kommando und schickte den Kontrahenten bereits in der ersten Runde mit einer wuchtigen Linken auf die Bretter. Thompson kam wieder auf die Beine, mußte aber weitere schwere Treffer einstecken, wobei ihn ein Schlag zum Körper in die Seile zurücktaumeln ließ. Er rang sich zwar ein demonstratives Grinsen ab, als könne ihn das nicht beeindrucken, doch mußte man diese Geste wohl unter Galgenhumor verbuchen, da er seinerseits kaum etwas zustande brachte.

Kurz vor Ende der dritten Runde mußte der Außenseiter nach einem nahezu identischen Treffer ein zweites Mal zu Boden gehen. Er raffte sich wiederum rechtzeitig auf, doch als im selben Moment der Pausengong ertönte, suchte er mit einem sichtlich ratlosen Gesichtsausdruck seine Ecke auf. Die vorzeitige Entscheidung nahm dann im sechsten Durchgang ihren Lauf, als Thompson den dritten Niederschlag hinnehmen mußte und mit dem Kopf auf dem untersten Ringseil zu liegen kam. Wenngleich er auch diesmal den Kampf fortsetzen wollte, hatte Ringrichter Malik Waleed genug gesehen und zählte ihn nach 2:29 Minuten der Runde aus.

Wie die Statistik von CompuBox zeigte, hatte Ortiz von 250 Schlägen 88 ins Ziel gebracht (35 Prozent), während Thompson bei 221 Versuchen lediglich 43 Treffer landen konnte (19 Prozent), von deren kaum nennenswerter Wirkung ganz abgesehen. Während der 36jährige Kubaner damit in 25 Kämpfen ungeschlagen ist, von denen er 22 vorzeitig beendet hat, stehen für den acht Jahre älteren Veteranen Thompson nun 40 Siege und sieben Niederlagen zu Buche.

Tony Thompson, der seit 17 Jahren im Profigeschäft aktiv ist, aber zum ersten Mal in seiner Heimatstadt auftrat, schien nicht in bester Verfassung zu sein, was zum einen der kurzen Vorbereitungszeit, zum anderen Knieproblemen und generell wohl auch seinem Alter geschuldet war. Da er mit zahlreichen Gegnern der Spitzenklasse im Ring gestanden hat, kann man sich seinem Urteil durchaus anschließen, daß Ortiz tatsächlich so gefährlich wie angekündigt einzuschätzen sei. Der Bursche sei stark wie ein Monster, so Thompson, der seinem Bedauern Ausdruck verlieh, vor heimischem Publikum nicht in jener Form wie auf dem Höhepunkt seiner Karriere angetreten zu sein.

Wie Ortiz versicherte, habe er sich keine Sorgen über die Standhaftigkeit seines Gegners gemacht, der ein erfahrener Boxer sei. Sein Trainer Herman Caicedo habe ihm geraten, nichts zu überstürzen, da alles seinen gewünschten Gang gehen werde. Daher habe er ein wenig geboxt und ein wenig zugeschlagen. Ihm sei völlig klar, wie man den Job zu Ende bringt. Und dabei habe er das Beste noch gar nicht gezeigt, nehme er es doch mit jedem Gegner auf. Auf sein Alter angesprochen, wies der Kubaner die Vorstellung zurück, ihm bleibe mit 36 Jahren nicht mehr viel Zeit. Der 51jährige Bernard Hopkins kämpfe noch immer auf hohem Niveau, komme es doch vor allem auf die Qualitäten eines Boxers an.

Bis spätestens 19. Juni muß Luis Ortiz seinen Interimstitel gegen den russischen Pflichtherausforderer Alexander Ustinow verteidigen, der 33 Kämpfe gewonnen und nur einen verloren hat. Nach den Worten des Vizepräsidenten der Golden Boy Promotions, Eric Gomez, strebt man eine Übereinkunft mit Ustinows britischem Promoter Frank Warren an, den Kampf am 7. Mai im Vorprogramm des spektakulären Duells zwischen Saul "Canelo" Alvarez und Amir Khan in Las Vegas auszutragen.

Gomez preist Ortiz als besten Schwergewichtler der Welt an und rühmt dessen Schnelligkeit, Wucht und Charisma. Mit Hilfe des Senders HBO werde man solange an die Türen klopfen, bis jemand aufmacht. Ortiz dränge es nach den allerbesten Kämpfen, und er habe sie auch verdient. Der Kubaner hofft, mit Golden Boy, HBO und der WBA im Rücken den Durchbruch an die Spitze zu schaffen. Das größte Problem ist derzeit, namhafte Gegner zu finden, die bereit sind, sich mit diesem gefährlichen Kandidaten zu messen. [1]

Da Thompson gemächlich zu Werke ging und nicht genügend Schlagwirkung aufbieten konnte, um Ortiz zu beeindrucken, war er kein ernsthafter Prüfstein für den Kubaner. Zudem hielt der Lokalmatador seine Deckung tief, um sich vor Schlägen zum Körper zu schützen, so daß er relativ offen für die linke Schlaghand des Gegners war. Dieser konnte sich darauf beschränken, dann und wann mit voller Wucht zuzuschlagen, was im Falle eines hochklassigen Gegners nicht reichen dürfte. Wie es um die Deckung und Kondition des Kubaners bestellt ist, blieb in diesem Kampf ebenfalls offen, in dem er nur bedingt gefordert wurde.

Wenngleich Ortiz am liebsten sofort um einen richtigen Titel kämpfen würde, wird er sich wohl den Vorstellungen der WBA fügen und mit Alexander Ustinow befassen müssen. Lucas Browne, der soeben Ruslan Tschagajew den Gürtel des regulären WBA-Weltmeisters abgenommen hat, soll im nächsten Schritt gegen den 43jährigen Fres Oquendo antreten, der an Nummer sechs der Rangliste geführt wird. Der Verband arbeitet damit eine Art Turniersystem ab, das der Kubaner nicht überspringen kann, will er WBA-Champion werden. Er muß sich also gedulden und einen Gegner nach dem anderen bezwingen, bis er an der Spitze steht. Mit dem Gürtel des Weltmeisters hielte er schließlich ein gewichtiges Argument in Händen, dem sich die Titelträger der anderen Verbände schwerlich verweigern könnten. [2]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14911888/luis-ortiz-stops-tony-thompson-sixth-round

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/03/luis-ortiz-kos-tony-thompson-6th-round/#more-206263

7. März 2016


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