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MELDUNG/2326: Supermittelgewicht - mit dem Rücken an der Wand ... (SB)



James DeGale und Chris Eubank auf dem absteigenden Ast

Wenn die Briten James DeGale und Chris Eubank jun. am 23. Februar in der Londoner O2 Arena aufeinandertreffen, steht mehr als nur der vakante Titel des kleinen Verbandes IBO im Supermittelgewicht auf dem Spiel. Beide befinden sich auf dem absteigenden Ast und hoffen, ihrer Karriere durch den Gewinn der zweitrangigen Trophäe noch einmal frischen Schwung zu verleihen. Da es für den Verlierer in der Tat düster aussehen wird, steht ein erbitterter Kampf zu erwarten. Ihr Auftritt wird von ITV Box Office im Pay-TV übertragen und dürfte zumindest beim britischen Publikum mit regem Interesse wahrgenommen werden. [1]

Chris Eubank will sich dabei den Titel zurückholen, der ihm nach der klaren Punktniederlage gegen seinen Landsmann George Groves im vergangenen Jahr aberkannt worden war. Wenngleich der Gürtel der IBO damals gar nicht zur Disposition stand, beschloß der Verband hinterher, ihn Eubank abzunehmen und für vakant zu erklären. DeGale hatte ebenfalls im letzten Jahr den IBF-Titel im Supermittelgewicht niedergelegt, nachdem der Verband einen Kampf gegen den gefährlichen Pflichtherausforderer Jose Uzcategui angeordnet hatte. Der Brite führte damals zur Begründung seiner Entscheidung an, er ziehe bedeutendere und einträglichere Auftritte vor. Wenngleich es durchaus zutrifft, daß er mit dem Duell um den nachrangigen IBO-Titel gegen Chris Eubank erheblich mehr Geld als bei einer Verteidigung des prestigeträchtigeren IBF-Gürtels gegen Uzcategui verdienen kann, machte dieses Manöver zwangsläufig keinen guten Eindruck.

Die seinerzeit kursierende Einschätzung, DeGale gehe dem hart schlagenden Uzcategui aus dem Weg, um die drohende Niederlage zu vermeiden, ist angesichts der wenig überzeugenden Leistungen des Briten in jüngerer Zeit nicht aus der Luft gegriffen. Dessen ungeachtet weist DeGale den Verdacht, er wolle im Kampf gegen Eubank lediglich noch einmal abkassieren, weit von sich: Er werde diesem Gegner eine Lektion erteilen und ihn aufs sportliche Altenteil schicken. Am 23. Februar wolle er Eubank mit einer tadellosen Vorstellung den Rest geben, da ihm schleierhaft sei, wohin sich dieser nach der unvermeidlichen Niederlage noch wenden könnte.

Auf dem Höhepunkt seines Könnens wäre James DeGale wohl tatsächlich eine Nummer zu groß für Chris Eubank gewesen, dessen Talent offensichtlich Grenzen gesetzt sind. Vom Alter her sollte der 32jährige frühere IBF-Weltmeister eigentlich in der Lage sein, auf höchstem Niveau mitzuhalten, doch schienen seine letzten drei Auftritte eher vom Gegenteil zu zeugen. Vor allem die beiden mühsamen Kämpfe gegen den zuvor als Außenseiter gehandelten US-Amerikaner Caleb Truax riefen denn doch gravierende Zweifel auf den Plan.

Sollte sich DeGale auch gegen Eubank nicht steigern, aber dennoch unangefochten nach Punkten gewinnen, wäre das natürlich für letzteren ein Armutszeugnis. Daß Chris Eubank zu den führenden Akteuren im Supermittelgewicht gehört, wird wohl ohnehin niemand behaupten. Gegen einen schwachen James DeGale zu verlieren würde indessen zweifelsfrei bestätigen, daß er in diesem Limit keine Zukunft hat. Was aber seine weitere Karriere betrifft, könnte er natürlich wieder ins Mittelgewicht zurückkehren, das seinen körperlichen Voraussetzungen ohnehin besser entspricht.

Im Grunde war er überhaupt nur in die höhere Gewichtsklasse geflüchtet, um nicht gegen Gennadi Golowkin antreten zu müssen. Darauf läßt sich jedenfalls verkürzt, aber deswegen nicht unzutreffend, die damalige Manöverlage zusammenfassen. Eubanks Team stand mit dem Weltmeister in Verhandlungen über eine Herausforderung, die im September 2016 über die Bühne gehen sollte. Dann wechselte der Brite jedoch plötzlich den Kurs, stieg ins Supermittelgewicht auf und nahm dort im Februar 2017 dem wenig bekannten Renold Quinlan den zweitrangigen IBO-Titel ab. Das war insofern eine weise Entscheidung, weil Eubank gegen den Kasachen derart unter die Räder gekommen wäre, daß sein mühsam aufgebautes Image arg gelitten hätte.

Ob sein Vater und Manager Chris Eubank sen., der früher zu den legendärsten britischen Boxern gehört hatte, oder eher sein Promoter Eddie Hearn von Matchroom Boxing die Notbremse gezogen hatte, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Ungeachtet aller Begründungen, die damals vorgehalten wurden, legt der Wechsel von einem Kampf gegen den namhaftesten Weltmeister im Mittelgewicht zu einem nachrangigen Gegner und Gürtel im Supermittelgewicht jedenfalls nahe, daß der drohende Untergang abgewendet werden sollte. Hearn fand in dem ebenfalls bei ihm unter Vertrag stehenden Kell Brook einen anderen Kandidaten, der sofort bereit war, sich mit Gennadi Golowkin zu messen. Der Kampf wurde im September 2016 in der ausverkauften Londoner O2 Arena ausgetragen, und der Brite hielt phasenweise sogar recht gut mit, bis ihn sein Trainer Dominic Ingle durch das Werfen des Handtuchs in der fünften Runde vor dem drohenden Niederschlag rettete. Brook zahlte jedoch einen hohen Preis, da er sich einen Bruch an der rechten Augenhöhle zuzog.

Chris Eubank jun. setzte sich in der zehnten Runde gegen Renold Quinlan durch und verteidigte den IBO-Titel in der Folge bei der World Boxing Super Series erfolgreich gegen Arthur Abraham und Avni Yildirim, die sich als vergleichsweise schwache Kontrahenten erwiesen. Dann traf er im weiteren Verlauf des Turniers auf seinen britischen Landsmann George Groves, der ihm das Nachsehen gab. Weder DeGale noch Eubank muß im Falle einer Niederlage am 23. Februar die Boxhandschuhe zwangsläufig an den Nagel hängen. So versucht James DeGale bereits seit geraumer Zeit, Groves für eine Revanche zu erwärmen, der ihn bei ihrem ersten Aufeinandertreffen im Jahr 2011 nur ganz knapp nach Punkten besiegt hatte.

Noch hat sich George Groves mit keinem Wort zu diesen Avancen geäußert, wie er überhaupt seit der Niederlage gegen Callum Smith im September 2018, die ihn den greifbar nahen hochdotierten Turniersieg kostete, weitgehend Stillschweigen gewahrt hat. Sollten ihm keine attraktiveren Möglichkeiten in Aussicht stehen, könnte er sich wohl auf einen zweiten Kampf gegen DeGale einlassen, mit dem er in England sicher eine Menge Geld verdienen würde. Selbst nach einer Niederlage gegen Eubank wäre dies wahrscheinlich immer noch eine Option, für die sich die britische Fangemeinde begeistern könnte.

Unterdessen kontert Chris Eubank und erklärt, der Kampf gegen DeGale sei nun schon vier oder fünf Jahre im Gespräch. Er werde seinem Landsmann eine schmerzhafte Lehrstunde geben und verschwende keinen Gedanken daran, die Karriere womöglich zu beenden. Das dürfte tatsächlich auch nicht notwendig sein, da er selbst bei einer Niederlage dorthin zurückkehren könnte, wo er sich seit langem befunden hat. Sein Team hatte ihn zumeist von hochklassigen Kontrahenten ferngehalten und selbst dann zurückgepfiffen, als er Pflichtherausforderer Golowkins geworden war. Statt dessen setzte man ihm nicht allzu starke einheimische Gegner vor, die er recht eindrucksvoll besiegen konnte. Das wäre auch künftig möglich, und da das Publikum schnell zu vergessen pflegt, sollte es möglich sein, ihn mit drei oder vier überzeugenden Siegen wieder aufzubauen.

Viel hängt vom Einfluß und einer geschickt steuernden Hand seines Promoters ab, was im Falle Eddie Hearns geradezu ein Selbstgänger ist. Unwuchten und Kompetenzgerangel mit Chris Eubank sen., wie sie in der Vergangenheit mitunter zu Verwerfungen führten, müßten allerdings ausgeräumt werden. Eubank jun. ist mit 28 Jahren noch jung, außerdem schnell und pflegt mit hoher Schlagfrequenz zu boxen. Das ist attraktiv für das Auge und unterhaltsam für die Zuschauer, so daß es keine unüberwindliche Hürde sein sollte, ihn wieder ins Geschäft zu bringen. Schwieriger wäre das bei James DeGale, der sich ständig umherbewegt und häufig klammert, um den offenen Kampf zu verhindern. Ihm einen neuen Anstrich zu verleihen, der die Fangemeinde entzückt, dürfte so gut wie unmöglich sein. Daher wäre eine Revanche gegen George Groves, die als Duell zweier namhafter einheimischer Akteure als solches sein Publikum fände, für ihn der naheliegendste Schritt, um weiter im Geschäft zu bleiben.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2019/01/degale-eubank-jr-to-fight-for-vacant-ibo-168-lb-title/

6. Januar 2019


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