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MELDUNG/2296: Mittelgewicht - Fallenstellen in Las Vegas ... (SB)



"Canelo" kann in der Spielerstadt nicht nach Punkten verlieren

Selten hat ein Kampf derart kontroverse Einschätzungen nach sich gezogen, wie die Revanche zwischen Gennadi Golowkin und Saul "Canelo" Alvarez in Las Vegas - wenn man einmal von ihrem Unentschieden vor Jahresfrist absieht, das auf einem krassem Fehlurteil beruhte. Während diesmal eine Minderheit von einem klaren und hochverdienten Punktsieg des Mexikaners sprach, waren die meisten namhaften Experten und der überwiegende Teil des Publikums der Auffassung, der Kasache sei abermals über den Tisch gezogen worden. Teddy Atlas von ESPN, der ihn im Vorfeld noch harsch kritisiert und einen Sieg "Canelos" vorhergesagt hatte, notierte in seiner persönlichen Wertung 117:111 zugunsten Golowkins. Ähnlich äußerten sich weitere renommierte Fachleute, die allenfalls ein Unentschieden für eine angemessene Bilanz hielten. [1] Legt man die Reaktion des Publikums in der mit rund 20.000 Zuschauern ausverkauften T-Mobile Arena zugrunde, sprachen die heftigen Mißfallenskundgebungen bei Verkündung des Urteils eine eindeutige Sprache, zumal es sich eigentlich um ein ausgesprochenes Heimpublikum des Mexikaners handelte. Noch heftiger fiel der Shitstorm in den sozialen Medien aus, da sich die interessierte Netzgemeinde seit Tagen unablässig auf die ihrer Meinung nach eklatante Begünstigung "Canelos" einschießt.

Führt man sich die Aufzeichnung des Kampfs zu Gemüte, zeichnet sich ein hochklassiges und bis zum Schlußgong spannendes Duell ab, in dem keiner von beiden durchgängig dominierte, aber Golowkin häufiger und vor allem härter traf. Wenngleich ihm angelastet wurde, er sei zu häufig zurückgewichen, diente dieses Manöver bei näherem Augenschein doch vor allem dem Zweck, die passende Distanz für seine größere Reichweite wiederherzustellen, wenn ihn "Canelo" bedrängte. Der Kasache schlug durchgängig einen harten Jab, der häufig sein Ziel fand, und kam in der zweiten Hälfte des Kampfs immer besser zur Geltung, da der Mexikaner zusehends ermüdete. Wenngleich Golowkin diverse Körpertreffer einstecken mußte, gibt doch die Zeitlupe Aufschluß über die beiderseitige Wirkung der Schläge. Vieles, was von den Anhängern des Mexikaners euphorisch als Volltreffer gefeiert und offenbar auch von den Punktrichtern so wahrgenommen wurde, landete auf der Deckung, ging daneben oder konnte den Gegner nicht ernsthaft beeinträchtigen. Auch der Kasache steckte allerhand ein, teilte aber noch mehr aus, so daß man ihm abermals den Zuschlag geben kann.

Die akute Gefahr, daß sich dieser Eindruck auf breiter Front durchsetzen könnte, dürfte "Canelos" Promoter Oscar de la Hoya maßgeblich dazu bewogen haben, in einem offenen Brief um die Wiedergewinnung der Deutungsmacht zu ringen. Wie er polemisiert, wäre es eben nicht Boxen, wenn nicht Tausende von Keyboard-Kriegern in den Stunden und Tagen, nachdem "Canelo" seine Ägide als einer der besten Boxer aller Zeiten untermauert habe, kompletten Unsinn verbreiteten. Die drei Punktrichter seien sorgsam von der zuständigen Sportkommission von Nevada ausgewählt worden, um der Kritik nach dem ersten Kampf Rechnung zu tragen und das denkbar fairste Gremium zu garantieren. Selbstverständlich könne auch Golowkin in Las Vegas gewinnen, er müsse nur eine höhere Stufe des Könnens erklimmen und besser als sein Gegner kämpfen, um sich einen Sieg im Mekka des Boxsports zu verdienen. [2]

Wie alle erfolgreichen Promoter versucht auch Oscar de la Hoya, seinen populärsten und einträglichsten Boxer wortreich und ohne Rücksicht auf kritische Einwände in den Himmel zu heben. Wenngleich "Canelo" natürlich insbesondere von der begeisterungsfähigen mexikanischen Fangemeinde beiderseits der Grenze profitiert, wäre sein Aufstieg zum beliebtesten Boxer seines Landes doch ohne den Einfluß der Golden Boy Promotions in der Branche nicht möglich gewesen. Erinnern wir uns: Saul Alvarez hat gegen Austin Trout und Erislandy Lara nach Punkten gewonnen, obgleich er nach mehrheitlicher Einschätzung in diesen Kämpfen auf der Verliererstraße war. Gegen Floyd Mayweather, der ihm eine regelrechte Lektion erteilte, wertete ein Punktrichter dennoch 114:114 unentschieden. Im ersten Kampf gegen Golowkin hatte Adelaide Byrd absurderweise 118:111 für ihn notiert, während ihm ein anderer Punktrichter die siebte Runde gutschrieb, obgleich dies Golowkins beste im gesamten Kampf war. Auch diesmal waren ihm die sogenannten Unparteiischen so wohlgesonnen, daß er nicht unterging, sondern sogar die Oberhand behielt. Was braucht es mehr, um zu der Schlußfolgerung zu gelangen, daß "Canelo" in Las Vegas nicht nach Punkten verlieren kann?

Nach der heftigen Kritik an dem Unentschieden im letzten September und dem zweimaligen positiven Dopingtest im Februar stand "Canelos" Ruf unter schwerem Beschuß. Um seine Karriere zu retten, durfte er bei der Revanche nicht abermals weglaufen, sondern mußte angreifen und eine überzeugende Vorstellung geben. Das ist dem Mexikaner gelungen, der wesentlich besser als beim ersten Duell kämpfte, trotz seiner Konditionsprobleme mitzuhalten versuchte und nicht lockerließ. Saul Alvarez ist zweifellos ein hervorragender Boxer, dessen Vorstellung in der T-Mobile Arena gewürdigt werden muß. Den 28jährigen deswegen gewinnen zu lassen, ist jedoch mehr als nur ein Wermutstropfen im Siegespokal. Er ist eine Geldmaschine, von der viele tiefe Taschen in der Spielerstadt profitieren, die er schon vor Jahren zum Stammplatz seiner Auftritte erkoren hat. Sich der Forderung Golowkins und seines Promoters Tom Loeffler nicht zu beugen, die den zweiten Kampf aus naheliegenden Gründen in New York austragen wollten, war ein Schlüssel zum Erfolg des Mexikaners. Für direkte Manipulation, Bestechung oder Korruption zu seinen Gunsten gibt es keine Anhaltspunkte, so daß von einer solchen Einflußnahme auch nie die Rede war. Das Wissen um die Bedeutung "Canelos" für das Boxgeschäft, die Casinos, Hotels und nicht zuletzt die Fernsehsender reicht offenbar aus, um immer wieder die Weichen zu seinen Gunsten zu stellen, wo es eng für ihn wird.

Oscar de Hoya hat in der Vergangenheit jegliche Einwände aus dem Feld geschlagen und setzt auch diesmal darauf, in die Offensive zu gehen und aller Welt seine Auffassung einzuhämmern. Mag ihm auch heute kaum jemand Glauben schenken, wird die Empörung doch bald schon vergessen sein, wenn er den nächsten Auftritt seines Superstars präsentiert. Nichts ist so schnellebig wie die Aufreger von gestern, zumal der unersättliche Konsumismus wankelmütig dem nächstbesten Trend folgt. Nicht von ungefähr hat der Promoter bereits der weithin geforderten Trilogie insofern eine Absage erteilt, als er behauptete, "Canelo" habe endgültig für klare Verhältnisse gesorgt und könne weiterziehen, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Damit ignoriert er geflissentlich den allseits zum Ausdruck gebrachten Wunsch nach einem dritten Kampf der Rivalen und verzichtet sogar auf den mit Abstand größtmöglichen Umsatz. Viel wichtiger ist ihm "Canelos" Rang als angeblich bester Akteur der Gewichtsregion und vermeintliche Legende des Boxsports, den hochzuhalten auf lange Sicht sehr viel höhere Einkünfte und vor allem weit größeren Einfluß als ein einziger randvoll gefüllter Topf verspricht, der "Canelos" letzter sein könnte, sollte es Golowkin am Ende doch noch gelingen, mit einem Volltreffer die Punktrichter aus dem Spiel zu nehmen.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/09/andre-ward-says-canelo-broke-ggg-there-wont-be-trilogy-fight/

[2] www.boxingnews24.com/2018/09/de-la-hoya-upset-with-fans-thinking-canelo-received-gift-over-ggg/

19. September 2018


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