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MELDUNG/160: Kenia - Olympisches Gold für 'König David' einigt das Land, zumindest vorübergehend (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. August 2012

Kenia: Olympisches Gold für 'König David' einigt das Land - Zumindest vorübergehend

von Brian Ngugi


David Rudisha (rechts) beim Training vor der Olympiade - Bild: © Brian Ngugi/IPS

David Rudisha (rechts) beim Training vor der Olympiade
Bild: © Brian Ngugi/IPS

Nairobi, 13. August (IPS) - Mit seinem Sieg beim 800-Meter-Lauf am 9. August hat der kenianische Athlet Daniel Lekuta Rudisha einen Weltrekord und damit gleich eine politische Leistung vollbracht. Er konnte sein ethnisch zerrissenes Land - zumindest für einige Stunden - einen.

Landesweit hatten sich die Menschen in Wohnungen, Einkaufsmeilen, Restaurants und Kneipen zusammengefunden, um 'König David' als ersten durch die Zielgerade laufen zu sehen. Er legte die Strecke bei der Olympiade in London in einer Minute und 40,91 Sekunden zurück. Im Anschluss an seinen Sieg konnte man in dem ostafrikanischen Land Angehörige der verfeindeten Ethnien Kalenjin und Kukuyu gemeinsam vor Freude tanzen sehen.

"Ich hoffe, dass die Freude über Rudishas Goldmedaille und seinen neuen Weltrekord dazu führen wird, dass die Einigkeit anhält", sagte Samuria Polei, eine 32-jährige Kenianerin, die im Kibera-Slum der Hauptstadt Nairobi zu Hause ist.

Keine fünf Jahre ist es her, da brachte der Ausbruch massiver Gewalt nach den Wahlen das Land an den Rand der Zerstörung. Damals gingen Nachbarn aufeinander los. Fast 1.2000 Menschen fanden den Tod, 600.000 wurden vertrieben.


Strafrechtliche Verfolgung lässt auf sich warten

Bis heute blieben die Vergewaltigungen, Morde und Brandanschläge ungesühnt, und die Spannungen halten an, wie die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) in einer im Dezember 2011 veröffentlichten Untersuchung berichtete. "Polizisten, die mindestens 405 Menschen ermordet, weitere verletzt und Dutzende Mädchen und Frauen vergewaltigt hatten, müssen noch vor Gericht gestellt werden", so der HRW-Report.

Vier prominente Kenianer werden sich erst am 10. und 11. April 2013 vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten müssen, unter ihnen der ehemalige Minister für höhere Bildung, William Ruto, der Radiomoderator Joshua Sang, der derzeitige stellvertretende Ministerpräsident Uhuru Kenyatta und der frühere Chef des Öffentlichen Dienstes, Francis Muthaura. Ihnen wird vorgeworfen, zu der landesweiten Massengewalt aufgerufen zu haben.

Die Kommission für nationalen Zusammenhalt und Integration hat bereits vor einem Wiederaufflammen der Gewalt gewarnt. Sie war im Anschluss an die Verbrechen gebildet worden, um die friedliche Koexistenz und Integration der Kenianer voranzubringen. Am 8. Mai berichtete der Nationale Sicherheits- und Geheimdienst der Regierung, dass ethnische Aktivitäten im Vorfeld der Wahlen 2013 auf einen erneuten Ausbruch der Auseinandersetzungen schließen ließen.

Rudisha gelang, was keinem der anderen kenianischen Olympia-Teilnehmer einschließlich dem Goldmedaillenträger im 100- und 200-Meter-Lauf, Usain Bolt, gelungen ist: den Weltrekord zu brechen und seine Konkurrenten gleichzeitig zu Höchstleistungen anzuspornen. Das war der Augenblick, in dem die Kenianer ihre ethnischen Differenzen vergaßen und gemeinsam den Sieg von 'König David' feierten.

Vor Rudisha hatte bereits Ezekiel Kemboi Gold errungen. Doch die Freude über seinen Sieg war getrübt, steht er im Verdacht, am 27. Juni in Eldoret in der kenianischen Provinz Rift Valley eine Frau niedergestochen zu haben, die sich ihm sexuell verweigert hatte. Kemboi, der für seine Teilnahme an der Olympiade auf Kaution freigelassen wurde, bestreitet die Tat.

Es sei schon bemerkenswert, dass sich ausgerechnet ein Athlet, der sich außerhalb der Kampfarena schlecht benehme, für geeignet halte, das Land zu befrieden, meinte die 23-jährige Wambui Kuria, die am Polytechnischen Universitäts-College studiert.

"Ich denke, dass diese Einigkeit auch nach der Olympiade anhalten wird", meinte die 24-jährige Faith Kyomukama, Studentin an der Daystar-Universität. "Warum sollten wir uns aufgrund ethnischer Differenzen bekriegen? Wir haben doch gezeigt, dass Einigkeit diese kleinen Auseinandersetzungen überwinden kann."


Sport als Versöhnungsinstrument einsetzen

Soziologen haben inzwischen gefordert, Sport künftig als Waffe einzusetzen, um die bestehenden ethnischen Differenzen nachhaltig beizulegen. Sport könne Kenia helfen, die Wunden zu schließen, sagte Gidraph Wairire, Dozent an der Universität von Nairobi,

Sport sei in der Lage, sowohl unter den Athleten als auch unter den Zuschauern ein Gefühl zu erzeugen, das sich langfristig für alle Bürger positiv auswirken könne. "Wenn man jemanden gewinnen sieht, vergisst man alle ethnischen Schwierigkeiten", sagte er. Die versöhnende Kraft des Sports könne alle ethnischen Gräben überbrücken.

Vor ihrer Abreise zu den Olympischen Spielen nach London hatten etliche Sportler ihre Hoffnung bekundet, mit guten Leistungen ihre Landsleute zu einen. "Ich hoffe, dass wir mit unseren Siegen, die alle Kenianer zum Jubeln bringen, zu einer langfristigen Einigkeit beitragen können", so die Silbermedaillenträgerin im 800-Meter-Lauf der Frauen, Janeth Jepkosgei. "Kenianer müssen endlich erkennen, dass die nationale Einheit wichtiger ist als ethnischer Stolz." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/kenya1211webwcover_0.pdf
http://www.ipsnews.net/2008/01/kenya-reports-of-bodies-piled-in-morgue-spur-anger-grief/
http://www.ipsnews.net/2012/08/kenyan-differences-melt-with-gold/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2012