Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2341: Supermittelgewicht - Muster von beschränktem Wert ... (SB)



Gennadi Golowkin braucht nur vier Runden für Steve Rolls

Vom Ergebnis her war es ein voller Erfolg, doch scheiden sich die Geister, wie der Weg dahin einzuschätzen sei. Während sich Stimmen mehren, Gennadi Golowkin sei in die Jahre gekommen und beginne sichtlich nachzulassen, warnten andere Experten vor voreiligen Schlüssen. Da der Kasache mit seinem neuen Trainer Johnathon Banks an einer Modifizierung seiner Kampfesweise arbeitet, könne man angesichts dieses Umbruchs nicht über Nacht vollendete Resultate erwarten. Jedenfalls demonstrierte der frühere Weltmeister dreier Verbände im Mittelgewicht eine unbeeinträchtigte Schlagwirkung, als er im New Yorker Madison Square Garden dem als klaren Außenseiter gehandelten Steve Rolls nach 19 erfolgreichen Auftritten die erste Niederlage beibrachte. Der 35jährige Kanadier stürzte nach einem linken Haken zum Kopf zu Boden und schaffte es nicht, rechtzeitig wieder auf die Beine zu kommen, bevor er von Ringrichter Steve Willis nach 2:09 Minuten des Durchgangs ausgezählt wurde. Damit stehen für Golowkin nun 39 Siege, eine Niederlage sowie ein Unentschieden zu Buche.

Er bot eine gute, wenngleich nicht überragende Vorstellung, wobei ihm die nicht allzu ausgeprägte Qualität seines Gegners auch wenig Gelegenheit gab, ein weithin sichtbares Zeichen zu setzen. Der Unterschied seiner Herangehensweise fiel im Vergleich zu seinen beiden Kämpfen gegen Saul "Canelo" Alvarez eher geringfügig aus, da von der angekündigten hohen Schlagfrequenz samt flüssigen Kombinationen wenig zu sehen war. Auffallend war hingegen, daß der Kasache drei Runden lang recht moderat zu Werke ging und erstaunlich häufig getroffen wurde, da er auf einzelne Schläge setzte, sich wenig um eine sichere Deckung bemühte und keinen durchgängigen Druck aufbaute. Rolls hatte seine besten Szenen in der zweiten Runde, als er einige klare Treffer landen konnte. [1]

Ob Golowkin absichtlich verhalten zu Werke ging, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, zumal eher unwahrscheinlich anmutet, daß er dafür aus freien Stücken in Kauf nahm, heftige Schläge einstecken zu müssen. Rolls ging jedenfalls beherzt zur Sache und ließ nichts unversucht, eine Sensation herbeizuführen, für die ihm freilich die Mittel fehlten. Denn als der Favorit in der vieren Runde einen Gang höher schaltete, war es um den Kanadier geschehen. Wie Golowkin in einer ersten Stellungnahme unterstrich, wolle er im September einen dritten Kampf gegen "Canelo" austragen. Allerdings müßte er sich schon beträchtlich steigern, um dabei die Oberhand zu behalten. Schließlich war Steve Rolls lediglich die Nummer 15 der WBC-Rangliste und damit kein hochklassiger Kontrahent.

Golowkin kümmerte sich kaum um seine Deckung, kombinierte selten, schlug nicht allzu schnell und wich des öfteren zurück, so daß er insgesamt gesehen keinen dominanten Eindruck hinterließ. Gegen Ende setzte er vermehrt seine Linke ein, was sich denn auch als sehr effektiv erwies und zum entscheidenden Treffer führte. Auch "Canelo" hätte einem derartigen Volltreffer kaum etwas entgegenzusetzen, doch gilt er als erstklassiger Konterboxer mit schnellen Händen, der den Kasachen bei einer so gemächlichen Kampfesweise zweifellos schwer traktieren würde. Doch sind das natürlich bloße Spekulationen, da Golowkin gegen seinen Erzrivalen mit größerer Entschiedenheit zur Sache ginge, käme es denn zu einem abermaligen Aufeinandertreffen im Herbst, was nach Lage der Dinge eher unwahrscheinlich ist. [2]

Promoter Lou DiBella war voll des Lobes für Steve Rolls, der sein Bestes gegeben und Golowkin in der zweiten Runde heftig getroffen habe. Greife man einen großartigen Gegner wie den Kasachen so beherzt an, öffneten sich unvermeidlich Lücken in der eigenen Deckung, die seinem Boxer zum Verhängnis geworden seien. Er sei dennoch stolz auf ihn, sich derart respektabel geschlagen zu haben. Laut der Statistik von CompuBox hatte Golowkin 62 von 223 Schlägen ins Ziel gebracht (28 Prozent), während Rolls 38 Treffer bei 175 Versuchen gelungen waren (22 Prozent). Trainer Johnathon Banks zeigte sich zufrieden mit dem Auftritt Golowkins in ihrem ersten gemeinsamen Kampf, räumte aber unumwunden ein, daß noch Luft nach oben für weitere Verbesserungen sei. Gemessen an der kurzen gemeinsamen Zeit in Vorbereitung auf diesen Auftritt habe ihm die Vorstellung des Kasachen gefallen. Könne man künftig das gesamte Trainingslager gemeinsam absolvieren, seien noch wesentlich deutlichere Ergebnisse zu erwarten. [3]

Der Kampf fand vor rund 12.300 Zuschauern bei einem vereinbarten Limit im Supermittelgewicht statt, wobei für den Kasachen erstmals seit 2010 kein Titel auf dem Spiel stand. Bei der Punktniederlage gegen "Canelo" hatte er seine Gürtel eingebüßt, so daß seine Serie von 20 erfolgreichen Titelverteidigungen ihr Ende fand. Seither waren neun Monate ins Land gezogen, in denen Golowkin seine Karriere neu sortierte. Er unterschrieb einen lukrativen Dreijahresvertrag über sechs Kämpfe beim Streamingdienst DAZN, der ihm zum Auftakt sagenhafte 15 Millionen Dollar für den Kampf gegen den weithin unbekannten Steve Rolls eingebracht haben soll. Sein vorangegangener Kontrakt mit HBO war ausgelaufen, als sich der Sender Ende vergangenen Jahres vollständig aus dem Boxgeschäft zurückzog. Golowkin trennte sich von seinem langjährigen Trainer Abel Sanchez, der daraufhin schwere Vorwürfe erhob und seinen ehemaligen Schützling bezichtigte, er sei gierig geworden und wolle ihn nicht an den immensen Einkünften beteiligen.

Der entscheidende Grund dürfte jedoch ein anderer gewesen sein. Die Möglichkeiten des Mexikaners, seinen Boxer weiterzuentwickeln, schienen an ihre Grenzen gestoßen zu sein, als sie auf "Canelo" trafen. Dieser war zwar nicht besser als der Kasache und bekam in ihrem ersten Kampf ein überaus schmeichelhaftes Unentschieden geschenkt. Bei der Revanche stieg Saul Alvarez jedoch insofern mit einer überlegenen Taktik in den Ring, als er optisch den besseren Eindruck machte und für die Augen der Punktrichter den offensiveren Part spielte. Auf den ersten Blick schien Golowkin unter dem Druck des Gegners immer wieder zurückzuweichen, was sich bei einem Studium der Aufzeichnungen jedoch als Ausweichmanöver erwies, das dem Mexikaner keine tatsächlichen Vorteile in Gestalt erzielter Treffer einbrachte. Der Kasache scheiterte im Grunde an der Bedeutung "Canelos" für die Branche und insbesondere die Geschäftswelt in Las Vegas, der seine dortigen Auftritte hohe Einkünfte bescheren. Um diesen Bann zu brechen, hätte er den Publikumsliebling entweder niederschlagen oder zumindest eindeutig dominieren müssen. Letzten Endes fand Sanchez kein Mittel, dem Kontrahenten entscheidend in die Parade zu fahren, der taktisch besser eingestellt zu Werke ging.

Golowkin entschied sich unter mehreren Angeboten für DAZN, wo vor ihm bereits "Canelo" mit einem rekordverdächtigen Vertrag untergekommen war. Dies schien die einzige Möglichkeit zu sein, einen dritten Kampf möglich zu machen, wobei Alvarez' Promoter Oscar de la Hoya wiederholt erklärt hat, der Kasache müsse schon einen Titel mitbringen, was derzeit nicht der Fall ist. De la Hoya, der früher selbst ein überaus erfolgreicher und populärer Boxer war, dürfte sich ungeachtet seiner Äußerungen in der Öffentlichkeit durchaus im klaren darüber sein, daß sein Zugpferd "Canelo" den ersten Kampf im Jahr 2017 klar verloren und den zweiten im Herbst 2018 nur deswegen gewonnen hat, weil er die Punktrichter abermals für sich einnehmen konnte. Deshalb dürfte er bestrebt sein, seinen Boxer solange von dem Kasachen fernzuhalten, bis dieser definitiv schwächer geworden ist.

Glaubt Golowkin wirklich, daß der dritte Kampf gegen "Canelo" im September über die Bühne gehen wird? Ihm bleibt kaum eine andere Wahl, als den Eindruck zu erwecken, daß die gesamte Fangemeinde dies wünsche und fest davon ausgehe, was auch tatsächlich der Fall sei dürfte. Er kann De la Hoya und Saul Alvarez allenfalls dann in die Reaktion bringen, wenn es ihm gelingt, die Forderung des Boxpublikums anzuheizen, daß dieses Duell keinen weiteren Aufschub dulde.

Wie Gennadi Golowkin unmittelbar nach seinem Sieg über Steve Rolls unterstrich, habe er kein Interesse daran, eine Revanche gegen Daniel Jacobs oder einen Titelkampf gegen den ungeschlagenen WBO-Weltmeister Demetrius Andrade auszutragen, sofern er "Canelo" im Herbst nicht vor die Fäuste bekommt. Das Kapitel Jacobs sei für ihn abgeschlossen, und er wolle sich lieber jungen, ungeschlagenen Gegnern zuwenden, wobei er allerdings keine Namen nannte, so daß offen blieb, ob er bereits mögliche Kandidaten ins Auge gefaßt hat. Dem Vernehmen nach soll Kamil Szeremeta eine Option sein, der nicht allzu schnell schlägt und dabei keine besonders große Wirkung entfaltet. Der Pole war bereits für den aktuellen Kampf im Gespräch, für den dann Steve Rolls vorgezogen wurde. Szeremeta wäre wohl ein Rückschritt gegenüber dem Kanadier, obgleich dieser schon eine Art handverlesener Gegner war. Sollte sich Golowkins Team tatsächlich für den Polen aussprechen, müßte sich DAZN damit auseinandersetzen, inwieweit es aus Verwertungsgründen vertretbar erscheint, zwei bislang namenlose Kandidaten in Folge zu präsentieren.

Läßt man die Ranglisten Revue passieren, findet man nicht viele junge Akteure, die noch ungeschlagen sind. Und selbst diese verdanken ihre Plazierung nicht selten einer Serie von Siegen gegen völlig unbekannte Kontrahenten. An Jacobs, Andrade oder auch Jermall Charlo reicht keiner dieser potentiellen Kandidaten heran. Golowkin beharrt jedoch auf einen Kampf gegen "Canelo" und lehnt es ab, sich schon im Vorwege eine besonders anspruchsvolle Alternative aufdrängen zu lassen. Daß er diesbezüglich recht defensiv argumentiert, ist schlichtweg darauf zurückzuführen, daß Saul Alvarez und die Golden Boy Promotions am längeren Hebel sitzen und die Bedingungen vorgeben können. [4]

So betont denn auch Golowkins Promoter Tom Loeffler, es gebe keinen Grund, über andere Gegner zu spekulieren. Ein dritter Kampf mit "Canelo" genieße absolute Priorität, weshalb man alles daransetzen werden, die Trilogie unter Dach und Fach zu bringen. Er ziehe als neutralen Austragungsort allerdings den Madison Square Garden vor, in dem beide Akteure bereits aufgetreten seien. Dieser Wunsch liegt natürlich auf der Hand, da "Canelo" in Las Vegas praktisch nicht nach Punkten zu besiegen ist. Im ersten Kampf gegen Golowkin produzierten die Kampfrichter ein absurd anmutendes Fehlurteil, im zweiten war die Wertung weniger krass, bevorteilte aber dennoch den als Lokalmatador geltenden Mexikaner. Dessen stärkstes Argument ist eine riesige Fangemeinde unter seinen Landsleuten beiderseits der Grenze, die ausverkaufte Veranstaltungsorte, gute TV-Quoten und weit über das Boxen hinausreichende Umsätze in den Hotels und Lokalitäten der Spielerstadt garantiert. Auch Golowkin selbst unterstreicht, daß er nicht prinzipiell gegen Las Vegas eingestellt sei. Er habe nur in diesem Fall kein gutes Gefühl dabei, abermals an diesem Ort auf "Canelo" zu treffen. Der Kasache ist gegenwärtig jedoch nicht in der Situation, weitreichende Forderungen zu stellen, und kann kaum auf New York bestehen, sofern er diesen Kampf bekommen will.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/06/golovkin-vs-rolls-live-fight-results-from-new-york/

[2] www.boxingnews24.com/2019/06/boxing-results-golovkin-defeats-rolls/

[3] www.espn.com/boxing/story/_/id/26931035/ggg-ko-rolls-round-4-ready-canelo

[4] www.boxingnews24.com/2019/06/golovkin-no-interest-in-andrade-or-jacobs-wants-canelo-or-new-fighters/

15. Juni 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang