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MELDUNG/2164: Rasch die Karten neu gemischt (SB)



Eddie Hearn schmiedet Pläne für Anthony Joshua

Nachdem sich Wladimir Klitschko dazu durchgerungen hat, seine Karriere zu beenden, müssen Anthony Joshua und Eddie Hearn neue Pläne schmieden. Der Promoter des Weltmeisters der WBA und IBF im Schwergewicht hat umgehend ein Konzept vorgelegt, das drei Kämpfe binnen zwölf Monaten vorsieht. Zuerst sollen die beiden Pflichtherausforderer an die Reihe kommen, worauf im Sommer 2018 ein Duell der Superlative in Aussicht steht, sofern der in 19 Profikämpfen ungeschlagene Brite bis dahin seine weiße Weste behalten hat. Der erste Kampf wird gegen Kubrat Pulew ausgetragen, der seit fast einem Jahr als Ranglistenerster der IBF auf diese Chance wartet. Er hat zwischenzeitlich Klitschko den Vortritt gelassen und dafür vermutlich eine angemessene Entschädigung erhalten. Der Verband hätte auch noch eine für November geplante Revanche zwischen Wladimir Klitschko und Anthony Joshua gestattet, doch besteht er nun darauf, daß der Bulgare aus dem Team Sauerland zum Zuge kommt. Die beiden Parteien verhandeln derzeit über Termin und Austragungsort, wobei der 28. Oktober im Millennium Stadium in Cardiff und als Alternative der 11. November in der T-Mobile Arena in Las Vegas im Gespräch sind.

Vor wenigen Tagen hat sich auch die WBA zu Wort gemeldet und Joshua eine Frist von 30 Tagen auferlegt, sich mit ihrem Ranglistenersten Luis Ortiz zu einigen. Eddie Hearn ist zuversichtlich, den Kubaner im Vorprogramm des Kampfs zwischen Joshua und Pulew unterbringen zu können, worauf er im nächsten Schritt im Februar oder März 2018 gegen den Sieger antreten soll. Wenngleich weder Pulew noch Ortiz auf die leichte Schulter zu nehmen ist, stiege der Brite doch in beiden Fällen als Favorit in den Ring. Im nächsten Sommer könnte es schließlich zum Kräftemessen mit dem WBC-Weltmeister Deontay Wilder aus den USA kommen, der Joshua vor die größten Probleme stellen dürfte. Dieser Auftritt ließe sich weltweit ungleich besser als die vorangegangenen Pflichtverteidigungen vermarkten und wäre zumindest aus heutiger Sicht das Gipfeltreffen im Schwergewicht, dessen Sieger mit Fug und Recht die alleinige Führungsposition in der Königsklasse für sich reklamieren könnte. [1]

Damit dürften die Zeiten, in denen der einflußreichste britische Promoter seinen populärsten und einträglichsten Boxer unter Vermeidung gefährlicher Gegner aufgebaut hat, endgültig der Vergangenheit angehören. Der Kampf gegen Klitschko im April war das Signal, daß der 27jährige Joshua fortan seinen Anspruch im Ring geltend machen und sich den hochkarätigsten Aufgaben stellen würde. Der neun Jahre ältere Kubrat Pulew hat eine Bilanz von 25 Siegen und einer Niederlage. Im Jahr 2014 mußte er sich Wladimir Klitschko in der fünften Runde geschlagen geben, der ihn mehrfach auf die Bretter geschickt hatte. Der Bulgare verfügt über einen ausgezeichneten Jab, der seine gefährlichste Waffe ist, während sich die Schlagwirkung seiner Rechten in Grenzen hält. [2] Groß ist die Freude bei Trainer Ulli Wegner, der früher als erwartet die Gelegenheit bekommt, ein letztes Glanzlicht seiner Laufbahn zu setzen. Für Pulew sei dies die Chance seines Lebens, und was ihn selbst betreffe, wäre ein Kampf in Las Vegas die Krönung seiner Trainerkarriere, so der 75jährige Berliner. [3]

Man kann davon ausgehen, daß Eddie Hearn andere Wege mit Joshua gegangen wäre, hätten nicht Klitschkos Rücktritt und die Auflage der WBA die Weichen neu gestellt. Wie er einräumt, habe Joshua einen anspruchsvollen Balanceakt zu bewältigen. Da sich der Champion zwischendurch keine leichteren Gegner aussuchen und auch keine Verletzung leisten kann, steht er ein ganzes Jahr lang unter Druck, um das anspruchsvolle Pensum über die Bühne zu bringen. Insbesondere die Vorgabe der WBA, sich mit Luis Ortiz zu messen, dürfte Hearn überhaupt nicht schmecken. Der in 27 Kämpfen ungeschlagene Kubaner ist zweifellos das größte Talent der aktuellen Schwergewichtsszene, mit bald 39 Jahren aber vermutlich jenseits des Zenits seines Könnens. Der Rechtsausleger ist seit sieben Jahren im Profigeschäft, ohne jemals einen Titelkampf bekommen zu haben. Sein größter Erfolg war ein vorzeitiger Sieg über Bryant Jennings im Jahr 2015, bei dem er das gesamte Repertoire seines Könnens ausspielte. Bei den folgenden Auftritten gegen Tony Thompson, Malik Scott und David Allen machte er hingegen eine schlechtere Figur, wenngleich er auch sie für sich entscheiden konnte. Viel dürfte davon abhängen, ob es Ortiz gelingt, sich für den langersehnten Titelkampf noch einmal in erstklassige körperliche Verfassung zu bringen.

Anthony Joshuas größte Schwäche sind seine Konditionsprobleme, da ihm nach einigen Runden die Luft ausgeht. Das liegt mit Sicherheit nicht an mangelhafter Vorbereitung, sondern an der Muskelmasse seines Oberkörpers, die als Ballast seine Bewegungen einschränkt und die kardiovaskuläre Versorgung bei hoher Belastung überfordern dürfte. Da Joshua weder besonders schnell noch aus der Distanz wirkungsvoll schlagen kann, muß er mit seiner physischen Wucht auf den Gegner losgehen und ihn mit einem Hagel von Schlägen bedrängen, darunter vorzugsweise dem einen oder anderen gewaltigen Uppercut, wie ihn Klitschko zu spüren bekam. Diese Konstellation führt dazu, daß dem Briten schnell die Luft ausgeht, wodurch sein Gegner zwangsläufig die Oberhand gewinnt. Im Jahr 2015 rang er im Kampf gegen seinen Landsmann Dillian Whyte bereits in der zweiten Runde sichtlich nach Atem, worauf ihn der Gegner mit einem gewaltiger Schlag ins Taumeln brachte. Hätte sich Whyte nicht dabei eine schwere Verletzung an der Schulter zugezogen, wäre Joshua wohl in der folgenden Runde am Ende gewesen. Nur noch mit einem gesunden Arm kämpfend hielt Dillian Whyte dennoch bis zur siebten Runde durch, ehe er die Segel streichen mußte.

Gegen Klitschko sah Joshua von der sechsten Runde an so erschöpft aus, daß der Ukrainer den Sieg fast schon in Händen hielt, nachdem er den Briten zu Boden geschickt hatte. Trotz des Kardinalfehlers, den angeschlagenen Joshua von der Leine zu lassen, brauchte dieser noch vier weitere Runden, bis er genügend Luft und Mut geschöpft hatte, das Blatt schließlich zu wenden. Ob Pulew der Massivität des Weltmeisters standhalten und ihn so wirksam beschäftigen kann, daß Joshua die Puste ausgeht, ist ungewiß. Ortiz schlägt gewaltig zu, hat aber inzwischen selber Probleme mit agilen Gegnern, die seine Kondition auf die Probe stellen. Spätestens bei Deontay Wilder trifft der Brite auf einen Gegner, der mit 2,01 m einige Zentimeter größer, aber dennoch leichter und wesentlich beweglicher ist. Der in 38 Kämpfen ungeschlagene US-Amerikaner mußte zwar nur ein einziges Mal über die volle Distanz gehen, ließ aber auch dabei keine Konditionsprobleme erkennen und schlug weiter sehr schnell und gewaltig zu. Wollte man von einer Schwachstelle Wilders sprechen, so ist es ausgerechnet seine gefährliche Rechte, mit der er 37 Gegner auf die Bretter schicken oder zur Aufgabe zwingen konnte. Er hat sich die Hand bereits mehrmals gebrochen und zuletzt auch einen Riß am rechten Bizeps davongetragen.

Nach Einschätzung diverser Experten war Anthony Joshua vor acht Jahren ein besserer Boxer, bevor er begann, exzessiv Gewichte zu stemmen und sich einen Muskelpanzer zuzulegen. Heute ist der Rat müßig, daß er gut beraten wäre, die hinderliche Last loszuwerden. Seine Kampfesweise und Durchsetzungsfähigkeit sind von seiner massiven Physis kaum noch zu trennen, die er nicht wie einen überflüssigen Wintermantel ablegen kann. Sollte es ihm tatsächlich gelingen, Pulew, Ortiz und sogar Wilder in die Schranken zu weisen, wäre noch Joseph Parker zu nennen. Der WBO-Weltmeister aus Neuseeland kann seinerseits gehörig zuschlagen und lernt weiter dazu, so daß er von Jahr zu Jahr gefährlicher wird. Er wünscht sich schon lange einen Kampf gegen Joshua, den er nach Lage der Dinge wohl kaum vor Ende nächsten Jahres bekommen wird. Andererseits hat Deontay Wilder ein Auge auf Parker geworfen, weshalb es schon zuvor zur Vereinigung der Titel von WBC und WBO kommen könnte. Was in der Vorschau übersichtlich anmuten mag, ist im Boxsport bekanntlich eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Schon eine Trainingsverletzung kann alle ausgefeilten Pläne über den Haufen werfen, ein ausgespielter Trumpf überraschend gestochen werden. Wer einen zuverlässigen Spielplan vermißt, ist je nach Gusto im Theater oder beim Fußball besser aufgehoben.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/08/hearns-three-fight-plan-joshua/#more-240064

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/08/hearn-joshua-face-pulev-ortiz-wilder/#more-240022

[3] https://www.welt.de/sport/boxen/article167389280/Klitschkos-Ruecktritt-laesst-eine-andere-Boxlegende-jubeln.html

6. August 2017


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