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MELDUNG/2041: Ausbruch aus dem goldenen Käfig (SB)



Luis Ortiz und sein Promoter gehen fortan getrennter Wege

Der Schwergewichtler Luis Ortiz und die Golden Boy Promotions gehen fortan getrennter Wege. Dem Vernehmen nach hat sich der in Miami lebende Kubaner mit einer siebenstelligen Summe aus seinem laufenden Vertrag freigekauft und kann sich nun entweder nach einem anderen Promoter umsehen oder die Vermarktung in die eigenen Hände nehmen. Wie der Sprecher von Golden Boy, Stefan Friedman, in einer Stellungnahme dazu erklärte, trenne man sich einvernehmlich. Man sei stolz auf die in gemeinsamer Arbeit erreichten Ziele wie insbesondere den Interimstitel der WBA und die erfolgreichen Titelverteidigungen. Man wünsche Luis und seinem Team alles Gute auf dem weiteren Weg.

Von Einvernehmen kann indessen kaum die Rede sein, zeugt doch die Trennung von einer Kontroverse, die nicht beigelegt werden konnte. Ortiz und sein Promoter hatten sich auf eine Titelverteidigung gegen den Pflichtherausforderer Alexander Ustinow am 17. September geeinigt, die vor großer Kulisse im Vorprogramm des Kampfs zwischen Saul "Canelo" Alvarez und Liam Smith in Arlington ausgetragen werden sollte. Da der Sender HBO die Höhepunkte der Veranstaltung im Pay-TV überträgt, wäre dies der Popularität des Kubaners sicher zugute gekommen. Wie es hieß, habe Ortiz aber auf Nachverhandlungen gedrängt und mehr Geld gefordert.

Sein Promoter lehnte jedoch eine Nachbesserung der vereinbarten Summe ab und stellte ihn vor die Wahl, entweder zu diesen Bedingungen in den Ring zu steigen oder sich aus dem Vertrag herauszukaufen. Das Team des Kubaners entschied sich für die zweite Möglichkeit und beglich die von Golden Boy geforderte Summe in mehreren Raten. Der Gründer, Mehrheitsaktionär und geschäftsführende Präsident des Unternehmens, Oscar de la Hoya, fand nach Angaben aus seinem Umfeld diese Entwicklung abstoßend, sei aber zu dem Schluß gekommen, daß das Leben zu kurz ist, um mit Leuten zusammenzuarbeiten, die getroffene Vereinbarungen nicht einhielten.

Daß ein Zerwürfnis vorlag, hatte sich bereits einige Tage zuvor abgezeichnet, als die Veranstaltungsrechte am Kampf gegen Ustinow in die Versteigerung gingen, aber Golden Boy kein Gebot abgab. So saß Wlad Hrunow im Auftrag des russischen Promoters Andrej Riabinskij als einziger Bieter im Raum und gab das Mindestgebot 600.000 Dollar ab.

Da Ortiz als Titelverteidiger 60 Prozent dieser Summe zustehen, bekommt er 360.000 Dollar, während für den weißrussischen Herausforderer 240.000 Dollar abfallen. Der Kampf könnte am 19. November in Las Vegas, Moskau oder Minsk ausgetragen werden, wobei Golden Boy dazu anmerkte, daß der Kubaner höchstwahrscheinlich weniger als bei dem ursprünglich geplanten Auftritt bekommen würde. Zum einen schlügen bei einem Kampf im Ausland höhere Steuern zu Buche, zum anderen entfielen Nebeneinkünfte, die er bei einer Veranstaltung seines eigenen Promoters bekäme.

Ob es tatsächlich zum Kampf zwischen dem 37jährigen Ortiz, der in 25 Kämpfen ungeschlagen ist, und dem zwei Jahre älteren Ustinow kommt, für den 33 Siege und eine Niederlage verbucht sind, steht derzeit noch nicht fest. Was den Streit mit seinem ehemaligen Promoter betrifft, dürften die beiderseitigen Versionen erheblich voneinander abweichen. Soweit man es anhand der bekannten Faktenlage einschätzen kann, haben die Golden Boy Promotions bei der Vermarktung des Kubaners ihre Sache nicht schlecht gemacht.

Nachdem Ortiz im Jahr 2014 durch einen Sieg in der ersten Runde über Lateef Kayode den vakanten Interimstitel gewonnen hatte, wurde er positiv auf eine verbotene Substanz getestet. Daraufhin wurde ihm der Titel aberkannt, eine Geldstrafe und eine Sperre verhängt und die Wertung des Kampfs annulliert. Golden Boy stand jedoch weiter zu ihm, verschaffte ihm nach Ablauf der Suspendierung einen Aufbaukampf und im Anschluß daran die Chance, sich den Interimstitel erneut zu sichern.

Im Vorprogramm des Kampfs zwischen Gennadi Golowkin und David Lemieux, der von HBO im Pay-TV übertragen wurde, besiegte Ortiz den überforderten Matias Ariel Vidondo in der dritten Runde und verteidigte in der Folge den wiedergewonnen Titel zweimal erfolgreich. In beiden Fällen plazierte der Promoter des Kubaners dessen Auftritte als Hauptkampf bei HBO, und so konnte Ortiz sein überragendes Können auf großer Bühne präsentieren. Im Dezember dominierte er Bryant Jennings auf eindrucksvolle Weise und schickte ihn in der siebten Runde geschlagen auf die Bretter. Anfang März mußte Tony Thompson im sechsten Durchgang die Segel streichen, worauf viele Experten der Auffassung waren, der Kubaner sei derzeit der führende Akteur im Schwergewicht. [1]

Unter diesen Voraussetzungen müßten sich andere Promoter im Grunde um Luis Ortiz reißen, dessen Zukunftspläne vorerst noch im Dunkeln liegen. Sollte der Kubaner beispielsweise bei Lou DiBella unterschreiben, wäre er zweifellos eine Bereicherung im Team des Beraters Al Haymon, der dank seines beträchtlichen Einflusses für einen Anschub sorgen könnte. Sollte Ortiz vor allem deswegen unzufrieden mit seiner Situation bei Golden Boy gewesen sein, weil ihm angesichts seines Alters nicht mehr allzu viel Zeit bleiben dürfte, um doch noch Weltmeister im Schwergewicht zu werden, wäre ihm die Ungeduld nicht zu verdenken.

Angesichts seiner ausgereiften technischen Fertigkeiten und gewaltigen Schlagwirkung wäre ihm durchaus zuzutrauen, einen der amtierenden Titelträger vom Thron zu stoßen. Mit dem Briten Tyson Fury hätte er leichtes Spiel, ein Duell mit dem WBC-Champion Deontay Wilder wäre sicher höchst attraktiv, und auch der britische IBF-Weltmeister Anthony Joshua hätte allen Grund, ihm tunlichst aus dem Weg zu gehen. Indessen ist Joshua erst 26 Jahre alt und könnte solange abwarten, bis Ortiz körperlich nachgelassen hat. [2]

Joshuas Promoter Eddie Hearn hat jedenfalls keinerlei Interesse erkennen lassen, seinen Champion mit Ortiz zusammenzuführen. Gleiches gilt für Fury und Wilder, die den Namen des Kubaners niemals nennen, wenn sie ihre Zukunftspläne darlegen. Luis Ortiz ist vorerst schlicht zu gefährlich, als daß ihm irgendein Schwergewichtler ein Angebot machen würde, der einen Gürtel zu verlieren hat. Für Alexander Ustinow sieht die Sache anders aus, da ihm im Alter von 39 Jahren ebenfalls die Felle wegzuschwimmen drohen, sollte er nicht in absehbarer Zeit einen Titelkampf bekommen. Zudem ist er von nicht minder imposanter Statur wie der Kubaner und so robust, daß er sich zumindest gewisse Chancen ausrechnen kann, diesen schweren Gang erfolgreich zu überstehen.

Sollte sich Luis Ortiz mit dem Gedanken tragen, seine Karriere in Eigenregie voranzutreiben, wäre nicht abzusehen, wie das seinen Aufstieg beschleunigen sollte. Zieht man beispielsweise in Betracht, wie lange Tyson Fury schon die Revanche mit Wladimir Klitschko verzögert hat, stünde dem Kubaner eine womöglich jahrelange Wartezeit mit ungewissem Ausgang ins Haus. Deontay Wilder kuriert derzeit seine Verletzungen aus und wird wohl erst 2017 in den Ring zurückkehren. Anthony Joshua ist mindestens bis in den Sommer nächsten Jahres verplant und wird sich auch danach hüten, die Wege des Kubaners zu kreuzen. Luis Ortiz braucht wohl oder übel einen einflußreichen Promoter, der ihm die entscheidenden Türen öffnet.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17379144/luis-ortiz-splits-golden-boy-becomes-free-agent

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/08/luis-ortiz-golden-boy-promotions-part-ways/#more-215542

30. August 2016


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