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MELDUNG/2276: Schwergewicht - Verwirrspiele ohne Ende ... (SB)



Kampf zwischen Joshua und Wilder für 2018 gestorben

Obgleich der seit langem geforderte und seit Monaten verhandelte Kampf der beiden Schwergewichtsweltmeister Anthony Joshua (WBA, WBO, IBF) und Deontay Wilder (WBC) zumindest für 2018 gestorben ist, hat der britische Promoter Eddie Hearn gleich die nächste Hintertür geöffnet. Dem WBC-Champion stehe es nach wie vor frei, den Vertrag zu unterzeichnen, doch werde das Duell zur Vereinigung aller vier Titel erst am 13. April im Londoner Wembley-Stadion über die Bühne gehen. Die pauschale Börse in Höhe von 15 Millionen Dollar für Wilder habe weiterhin Bestand. Daß Joshua dabei nicht nur den Heimvorteil, sondern auch die weitaus höheren Einkünfte für sich beanspruchen könnte, begründet sein Promoter damit, daß er mehr Gürtel einbringe als sein Gegner. Unerwähnt läßt er dabei, daß es den meisten Boxfans relativ egal ist, wer wie viele Titel besitzt. Sie interessieren sich vor allem dafür, wer der beste Akteur einer Gewichtsklasse ist. Zwar sind die Meinungen diesbezüglich durchaus geteilt, doch halten viele den in 40 Kämpfen ungeschlagenen US-Amerikaner, der nur einmal über die volle Distanz gehen mußte, für den besseren Boxer. Er hat sich zuletzt gegen den gefährlichen Kubaner Luis Ortiz durchgesetzt, während Joshua um ein Haar gegen den 41jährigen Wladimir Klitschko verloren hätte und beim Sieg über den WBO-Weltmeister Joseph Parker vom Ringrichter klar bevorteilt wurde.

Daß ein Kampf zwischen Joshua und Wilder auf britischem Boden ausgetragen werden sollte, macht für beide Seiten Sinn. Nur dort ist der Boxboom so ausgeprägt, daß die beiden eine riesige Arena mit 80.000 Zuschauern füllen und im Pay-TV sensationelle Quoten erzielen könnten. Absurd ist hingegen das Angebot von 15 Millionen Dollar für Wilder anstelle einer angemessenen prozentualen Aufteilung der Einkünfte. Mit 55:45 Prozent wären beide gut bedient, zumal der WBC-Weltmeister bereits von der Forderung Abstand genommen hat, die Hälfte zu bekommen. Joshua soll mehr Geld erhalten, da er das britische Publikum zieht, doch hilft ihm andererseits auch der prominente Gegner dabei, die Gesamtsumme hochzutreiben. In den sozialen Medien nimmt Wilder denn auch kein Blatt vor den Mund und macht das unzumutbare finanzielle Angebot der Briten für das letztendliche Scheitern der Verhandlungen verantwortlich.

Geht man davon aus, daß der Kampf über 100 Millionen Dollar einspielen dürfte, entsprächen die angebotenen 15 Millionen für Wilder einer Aufteilung im Verhältnis 85:15. Dies läge selbst unter den 25 Prozent, die einem Pflichtherausforderer zustünden, so daß Wilder, obgleich er ebenfalls Weltmeister ist, gnadenlos über den Tisch gezogen würde. Das ist nicht nur unzumutbar, sondern geradezu beleidigend für den US-Amerikaner, was darauf schließen läßt, daß Hearn diesen Kampf nie wirklich wollte, da er offenbar um seinen prominentesten und einträglichsten Boxer fürchtet. Hätte Wilders Team dennoch unterschrieben, wäre der britische Promoter sicher mitgegangen, da Joshua rundum im Vorteil gewesen wäre. So aber hat Eddie Hearn jener Entwicklung Vorschub geleistet, die ihm offenbar am liebsten ist.

Wollte Wilder hoch pokern, könnte er natürlich eine angemessene Aufteilung der Börse verlangen und darauf hoffen, daß Joshuas Stern in der Gunst des Publikums sinkt, wenn er den Kampf fortgesetzt verweigert. Ob das funktionieren würde, ist jedoch ungewiß, zumal die ausschlaggebenden britischen Fans ihrem Favoriten bislang unerschütterlich die Treue gehalten haben. Hearn und Joshua sitzen definitiv am längeren Hebel, da sie auch mit anderen Kontrahenten viele Millionen einfahren können, was umgekehrt nicht für Wilder gilt. Boxen ist in den USA nur noch ein Nischensport, der sich ausschließlich in bestimmten spektakulären Konstellationen gut vermarkten läßt.

Nach monatelangem Hin und Her zwischen den beiden Lagern hat der Verband WBA ein Machtwort gesprochen und eine Titelverteidigung Anthony Joshuas gegen den Pflichtherausforderer Alexander Powetkin angeordnet. Will der Brite diesen Titel nicht am grünen Tisch verlieren, muß er gegen den Russen antreten. Diese Entwicklung eröffnet ihm einen eleganten Ausweg, da sie eine recht handfeste Begründung dafür liefert, in diesem Jahr nicht gegen Wilder anzutreten, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Natürlich könnte Joshua auf einen baldigen Kampf der Weltmeister bestehen und auf den Gürtel der WBA verzichten, wenn ihm denn wirklich so viel daran läge, die Frage der Vorherrschaft im Schwergewicht sofort zu klären. Sich den aberkannten Titel hinterher von dem neuen WBA-Champion wiederzuholen, sollte doch ein lösbares Problem sein. Anthony Joshua hat zwar immer wieder betont, daß er besser als Wilder sei und das liebend gern unter Beweis stellen würde. Er hat sogar in Aussicht gestellt, für 50 Millionen Dollar gegen den Erzrivalen anzutreten, was wohl eher nicht mit Eddie Hearn abgestimmt war. Letzten Endes macht Joshua jedoch genau das, was seinem Promoter vorschwebt, der ihn bislang sicher durch alle Untiefen geleitet und an die Spitze geführt hat. [1]

Entsprechendes dürfte auch für Deontay Wilder gelten, wobei die Verhältnisse auf seiner Seite erheblich komplizierter sind. Sein Promoter ist Lou DiBella, sein Berater Shelly Finkel tritt in der Regel als Verhandlungspartner auf, doch im Hintergrund zieht der einflußreiche Al Haymon die Fäden, der die Öffentlichkeit vollständig meidet. Diese Konstellation könnte ein maßgeblicher Grund dafür sein, daß der Entscheidungsprozeß quälend langsam verlief und teilweise kaum noch nachzuvollziehen war. Wenngleich es Verhandlungen in dieser Größenordnung natürlich an sich haben, daß Außenstehende die maßgeblichen Vereinbarungen erst erfahren, wenn die Unterschriften geleistet sind, schossen diese Gespräche doch den Vogel an Verwirrung ab, was mitunter auch für die Beteiligten zu gelten schien. So reiste Eddie Hearn zu Verhandlungen in die USA, die dann doch nicht stattfanden, und auf Meldungen, man habe sich so gut wie geeinigt, folgten Dementis, ohne daß die Gründe klar geworden wären.

Da Alexander Powetkin bereits seit Anfang April Pflichtherausforderer ist, aber durch die zähen Verhandlungen zwischen Joshua und Wilder hingehalten wurde, ist nachvollziehbar, daß die WBA schließlich die Reißleine gezogen und Joshua zu diesem Kampf aufgefordert hat. Zumindest geht aus der Begründung des letztendlichen Ultimatums hervor, daß man Hearn eine Frist eingeräumt habe, sich mit Wilder zu einigen, aber nun nicht länger warten wolle. Kommentatoren, die Joshua stärker als Wilder einschätzen, gehen ihrerseits davon aus, daß Finkel den Kampf verhindert habe, weil der WBC-Champion noch nicht reif für dieses Wagnis sei. Sie argumentieren, daß die Verzögerungen zu einem erheblichen Teil auf Finkels Konto gegangen seien, der beispielsweise eine Woche gebraucht habe, um einen Vertrag nicht unterschrieben zurückzuschicken, weil angeblich noch einige kleine Änderungen erforderlich sein. In Zeiten des Handys und der Email sei schlichtweg nicht nachvollziehbar, warum Wilders Manager nicht den kurzen Weg der Kommunikation gewählt habe.

Eddie Hearn hat Wilder sogar 5 Millionen Dollar für einen zwischenzeitlichen Kampf gegen einen Kontrahenten seiner Wahl angeboten, was sich zu den 15 Millionen für das Duell mit Joshua addieren würde. Das wäre zusammengenommen mehr Geld, als der WBC-Champion bislang in seiner gesamten Karriere verdient hat. Und da Wilder für seine Titelverteidigung gegen Gerald Washington nur 900.000 Dollar eingestrichen hat, klingt das zunächst nach einer attraktiven Offerte. Wie es weiter heißt, sei Dominic Breazeale schon vor Joshuas Kampf gegen Parker im April als Herausforderer Wilders angeheuert worden, so daß der US-Amerikaner in der Folge mit gezinkten Karten gespielt habe, als die Gespräche mit Eddie Hearn geführt. Und wer all das höchst verwirrend findet muß sich überdies sagen lassen, daß umgekehrt auch Gerüchte kursieren, das britische Team sei schon frühzeitig mit Alexander Powetkin einig geworden. [2]

Kann man daraus schließen, daß die Verhandlungen zwischen Eddie Hearn und Shelly Finkel ein bloßes Scheingefecht waren, da beide Lager längst andere Optionen ansteuerten? Auch das ist ungewiß, zumal es durchaus gängiger Praxis entspräche, sich für den Fall gescheiterter Verhandlungen eine Alternative offenzuhalten. Es drängt sich der Verdacht auf, daß konventionelle Vorstellungen, wie solche Geschäftsbeziehungen funktionieren, den realen Verhältnissen schlichtweg nicht gewachsen sind. Bekannt ist indessen, daß Eddie Hearn das Boxgeschäft im Vereinigten Königreich, aber auch in den USA mit einem innovativen Vermarktungskonzept aufmischen will. Er hat einen Vertrag mit dem rasant expandierenden Streamingdienst DAZN abgeschlossen, der bei einer Laufzeit von acht Jahren mit insgesamt einer Milliarde Dollar dotiert ist. Matchroom Boxing will von September an je 16 Veranstaltungen auf der Insel und in den USA pro Jahr präsentieren, wobei die Kämpfe nicht im Pay-TV, sondern den Kunden gegen eine monatliche Gebühr angeboten werden.

Der britische Promoter muß zu diesem Zweck auch namhafte US-amerikanische Boxer unter Vertrag nehmen, die das dortige Publikum interessieren. Da der Streamingdienst DAZN keine neuen Ressourcen schafft, sondern ein Investitionsmodell ist, das auf vorhandene Bestände in diversen Sportarten zugreift und sich unter Verdrängung anderer Medien durchzusetzen versucht, hat sich der britische Promoter auf einen Kriegszug begeben, der ihn auf Kollisionskurs mit maßgeblichen Konkurrenten im Boxgeschäft der USA führt. Die ungewöhnlich zähen Verhandlungen mit Deontay Wilders Team könnten ein Vorbote dieser Konfrontation mit Al Haymon und anderen einflußreichen US-amerikanischen Akteuren sein.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/06/hearn-says-deontay-wilder-can-still-sign-contract-for-joshua-fight/#more-265980

[2] www.boxingnews24.com/2018/06/deontay-wilder-holding-the-wba-and-heavyweight-division-to-ransom/#more-265957

30. Juni 2018


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