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MELDUNG/2162: Wladimir Klitschko zieht einen Schlußstrich (SB)



Exweltmeister hängt die Boxhandschuhe an den Nagel

Wladimir Klitschko hat nach reiflicher Überlegung seine Karriere beendet. Selbst die Aussicht auf einen millionenschweren Rückkampf gegen Anthony Joshua, dessen Promoter Eddie Hearn bereits den 11. November für eine Revanche in Las Vegas eingeplant hatte, konnte den Ukrainer nicht mehr umstimmen. Er habe sich für diese Entscheidung bewußt einige Wochen Zeit genommen, um genügend Abstand von dem Kampf im Wembley-Stadion zu gewinnen, so Klitschko. Als Amateur und als Profiboxer habe er sich alle Träume erfüllt. Nun wolle er seine zweite Karriere in Angriff nehmen. "Ich hätte nie für möglich gehalten, daß ich eine so lange und erfolgreiche sportliche Laufbahn haben würde." Dafür sei er sehr dankbar, und sein Dank gelte allen Menschen, die ihn stets unterstützt hätten, vor allem seiner Familie, seinem Team und seinen vielen Fans.

Wie sein langjähriger Weggefährte Bernd Bönte, Direktor der Klitschko Management Group, hervorhob, habe Wladimir nach dem außergewöhnlichen Kampf in Wembley vor einer schweren Entscheidung gestanden. Klitschko habe jedoch stets betont, daß er vom aktiven Sport zurücktreten werde, wenn es ihm eines Tages an Motivation fehle. Deswegen habe er eine goldrichtige Entscheidung getroffen. Wladimir habe als Boxer in seiner beispiellosen Karriere alles erreicht und das Schwergewicht mehr als ein Jahrzehnt lang dominiert. Er habe in ausverkauften Arenen und Stadien weltweit gekämpft und Millionen Fans hätten seine Auftritte im Fernsehen verfolgt. "Es war ein Privileg, Wladimir auf dieser einzigartigen Reise begleiten zu dürfen." [1]

Als Anthony Joshua und Wladimir Klitschko am 29. April vor 90.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion aufeinandertrafen, waren neben Sky Sports Box Office auch die rivalisierenden Sender HBO und Showtime ausnahmsweise gemeinsam mit im Boot, um den Kampf in den USA zu übertragen. Showtime, vertraglich mit Joshua verbunden, strahlte den Auftritt live aus, während Klitschkos Fernsehpartner HBO zeitversetzt zum Zuge kam. Entgegen allen Befürchtungen lieferten die Kontrahenten einander einen mitreißenden Kampf, wobei der nach langer Pause erstmals wieder auftretende Ukrainer eine glänzende Vorstellung gab. Nachdem er in der fünften Runde auf den Brettern gelandet war, schickte er den Briten im folgenden Durchgang seinerseits zu Boden, und dominierte von da an das Geschehen. Hätte er entschieden nachgesetzt und den völlig erschöpften Joshua mit Schlägen eingedeckt, wäre die Entscheidung wohl zu seinen Gunsten gefallen. Er wähnte sich jedoch klar überlegen und wollte den Sieg sicher nach Hause boxen. Dies erlaubte es dem Briten, sich wieder zu erholen und in der elften Runde über Klitschko herzufallen, um den es nach zwei weiteren Niederschlägen geschehen war. Der Ringrichter brach den Kampf ab, nachdem der Ukrainer an den Seilen einen Schlaghagel des Briten über sich ergehen lassen mußte.

Experten sprachen bereits kurz nach Ende der Ringschlacht von Wembley von einem Klassiker und stuften das Duell unter die besten zehn Schwergewichtskämpfe aller Zeiten ein. Der Erlös des Spektakels soll bis zu 50 Millionen Euro betragen haben, die beiden Akteure bekamen angeblich eine Börse von 15 bis 20 Millionen Euro. Nachdem Klitschko in den angloamerikanischen Medien in den letzten Jahren eine zunehmend schlechte Presse gehabt hatte, die ihn als gealterten, wenn nicht gar abgehalfterten Boxer charakterisierten, setzte nach dem als Schlacht von epischen Ausmaßen glorifizierten Kampf von Wembley ein kompletter Stimmungsumschwung ein. Plötzlich war der Ukrainer populär wie nie und wurde allenthalben gefeiert, obwohl er verloren hatte. Wie er selbst erklärte, hätte er nie für möglich gehalten, daß er eines Tages mit einer Niederlage viel mehr gewinnen würde als mit einem Sieg. Sportfans in aller Welt bejubelten seinen Auftritt und zeigten ihm ihre Wertschätzung. Und selbst sein Gegner habe ihm allen Respekt erwiesen. [2]

Die Erkenntnis, daß er mit diesem Streich die langjährige Kritik, seine Ära sei von Langeweile und Stagnation geprägt, vergessen machen und sich als beliebter Champion verabschieden könnte, dürfte maßgeblich zu seiner Entscheidung beigetragen haben, nicht mehr in den Ring zurückzukehren. Zudem müßte ihm klar geworden sein, daß er als 41jähriger Veteran den fast vierzehn Jahre jüngeren Briten vermutlich kein zweites Mal so dicht an den Rand der Niederlage bringen würde. Klitschkos gravierendstes Manko, im Zweifelsfall stets auf Nummer Sicher zu gehen, scheint unauflösbar eingebrannt zu sein. Selbst als Joshua so gut wie am Ende war, brachte es der Ukrainer nicht über sich, ein Risiko einzugehen, um den Sack zuzumachen.

So endet denn eine lange und zumeist erfolgreiche Karriere, deren erster Höhepunkt der Gewinn der Goldmedaille im Superschwergewicht bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta gewesen war. Danach wechselte Klitschko zusammen mit seinem älteren Bruder Vitali ins Profilager, wo er nach einer Niederlage gegen Ross Puritty wieder Tritt faßte und am 14. Oktober 2000 durch einen Sieg gegen Chris Byrd WBO-Weltmeister wurde. 2003 nahm ihm der Südafrikaner Corrie Sanders den Titel ab, und nur drei Kämpfe später bezog Klitschko eine dritte K.o.-Niederlage, diesmal durch Lamon Brewster. Sein neuer Trainer Emanuel Steward entwickelte mit ihm eine veränderte Kampfesweise, die seinen Stärken und Schwächen Rechnung trug. Die Folge waren elf Jahre ohne Niederlage sowie eine zweite Regentschaft als Weltmeister zwischen 2006 und 2015 samt einer umfangreichen Gürtelsammlung. [3]

Nach dem Tod Emanuel Stewards im Oktober 2012 zeichnete sich allmählich ein Umschwung ab, da es Klitschko zunehmend schwerer fiel, seinen Gegnern mit einer entschlossenen Offensive zuzusetzen. Im November 2015 endete die Ära des Ukrainers mit einer Niederlage gegen Tyson Fury, dem Klitschko nach einem desaströsen Auftritt einstimmig nach Punkten unterlag. Ein Rückkampf kam nicht mehr zustande, da Fury unter psychischen Problemen litt und seine Lizenz zurückgeben mußte.

Nach 27 Jahren, von denen er 21 im Profigeschäft absolviert hat, tritt Wladimir Klitschko mit einer Profibilanz von 64 Siegen und fünf Niederlagen vom Boxsport zurück. Er gehört zu den erfolgreichsten Boxern aller Zeiten, und die Dauer seiner Ära als Weltmeister wird nur von jener des legendären Joe Louis übertroffen. Gemeinsam mit seinem Bruder Vitali, der bis September 2012 WBC-Champion war, brachte er zeitweise alle Titel im Schwergewicht in Familienbesitz.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/08/video-wladimir-klitschko-ends-boxing-career/#more-239917

[2] http://www.boxingscene.com/wladimir-klitschko-retires-from-boxing-joshua-rematch-off--119132

[3] http://www.skysports.com/boxing/news/12183/10971853/wladimir-klitschko-announces-retirement-from-boxing

3. August 2017


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