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PROFI/684: Mittelgewicht - Götterdämmerung ... (SB)



Gennadi Golowkin unterliegt Saul "Canelo" Alvarez

Beim bedeutendsten Kampf dieses Jahres, der mit Spannung erwarteten Revanche zwischen Gennadi Golowkin und Saul "Canelo" Alvarez, hat sich der Mexikaner knapp nach Punkten durchgesetzt (115:113, 115:113, 114:114). Vor fast 22.000 Zuschauern in der T-Mobile Arena in Las Vegas lieferten die Kontrahenten einander einen hochklassigen und teilweise dramatischen Kampf, bei dem "Canelo" abermals vom Heimvorteil profitierte, wenngleich nicht so krass wie beim Unentschieden vor einem Jahr, bei dem es sich augenscheinlich um ein Fehlurteil handelte. Der Kasache mußte sich erstmals in seiner Karriere geschlagen geben, verlor seine veritable Gürtelsammlung und teilt sich den Rekord von 20 erfolgreichen Titelverteidigungen seit 2010 im Mittelgewicht mit Bernard Hopkins, der großzügig auf den Sieg des Kasachen gehofft hatte. Während für den 36jährigen nun 38 Siege, eine Niederlage und ein Unentschieden zu Buche stehen, hat der acht Jahre jüngere Saul Alvarez 50 gewonnene Kämpfe sowie je einen verlorenen und unentschieden gewerteten Auftritt aufzuweisen. Wenngleich die Einschätzungen des Kampfverlaufs auch diesmal teilweise kontrovers ausfielen, hatten doch diverse namhafte Experten Golowkin abermals in Führung gesehen oder zumindest einen Gleichstand in ihrer privaten Wertung notiert. [1]

Die Kritik am Urteil der Punktrichter hielt sich im Unterschied zum ersten Duell vor Jahresfrist jedoch in Grenzen, da der Mexikaner offensiver gekämpft und Druck gemacht hatte, während Golowkin häufig zurückgewichen war. Der Kasache brachte seinen hart geschlagenen Jab aus der Distanz regelmäßig durch und verbuchte durchweg die häufigeren Treffer. Indessen konnte "Canelo" zumeist zwei gute Schläge pro Runde ins Ziel bringen, die seinen Gegner zwar nicht erschütterten, aber in die Defensive zwangen. Auch griff der Mexikaner immer wieder zum Körper an, was Golowkin weitgehend vermissen ließ, obgleich er genau dies als Schlüssel zu seinem Erfolg angekündigt hatte. Laut der Statistik von CompuBox hatte der Titelverteidiger 234 von 879 Schlägen ins Ziel gebracht (27 Prozent), während "Canelo" 202 Treffer bei 633 Versuchen gelangen (33 Prozent). Dies bestätigt die Auffassung, daß Golowkin bei nüchterner Einschätzung den Vorteil auf seiner Seite hatte, zumal er im teilweise offenen Schlagabtausch in den letzten Runden überlegen war.

Der Lokalmatador wirkte jedoch im Gegensatz zu früheren Schwächen ausgesprochen konditionsstark, dank seiner angriffslustigen Kampfesweise optisch besser und hatte dadurch vor seinem heimischen Publikum in Las Vegas einen Trumpf in Händen, den Golowkin nicht wettzumachen verstand. Der Kasache erntete dafür Kritik, wie schon in ihrem ersten Kampf zurückgewichen zu sein, wenn sein Gegner energisch angriff, statt stehenzubleiben, sich im Zweifelsfall treffen zu lassen und wirksam zu kontern. Auch ließen die Schläge des Kasachen ihre ehemals verheerende Wirkung vermissen, was damit zusammenhängen mochte, daß er in diesem Duell nicht der Jäger war. Wollte man von einem Fehler in der taktischen Marschroute sprechen, so wäre insbesondere der Umstand zu nennen, daß Golowkin und sein Trainer Abel Sanchez abermals auf eine flexible Defensive mit Ausweichbewegungen gesetzt hatten. Dies erlaubte es den Punktrichtern, "Canelo" mehrheitlich zu favorisieren, ohne sich einen Sturm der Entrüstung zuzuziehen. [2]

Der Kasache stürmte nach Verkündung des Urteils sofort aus dem Ring, ohne sich dem üblichen Interview mit Max Kellerman vom übertragenden Sender HBO zu stellen, und suchte seine Kabine auf, wo eine Rißwunde über dem rechten Auge genäht wurde. Das brachte Golowkin den Vorwurf ein, er sei ein schlechter Verlierer. Wie er später erklärte, wolle er sich zur Wertung nicht äußern, da "Canelo" nach Auffassung der Punktrichter gewonnen habe. Auf jeden Fall habe man dem Publikum einen aufregenden Kampf geboten. Auch sein Trainer Abel Sanchez sprach von einer großartigen Vorstellung. Er könne sich über das Ergebnis nicht beklagen, da die Punktrichter das Geschehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln eingeschätzt hätten. Er gratuliere "Canelo" für einen hervorragenden Auftritt, wobei das knappe Ergebnis ein drittes Duell rechtfertige. Saul Alvarez unterstrich, er habe seinen klaren Sieg mit Fakten untermauert, da sein Gegner vor ihm zurückgewichen sei. Er habe sein überragendes Können unter Beweis gestellt, einen großartigen Kampf geboten und sei zu einer dritten Auflage bereit, falls diese gewünscht werde.

Errol Spence, Weltmeister der IBF und gegenwärtig der überragende Boxer im Weltergewicht, hatte das Geschehen aufmerksam verfolgt und ging in einer anschließenden Stellungnahme hart mit Golowkin ins Gericht. Er könne nicht verstehen, warum der Kasache immer wieder zurückgewichen so, sobald er angegriffen wurde. Das sei nun wirklich nicht der mexikanische Stil, den Golowkin stets für sich reklamiere. Wer zum Kämpfen gekommen sei, müsse das auch tun. Er könne "Canelo" einen verdienten Sieg attestieren, weil er fortwährend angegriffen habe, während der Titelverteidiger nicht stehengeblieben sei, sondern immer wieder die Distanz gesucht habe, um ihn auszuboxen.

Diese Kritik ist nicht aus der Luft gegriffen, da Gennadi Golowkin gegen Daniel Jacobs und im ersten Kampf gegen Saul Alvarez genauso geboxt hatte. Das kostete ihn seine frühere Dominanz und nahm ihm den Nimbus eines allseits gefürchteten Boxers, der jeden Gegner vorzeitig besiegt. Hatte man damals noch vermutet, es handle sich um eine taktische Variante, die Golowkin und Sanchez als Alternative entwickelt hatten, um über verschiedene Optionen zu gebieten, so zeichnet sich nun ab, daß der Kasache offenbar nicht mehr so wie in der Vergangenheit kämpfen und jeden Kontrahenten dominieren kann. Verhielte es sich anders, hätte man wohl Konsequenzen aus dem ersten Duell mit "Canelo" gezogen, nicht aber denselben Fehler wiederholt, zurückhaltend zu Werke zu gehen. Während das Team des Mexikaners dessen Kampfesweise deutlich modifiziert und verbessert hatte, kann man das umgekehrt nicht sagen.

Wenngleich es im Vorfeld jede Menge böses Blut zwischen den beiden Lagern gegeben hatte und über eine inszenierte Fehde hinaus persönliche Feindschaft zwischen den Boxern einzukehren schien, ist ein drittes Duell die mit Abstand spektakulärste und lukrativste Option. Golowkin hat nun einen Grund mehr, an seiner Nemesis Revanche zu nehmen, und wird daher einer dritten Auflage sicher nicht abgeneigt sein. Auch kann er nirgendwo sonst soviel Geld verdienen wie mit "Canelo", zumal er zuletzt bei seiner freiwilligen Titelverteidigung gegen Vanes Martirosian Anfang Mai nur eine Million Dollar verdient hat. Da er nun nicht mehr Weltmeister ist, müßte er im Falle eines anderen Gegners mit noch geringeren Einkünften vorlieb nehmen.

Natürlich werden sich "Canelo" und sein Promoter Oscar de la Hoya dreimal überlegen, ob sie dieses Risiko abermals eingehen und die nun endlich errungene Vorherrschaft aufs Spiel setzen wollen. Da der Mexikaner jedoch alle Gürtel des Kasachen im Mittelgewicht gewonnen hat, wird ihn der Verband WBC höchstwahrscheinlich auffordern, diesen Titel gegen den Interimschampion Jermall Charlo zu verteidigen, der schon geraume Zeit geduldig auf seine Chance gewartet hat. Da Charlo zu den gefährlichsten Kandidaten in dieser Gewichtsklasse gehört, dürfte "Canelo" ganz und gar nicht geneigt sein, mit ihm in den Ring zu steigen. Er könnte natürlich den WBC-Titel niederlegen, wie er das in der Vergangenheit schon einmal getan hat, um Golowkin aus dem Weg zu gehen. Das würde seinem gerade aufpolierten Image jedoch einen gehörigen Kratzer verpassen. Schon aus diesem Grund dürfte der Mexikaner vermutlich einen weiteren Gang mit Golowkin vorziehen, den der Verband wahrscheinlich akzeptieren würde. Einen leichteren Gegner wie David Lemieux vorzuziehen, der im Vorprogramm kurzen Prozeß mit Gary O'Sullivan gemacht hatte, würde hingegen kaum die Billigung des WBC finden. Deshalb wird es wohl zum dritten Duell zwischen Gennadi Golowkin und Saul "Canelo" Alvarez im Mai 2019 kommen, bei dem jedoch die Golden Boy Promotions mehr denn je die Bedingungen diktieren und den Kasachen von vornherein an den finanziellen Katzentisch drängen werden.


Fußnoten:

[1] www.espn.com/boxing/story/_/id/24693564/canelo-alvarez-defeats-gennady-golovkin-majority-decision-middleweight-title-fight

[2] www.boxingnews24.com/2018/09/canelo-ill-give-ggg-a-third-fight-well-do-it-again/

16. September 2018


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