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MELDUNG/2313: Halbmittelgewicht - Zwillinge im Doppelpack ... (SB)



Jermall und Jermell Charlo gastieren in Brooklyn

Die 28 Jahre alten Zwillingsbrüder Jermall and Jermell Charlo aus Houston verteidigen ihre Titel am 22. Dezember bei einer Veranstaltung im Barclays Center in Brooklyn. Wenngleich sie noch per Münzwurf auf einer Pressekonferenz entscheiden wollen, wer von beiden den Hauptkampf bestreitet, ist ihr gemeinsamer Auftritt im Rahmen des Formats Premier Boxing Champions, das erstmals vom Sender Fox übertragen wird, zweifellos eine außergewöhnliche Attraktion. Der in 31 Kämpfen ungeschlagene Jermell Charlo ist WBC-Weltmeister im Halbmittelgewicht und trifft bei seiner vierten Titelverteidigung auf den gleichaltrigen Tony Harrison aus Detroit, für den 27 Siege und zwei Niederlagen zu Buche stehen. In 27 Auftritten unbezwungen verteidigt Jermall Charlo den Gürtel des WBC-Interimschampions im Mittelgewicht erstmals gegen den 31jährigen Willie Monroe aus Rochester, dessen Bilanz 23 gewonnene und drei verlorene Kämpfe aufweist. [1]

Wie man einschränkend vorausschicken muß, ist keiner der beiden Herausforderer so gefährlich einzuschätzen, daß den Charlos ein schwerer Gang mit ungewissem Ausgang bevorstünde. Jermall ist zu stark und talentiert für Monroe, und Jermell boxt zu explosiv für den oftmals konditionsschwachen Harrison. Willie Monroe hat in den letzten drei Jahren gegen die damaligen Weltmeister Billy Joe Saunders und Gennadi Golowkin verloren. Zuletzt setzte er sich gegen Javier Francisco Maciel und Carlos Galvan durch, was belegt, daß er zwar nicht allzu anspruchsvolle Kontrahenten dominieren kann, aber gegen hochklassige Gegner den kürzeren zieht.

Die Fangemeinde hatte gehofft, daß Jermell Charlo auf Jarrett Hurd, Erislandy Lara, Jaime Munguia oder Kell Brook treffen könnte. Statt dessen bekommt er es mit Tony Harrison zu tun, der gegen Willie Nelson und Jarett Hurd verloren und noch nie einen wirklich guten Kontrahenten besiegt hat. Harrison, der an Nummer fünf der WBC-Rangliste geführt wird, mußte sich im Februar 2017 Jarrett Hurd in der neunten Runde geschlagen geben. Seither hat er gegen den 40jährigen Ishe Smith, George Sosa und Paul Valenzuela gewonnen.

Gemessen an ihren unbestrittenen Qualitäten könnten die Brüder Charlo längst wesentlich populärer sein, hätten sie regelmäßig gekämpft und Gegner ihres Niveaus vorgezogen. Jermell Charlo hat im Halbmittelgewicht unter anderem Austin Trout, Erickson Lubin, Charles Hatley, John Jackson und Joachim Alcine besiegt, während Jermall Charlo ebenfalls Trout, Hugo Centeno, Jorge Sebastian Heiland, Julian Williams, Wilky Campfort, Cornelius Bundrage und Michael Finney das Nachsehen geben konnte, die allesamt nicht überragend sind. Allerdings darf man auch nicht außer acht lassen, daß prominente Akteure den Charlos seit geraumer Zeit aus dem Weg gehen, da ihre Gefährlichkeit kein Geheimnis ist.

Jermall Charlo hat den Interimstitel im Mittelgewicht gewonnen, als er im April kurzen Prozeß mit Hugo Centeno machte, der bereits in der zweiten Runde die Segel streichen mußte. Nachdem sich Saul "Canelo" Alvarez durch seinen umstrittenen Sieg über Gennadi Golowkin den WBC-Titel gesichert hatte, rechnete Charlo als Pflichtherausforderer damit, endlich zum Zuge zu kommen. "Canelo" zieht es jedoch vor, ins Supermittelgewicht auszuweichen, um dort den regulären WBA-Champion Rocky Fielding aus England herauszufordern. Die Entscheidung, ob er danach ins Mittelgewicht zurückkehrt, um die Titel von WBA und WBC zu verteidigen, hält der Mexikaner vorerst offen. Der Verband WBC ordnete einen Kampf zwischen Charlo und Golowkin an, was sich wie erwartet als Zeitverschwendung erwies, da der Kasache kein Interesse an dem Interimstitel hat. Diese Entwicklung führte dazu, daß Jermall Charlo keinen der beiden prominenten Kandidaten vor die Fäuste bekam und statt dessen bei Willie Monroe gelandet ist.

Vielleicht wären die Charlos besser beraten gewesen, ihre Auftritte am 1. Dezember im Vorprogramm des Titelkampfs im Schwergewicht zwischen WBC-Weltmeister Deontay Wilder und dem Briten Tyson Fury zu geben. Dort wäre ihnen die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums gewiß, ohne daß sie über Gebühr an der Qualität ihrer Herausforderer gemessen würden, wie das der Fall sein wird, wenn sie als Hauptkämpfer in den Ring steigen.

Im kommenden Jahr dürfte der WBA/IBF-Champion Jarrett Hurd bereit sein, sich mit Jermell Charlo zu messen. Er hatte sich schon vor seinem letzten Kampf gegen den Kubaner Erislandy Lara eine Verletzung am Schultergelenk zugezogen, die in der Folge eine Operation erforderlich machte. Wie Hurd bereits angekündigt hat, wolle er bei seiner Rückkehr in den Ring zunächst einen Aufbaukampf bestreiten und danach zu einem Duell zweier Weltmeister gegen Charlo antreten, dessen Qualitäten dabei einer anspruchsvollen Bewährungsprobe unterzogen würden. [2]

Nur ein bis zwei Kämpfe im Jahr auszutragen hilft den Brüdern Charlo auf die Dauer nicht weiter. Der britische Promoter Eddie Hearn würde die beiden gern für Matchroom Boxing USA unter Vertrag nehmen, um sie dann regelmäßig beim Streamingdienst DAZN auftreten zu lassen. Daß ihre Kämpfe bei Premier Boxing Champions jetzt vom Sender Fox ausgestrahlt werden, ist zwar begrüßenswert. Das ändert jedoch nichts an dem Manko, daß sie weder häufig genug noch mit den namhaftesten Gegnern antreten. Zudem ist Jermall Charlo inzwischen schon 15 Monate lang Pflichtherausforderer beim WBC, ohne daß der Verband den amtierenden Weltmeister angewiesen hätte, seinen Titel gegen ihn zu verteidigen. Dennoch hat Charlo auch angesichts der jüngsten Entwicklung nicht nachdrücklich darauf bestanden, daß sich "Canelo" ihm unbedingt stellen müsse.

Mit geduldigem Ausharren kommt er bei dem Mexikaner und dessen Promoter Oscar de la Hoya nicht weiter, die ihn ignorieren, solange die Fangemeinde nicht vehement einen Kampf gegen ihn einfordert. Gleiches gilt für den Verband, dessen Präsident Mauricio Sulaiman "Canelo" gestattet, seinen Titel vorerst auf Eis zu legen, ohne ihn zu verteidigen, und im Supermittelgewicht gegen Rocky Fielding anzutreten. Sollte der Brite am 15. Dezember wider Erwarten die Oberhand behalten, bliebe der Mexikaner dennoch Champion im Mittelgewicht und würde zwangsläufig dorthin zurückkehren. Gewinnt Saul Alvarez Kampf und Titel, hat er freie Hand und ein Argument, im Zweifelsfall auf den WBC-Gürtel im Mittelgewicht zu verzichten, um Jermall Charlo links liegenzulassen. Um dessen Aussichten ist es in jedem Fall nicht gut bestellt, doch sicher am allerschlechtesten, wenn er sich nicht mit Nachdruck Gehör verschafft.


Fußnoten:

[1] www.espn.com/espn/now?nowId=1-25063573

[2] www.boxingnews24.com/2018/10/jermall-charlo-vs-willie-monroe-jr-jermell-charlo-vs-tony-harrison-on-dec-22-on-fox/

26. Oktober 2018


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