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MELDUNG/2275: Schwergewicht - nur nichts dem Zufall überlassen ... (SB)



Joseph Parker will Dillian Whyte auf die Bretter schicken

Wenn du im Hinterhof deines Gegners kämpfst, ist es keine Option, dich auf die Entscheidung der Punktrichter zu verlassen. Sobald du darauf vertraust, hast du schon verloren, es sei denn, du sorgst mit einem K.o. für klare Verhältnisse.

Wie diese deutliche Ansage Joseph Parkers zeigt, will der Neuseeländer bei seinem Kampf gegen Dillian Whyte am 28. Juli in der Londoner O2 Arena nichts dem Zufall überlassen. Der 26 Jahre alte ehemalige WBO-Weltmeister im Schwergewicht, für den 24 Siege und eine Niederlage zu Buche stehen, ist sich im klaren darüber, daß es ein Fehler wäre, beim Heimspiel seines vier Jahre älteren Kontrahenten ein ausgewogenes Urteil zu erwarten, sofern der Kampf über zwölf Runden geht. Whyte, der 23 Auftritte gewonnen und einen verloren hat, führt die aktuelle WBC-Rangliste an und steht beim einflußreichen britischen Promoter Eddie Hearn unter Vertrag, in dessen Plänen er vorerst eine wichtige Rolle spielt. Das sind Pluspunkte, die Parker nicht kompensieren kann, falls er die Entscheidung in der Hände der Punktrichter legt.

Der Neuseeländer weiß, wovon er spricht, hat er doch zuletzt in einem Kampf zweier Weltmeister am 31. März im Principality Stadion von Cardiff gegen Anthony Joshua nach Punkten verloren. Das Wagnis, sich mit dem Titelträger der Verbände WBA und IBF in einer britischen Arena zu messen, machte sich nicht bezahlt, wenn man einmal von der finanziellen Seite absieht. Wenngleich der in 21 Kämpfen ungeschlagene Joshua die größere Börse einstreichen konnte, verdiente der Gast doch bei diesem Auftritt mehr als je zuvor in seiner Karriere. Parkers Einschätzung, daß er in sportlicher Hinsicht über den Tisch gezogen worden sei, ist nicht aus der Luft gegriffen, wurde er doch vom Ringrichter klar benachteiligt.

Der Referee hinderte beide Akteure systematisch daran, dicht am Gegner zu boxen, indem er jedesmal sofort eingriff und die Boxer trennte, sobald sich eine solche Situation ergab. Was wie ein übertriebenes Bemühen um eine saubere Kampfesweise bei Gleichbehandlung der Kontrahenten anmuten mochte, erwies sich als klare Benachteiligung des Neuseeländers. Anthony Joshua konnte seine deutlich größere Reichweite ausspielen und mit dem Jab aus der Distanz arbeiten, da Parker daran gehindert wurde, den Abstand zu verkürzen, um sich in eine für ihn günstige Position vorzuarbeiten. Der WBO-Champion hatte seine besten Szenen, wenn er schneller als der Ringrichter war, und versetzte dem Favoriten in solchen Fällen etliche handfeste Treffer. Obgleich das natürlich nicht zwangsläufig bedeutet, daß Joshua unter regulären Umständen verloren hätte, konnte er doch von Glück, um nicht zu sagen Protektion reden, daß ihm der Neuseeländer weitgehend vom Leib gehalten wurde.

Im Falle Dillian Whytes muß Parker zwar wiederum mit einer geringeren Reichweite klarkommen, doch ist der Unterschied längst nicht ausgeprägt wie im Kampf gegen Joshua. Höchstwahrscheinlich wird Whyte ebenfalls versuchen, seine etwas längeren Arme zu nutzen, um aus der Distanz zu punkten. Wenngleich der Brite schon diverse Gegner vorzeitig besiegt hat, verfügt er über keine außergewöhnliche Schlagwirkung, sondern zermürbt seine Gegner mit einer Vielzahl von Treffern, denen sie schließlich zum Opfer fallen. Dabei kommen ihm Kontrahenten entgegen, die sich relativ wenig bewegen und ein statisches Ziel bieten, so daß er sie wiederholt traktieren kann. Über die Fähigkeit, einen Gegner mit einem einzigen präzisen und wuchtigen Schlag außer Gefecht zu setzen, verfügt er hingegen nicht, sofern es sich nicht gerade um einen Akteur mit besonders schwachen Nehmerqualitäten handelt. Zwar sind seine Körpertreffer nicht von schlechten Eltern, doch öffnet er dabei seine Deckung weit für Konter des Gegners. [1]

Parker dürfte über die erforderliche Beweglichkeit, Schnelligkeit und Schlagwirkung verfügen, um diesen Kampf zu dominieren. Ob diese Vorteile ausreichen, am Ende die Oberhand zu behalten, ist dennoch fraglich. Als sich Dillian Whyte vor zwei Jahren in Manchester umstritten gegen seinen Landsmann Dereck Chisora durchsetzte, sahen viele Experten darin ein Geschenk an jenen Boxer, der für Eddie Hearn nicht gerade unverzichtbar, aber doch als Torwächter Anthony Joshuas zu wichtig ist, um ihn scheitern zu lassen. Das soll nicht bedeuten, daß Matchroom Boxing direkten Einfluß auf das Ergebnis genommen hätte, doch reicht schon der Trend und damit auch die Beteiligung diverser Akteure, in diesem Fahrwasser mitzuschwimmen, um Weichen zu stellen.

Der Neuseeländer geht davon aus, daß ihm Whytes Kampfesweise entgegenkommt. Der Brite greife gern an und versuche, viele Schläge an den Mann zu bringen. Dabei werde er früher oder später einen Fehler machen und in einen schweren Konter laufen. Allerdings steht zu erwarten, daß sich Dillian Whyte dieser Gefahr bewußt ist und zumindest in der Anfangsphase versuchen wird, aus der Distanz zu boxen, um einen Vorsprung herauszuarbeiten. Daher dürfte Parker kaum etwas anderes übrigbleiben, als seinerseits in die Offensive zu gehen, um einen entscheidenden Treffer zu landen. Allzu leicht dürfte das nicht werden, hat doch Anthony Joshua seinerzeit sieben Runden gebraucht, um seinen Landsmann auszuschalten. Damals hatte sich Whyte nach starkem Auftakt an der linken Schulter verletzt und mußte den Kampf von der dritten Runde an mit nur einem funktionstüchtigen Arm bestreiten. Joseph Parker bekommt es hingegen mit einem Kontrahenten zu tun, der im Vollbesitz seiner Kräfte sein dürfte. Zudem hat Brite sehr viel zu verlieren und wird alles daransetzen, seine Position an der Spitze der WBC-Rangliste und damit als Anwärter auf einen Titelkampf mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/06/joseph-parker-aiming-to-ko-dillian-whyte-on-july-28/#more-265747

27. Juni 2018


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