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MELDUNG/2222: Schwergewicht - Verhandlung mit harten Bandagen (SB)



Britische Übermacht treibt Neuseeländer in die Enge

Im Boxsport seien die Vereinigten Staaten früher der Nabel der Welt gewesen, so der britische Schwergewichtschampion Anthony Joshua. Wer eine internationale Karriere auf höchstem Niveau angestrebt habe, mußte einfach dort auftreten, selbst wenn er in einem anderen Land Weltmeister gewesen sei. Das habe sich inzwischen geändert, und er empfinde es als sehr angenehm, von Großbritannien aus den Markt zu steuern. Auf diese Weise könne er andere Leute reisen lassen und zu Hause vor seiner britischen Fangemeinde in den Ring steigen. Der in 20 Kämpfen ungeschlagene Titelträger der Verbände WBA und IBF beschreibt damit eine seit mehreren Jahren augenfällige Trendwende, die zumindest im Schwergewicht längst das Zentrum auf die Insel verschoben hat. Diese Entwicklung speist sich aus verschiedenen Quellen, insbesondere aber dem stetig wachsenden Einfluß des britischen Promoters Eddie Hearn und seiner sorgsam aufgebauten Goldgrube Anthony Joshua. Der populärste Boxer seines Landes wird von vielen Experten inzwischen als führender Akteur der Königsklasse gehandelt, wobei sich die Einschätzung seiner sportlichen Qualitäten zumeist mit der Verhandlungsmacht seines Promoters bis zur Verwechslung vermengt.

Wer heute im Schwergewicht sehr viel Geld verdienen will, muß in England oder Wales antreten, wo die Auftritte Joshuas riesige Arenen mit bis zu 90.000 Zuschauern und die Übertragungen im Pay-TV die Taschen der beteiligten Profiteure um so reichhaltiger füllen. Das gilt auch für die beiden anderen Weltmeister, Deontay Wilder aus den USA (WBC) und Joseph Parker aus Neuseeland (WBO), die Hearn in den Verhandlungen mit unnachgiebigen Forderungen konfrontiert. So stellt Joshua mit Blick auf den geplanten Kampf gegen Parker, der aller Voraussicht nach Ende März über die Bühne geht, kategorisch klar, daß ausschließlich ein britischer Veranstaltungsort in Frage käme. Der Promoter des Neuseeländers, David Higgins, wird zwangsläufig einwilligen, da er mit seinem Boxer nirgendwo sonst auch nur entfernt soviel verdienen könnte.

Damit ist Anthony Joshua abermals der Heimvorteil sicher, der in seinem Fall eine besonders wichtige Rolle spielt. Als er am 29. April im Londoner Wembley-Stadion beim Kampf gegen Wladimir Klitschko konditionell eingebrochen und auf der Verliererstraße war, feuerte ihn das Publikum in der zehnten Runde noch immer euphorisch an. Dies dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, daß der Weltmeister letzte Kräfte mobilisierte, den Ukrainer mit einem gewaltigen Uppercut erschütterte und schließlich in der folgenden Runde geschlagen auf die Bretter schickte. Man kann zumindest vermuten, daß Klitschko bei einem Auftritt vor seiner eigenen Fangemeinde in Deutschland das Heft bis zuletzt in der Hand behalten hätte.

Auch die Annahme, Higgins und Parker hätten bei der Aufteilung der Einkünfte bessere Karten, wenn sie sich schon bereit erklärten, auf Reisen zu gehen, steht auf tönernen Füßen. Wenngleich die beiden im Laufe der monatelangen Verhandlungen andere Optionen ins Spiel gebracht haben, war dies zu keinem Zeitpunkt ein echtes Druckmittel. Da hilft ihnen auch die Erfahrung nicht weiter, daß der Neuseeländer beim Titelgewinn im Kampf gegen Andy Ruiz vor Jahresfrist nicht zuletzt dank seines Heimvorteils die Oberhand behalten hat. Als das Gefecht in den letzten drei Runden auf Messers Schneide stand, trieben die Zuschauer den Lokalmatador voran und ins Ziel. In den Gesprächen mit Joshuas Promoter sitzen sie definitiv am kürzeren Hebel, da der erhoffte Aufstieg in den Fokus der Branche für Parker nur über den britischen Rivalen führt. [1]

Joshuas erklärtes Ziel, sämtliche Titel im Schwergewicht in seinen Händen zusammenzuführen, setzt Kämpfe gegen Joseph Parker und Deontay Wilder auf die Tagesordnung, aber definitiv nicht um jeden Preis. Wie sich inzwischen abzeichnet, haben sich Hearn und Higgins darauf geeinigt, daß Parker lediglich zwischen 30 und 35 Prozent der Einkünfte bekommt. Die Neuseeländer verlangten ursprünglich 40 Prozent und zogen dann bei 35 Prozent eine rote Linie, hinter die sie keinesfalls zurückweichen würden. Hearn sprach dennoch von überzogenen Forderungen und hat die Gegenseite nun weiter in die Defensive gedrängt. Da über die genaue Größenordnung der Aufteilung bislang Stillschweigen gewahrt wird, steht zu vermuten, daß Parkers Marge nur bei knapp über 30 Prozent angesiedelt ist.

Eddie Hearn hat den Durchbruch in den Verhandlungen offenbar mit Hilfe einer Karotte herbeigeführt, die er Parker vor die Nase hängt. Sollte der Neuseeländer nämlich gewinnen, erhielte er nach Angaben des britischen Promoters beim Rückkampf 55 Prozent der Einkünfte. Und selbst im Falle einer knappen Niederlage, bei der sich Parker gut geschlagen hat, bekäme er eine Revanche und würde dabei eine Menge Geld verdienen, so Hearn. Wie er offen einräumt, soll dieses Lockmittel dem WBO-Champion vor Augen führen, was er erreichen könne, um ihn zu veranlassen, den Bedingungen für den kommenden Kampf zuzustimmen. Was auf den ersten Blick wie ein Teilerfolg der schwächeren Seite in diesem Armdrücken aussehen mag, erweist sich bei näherer Prüfung als eine Konstruktion, bei der Eddie Hearn weitgehend die Kontrolle behält.

Von einer vertraglich vereinbarten Garantie auf eine Revanche, die beide Boxer in Anspruch nehmen könnten, ist nämlich bislang nicht die Rede. Während sich die Briten diese Option zweifellos sichern werden, gilt das offenbar nicht für Parker, sofern er verliert. Dann können nach Lage der Dinge Joshua und Hearn entscheiden, ob der Auftritt des Neuseeländers gut genug für eine zweite Chance war. Wahrscheinlich würden sie das verneinen und sich ihrem Plan zuwenden, Tyson Fury und Deontay Wilder oder vielleicht auch den Russen Alexander Powetkin aufs Korn zu nehmen, dessen wohlhabender Promoter viel Geld einbringen dürfte. Mithin muß sich Parker also beim ersten Kampf mit einem geschrumpften Anteil begnügen und kommt nur dann in den Genuß der erwähnten 55 Prozent bei einer Revanche, sofern er Joshua besiegt. [2]

Wenngleich natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß sich der Neuseeländer durchsetzen kann, sind seine Aussichten unter den genannten Voraussetzungen eher gering. Er gilt als der schwächste der drei Weltmeister und hat zuletzt bei seiner erfolgreichen Titelverteidigung gegen Hughie Fury keine überzeugende Vorstellung geboten. Das lag freilich nicht zuletzt daran, daß der Cousin Tyson Furys vor allem klammerte oder weglief, so daß Parker kaum zur Entfaltung kam. Er kann recht beweglich boxen und zudem gewaltig zuschlagen, doch ob das ausreicht, um eine Dampfwalze wie Anthony Joshua zu bezwingen, darf bezweifelt werden.

Wladimir Klitschko hat die Schwächen des Briten offengelegt, der nach sechs Runden konditionell am Ende war und einem rückhaltlosen Ansturm des Ukrainers kaum standgehalten hätte. Sollte es dem Neuseeländer gelingen, dem Favoriten solange Paroli zu bieten, bis diesem die Luft ausgeht, könnte seine Stunde schlagen. Von einem frühen Glückstreffer abgesehen dürfte das jedoch die einzige Konstellation sein, die dem Außenseiter in die Hände spielen könnte. Das ist natürlich auch der Gegenseite bekannt, und so hat Joshua in den sozialen Medien Bilder gepostet, auf denen er etwas schlanker als zuvor wirkt. Angeblich geht er diesmal tatsächlich daran, sein Gewicht zu reduzieren, um beweglicher und konditionsstärker zu werden. Dieselbe Meldung kursierte allerdings auch vor dem Kampf gegen Carlos Takam, bei dem der Brite dann das höchste Gewicht seiner Karriere auf die Waage brachte.

Anthony Joshua hat seit Beginn seiner Profilaufbahn sehr viel Muskulatur aufgebaut, die ihn langsamer, unbeweglicher und konditionsschwächer gemacht hat. Andererseits ist seine Kampfesweise darauf angelegt, den Gegner mit seiner Masse zu bedrängen und solange auf ihn einzuschlagen, bis er umfällt oder aufgeben muß. Der vielzitierte Rat, er müsse unbedingt diesen Muskelpanzer abbauen, um ein erstklassiger Boxer zu werden, macht insofern die Rechnung ohne den Wirt, als sich solche mit viel Arbeit am Eisen aufgebaute Körperstrukturen insbesondere bei einem Leistungssportler nicht ohne Folgeprobleme kurzfristig reduzieren lassen. Vor allem aber steht zu erwarten, daß Joshua gar nicht anders erfolgreich kämpfen kann, als unter Einsatz dieser Wuchten, selbst wenn sie ihn zu einem erheblichen Teil selbst einschränken.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/12/joshua-says-parker-fight-must-take-place-uk/#more-251832

[2] http://www.boxingnews24.com/2018/01/hearn-luring-parker-rematch-carrot-joshua-fight/#more-251866

1. Januar 2018


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