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MELDUNG/2002: Die Meisterprüfung steht noch aus (SB)



Anthony Joshua wünscht sich anspruchsvollere Herausforderer

Wenngleich die wohlfeile Ansage, er wolle sich fortan nur noch mit den besten Gegnern messen, zum obligatorischen Standardrepertoire jedes aufstrebenden Boxers gehört, ist sie im Falle Anthony Joshuas mit Vorsicht zu genießen. Daß die Aufstiegschancen untrennbar mit der mehr oder minder erfolgreichen Strategie verschränkt sind, gefährlichen Kontrahenten solange aus dem Weg zu gehen, bis eine Konfrontation unvermeidlich ist, dürfte kein Geheimnis sein, auch wenn die Fangemeinde wie eh und je vom wahren Champion träumt. Wäre der Boxsport nicht von oftmals eher fadenscheinigen als substantiellen Mythen und Legenden bekränzt, träten seine Abgründe deutlich zutage, von denen man besser nichts wissen will.

Wenn Anthony Joshua dieser Tage signalisiert, er wünsche sich für seinen nächsten Auftritt im Spätherbst (endlich) einen anspruchsvollen Herausforderer, mutet das auf den ersten Blick seltsam an, ist er doch amtierender IBF-Weltmeister im Schwergewicht. Der Verdacht, er sei unter gezielter Vermeidung riskanter Kämpfe in diese Position gelangt, keimt nicht von ungefähr. Neu ist allerdings, daß der in 17 Auftritten ungeschlagene Brite durch die Blume selber einräumt, er habe es bislang mehr oder minder mit Kanonenfutter zu tun gehabt. Ob man Eddie Hearn ein Kompliment dafür ausspricht, seinem 26jährigen Aufsteiger strategisch geschickt den Weg geebnet zu haben, oder im Gegenteil harsche Kritik zuteil werden läßt, dürfte den überaus erfolgreichen britischen Promoter wenig kümmern.

Hearn scheint sich vorerst darauf eingeschossen zu haben, Joshua mit Bermane Stiverne in den Ring zu schicken, der den WBC-Titel im vergangenen Jahr an Deontay Wilder verloren hat. Der 37jährige Kanadier mit Wohnsitz in Las Vegas ist aus Sicht des Promoters von Matchroom Sports offenbar eine weitere glückliche Wahl, hat Stiverne doch nach wie vor einen recht bekannten Namen, aber zugleich den Zenit seines Könnens längst überschritten. Er wäre folglich ein bekannter Kandidat, der sich als nicht zu unterschätzende Aufgabe vermarkten ließe, aber den IBF-Champion vor keine unlösbaren Probleme stellen sollte.

Joshua selbst legt sich auf keinen bestimmten Herausforderer fest, will er sich doch wohlweislich nicht in die Nesseln setzen. Statt dessen erklärt er unverbindlich, er habe kein Problem damit, daß es inzwischen sehr ernst für ihn werde. Aus aller Welt träfen Wünsche ein, sich mit ihm zu messen. Wer immer sein Gegner im November sei, werde ihn einen weiteren Schritt voranbringen und auf das wichtige Jahr 2017 vorbereiten.

Viele Fans würden sicher den IBF-Pflichtherausforderer Joseph Parker als nächsten Gegner Joshuas bevorzugen, da der Neuseeländer jung und von imposanter Statur ist. Eddie Hearn hat Parker jedoch erst für das nächste Frühjahr eingeplant und will zuvor eine freiwillige Titelverteidigung einschieben. Da Deontay Wilder, Tyson Fury und Wladimir Klitschko vorerst nicht in Frage kommen, steht ein Kampf zur Vereinigung der Titel wohl nicht vor Sommer 2017 an. Bermane Stiverne ist freilich nicht die einzig denkbare Alternative, wären doch auch Luis Ortiz, David Haye, Carlos Takam, Jarrell Miller, Hughie Fury, Kubrat Pulew und gegebenenfalls Alexander Powetkin keine schlechte Option. [1]

Läßt man jedoch die letzten Gegner des jungen britischen Schwergewichtlers Revue passieren, zeichnet sich eher ein Fortsetzung des sattsam bekannten Musters ab. Rafael Zumbano Love, Kevin Johnson, Gary Cornish, Charles Martin und Dominic Breazeale machten gar nicht erst Anstalten, Joshua ernsthaft anzugreifen und mit Schlägen einzudecken. Sie suchten ihr Heil in Deckung und Rückzug, was ihnen schlecht bekam, da sie der Massivität der Briten rasch zum Opfer fielen. Einzige Ausnahme war Dillian Whyte, der seinen Landsmann in Bedrängnis brachte, sich dabei jedoch eine schwere Schulterverletzung zuzog, die seinen Untergang besiegelte.

So blieb die ewige Frage unbeantwortet, mit wieviel Talent Joshua tatsächlich gesegnet ist. Gemessen an seiner makellosen Bilanz durchweg vorzeitiger Erfolge drängt sich die Antwort auf, wie sie Eddie Hearn schon zu Beginn der Profikarriere seiner goldenen Gans feilgeboten hat: Dieser frische, athletische Boxer sei die Zukunft des Schwergewichts und werde es zu einem unangefochtenen Champion bringen, der eine neue Ära der Königsklasse einläute. In der Realität blieb Joshua jedoch den letzten Beweis seines Könnens bis heute schuldig, da die Mängel seiner Kontrahenten nicht zu übersehen waren.

Solange Wladimir Klitschko den Ton angab, der zwischen 2006 und 2015 das Maß aller Dinge war, herrschte Stagnation in der Königsklasse. Wenngleich inzwischen Bewegung in die Szene gekommen ist, läßt sich der fehlende Nachwuchs doch nicht in kurzen Fristen kompensieren. Als Deontay Wilder 2008 von sich reden machte, schickte man ihn auf einen sehr langen Seitenweg. Dies hat sich insofern ausgezahlt, als der 2,01 m große US-Amerikaner aus Tuscaloosa in Alabama seine eindrucksvolle Serie schneller Siege in aller Ruhe ausbauen und zum derzeit wohl besten Akteur seiner Gewichtsklasse aufsteigen konnte, dem allenfalls noch der Kubaner Luis Ortiz das Wasser reichen könnte.

Bermane Stiverne scheint nicht zuletzt deswegen Eddie Hearns Wunschkandidat zu sein, weil Anthony Joshua einen Vertrag über mehrere Kämpfe mit dem Sender Showtime abgeschlossen hat und sich dringend in den USA einen Namen machen muß, wo er dem breiteren Publikum gänzlich unbekannt ist. Wie Joshua dazu anmerkt, habe er nun gegen zwei Amerikaner in Folge gekämpft und hoffe, daß sein nächster Gegner entweder wieder ein Herausforderer aus den USA oder zumindest ein international bekannter Akteur sein wird. Auf diese Weise schaffe er die Voraussetzungen für einen späteren Auftritt vor US-amerikanischem Publikum.

Das Problem bei dieser Vorgehensweise ist allerdings, daß selbst Charles Martin in den USA kaum bekannt ist, obgleich er einige Monate sogar IBF-Weltmeister war, bis er den Gürtel Joshua überlassen mußte. Dessen erster Herausforderer war dann Dominic Breazeale, der sich augenscheinlich in England besser als zu Hause vermarkten ließ. Allerdings gibt es auch nicht allzu viele namhafte Schwergewichtler in den USA, wenn man einmal von Wilder und Luis Ortiz absieht. Der in 25 Kämpfen ungeschlagene Kubaner lebt in Miami, beschert dem Sender HBO mit seinen Auftritten beachtliche Quoten und ist als Interimschampion der WBA auf dem Sprung ganz noch oben. Da er jedoch am 17. September in Las Vegas auf den Weißrussen Alexander Ustinow trifft, ist er schon aus zeitliche Gründen vorerst kein Thema für Anthony Joshua. Davon abgesehen würde Eddie Hearn einem Kampf gegen den körperlich nahezu ebenbürtigen Kubaner niemals zustimmen, der dem Briten technisch wie auch an Schlagwirkung klar überlegen ist.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/07/anthony-joshua-wants-serious-contender-next-defense/#more-213142

13. Juli 2016


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