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KOMMENTAR/043: In China Pressezensur anklagen, in Deutschland Pressefreiheit verraten (SB)



Vor fremden Türen läßt sich gut kehren. Während die Deutschland-Direktorin von "Human Rights Watch", Marianne Heuwagen, mit Blick auf die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi reklamiert, daß es "keine Pressefreiheit in Rußland" gebe und Regimekritiker "jetzt schon unterdrückt" würden, und flankierend der ehemalige Präsident des Deutschen Sport-Bundes, Manfred Freiherr von Richthofen (CDU), in einem Gastbeitrag in der SZ (7.8.09, online) mit dem Finger auf China zeigt, weil dort anläßlich der Olympischen Sommerspiele 2008 die Medien, trotz gegenteiliger Versprechungen der Regierung, "streng zensiert", die Pressefreiheit "in vielerlei Hinsicht eingeschränkt" und "vehemente Verstöße gegen die Menschenrechte" begangen wurden, scheint man im ach so freien Deutschland den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen.

Obwohl anläßlich der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin (vom 15. bis zum 23. August) eine freie Berichterstattung behindert und sich Sportjournalisten im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens einer umfänglichen Zuverlässigkeitsüberprüfung durch Kriminalämter, den Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst unterwerfen müssen, so daß unerwünschte, man könnte auch sagen "regimekritische" Journalisten, die als "Gefährdung für die Gesamtveranstaltung" eingestuft und daher nicht in "sicherheitsrelevanten Bereichen tätig werden" sollen, von der Berichterstattung ausgeschlossen werden können, hat sich lediglich die deutsche Tageszeitung "taz" dazu durchgerungen, die Leichtathletik-WM zu boykottieren.

Nachdem zwei taz-Redakteure bei der Akkreditierung die "Einverständniserklärung zur Zuverlässigkeitsprüfung" nicht unterschrieben bzw. entscheidende Passagen gestrichen hatten, da sie "ohne Anhaltspunkte zu potenziellen Verdächtigen gestempelt" werden und sich wie "Schwerverbrecher" behandelt sehen, wurde ihnen durch die Berlin Organising Committee GmbH (BOC) die Zulassung verweigert. Weil dem WM-Organisationskomitee vom Berliner Senat das Olympiastadion während der WM vermietet wurde, hat es als Privatveranstalter Hausrecht und kann aufgrund der vertragsrechtlichen Bedingungen frei darüber bestimmen, wer rein darf und wer draußen bleiben soll. Neben den mehr als 3.200 Medienvertretern, die die Einverständniserklärung, vielfach mit Widerwillen, aus berufsopportunistischen Gründen unterschrieben haben, wurden auch alle anderen rund 18.500 Personen, die im Umfeld der Leichtathletik-WM eine Akkreditierung beantragen mußten, einer kriminalpräventiven Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen.

Nach Auskunft der taz stellt die BOC, in deren Aufsichtsrat u.a. der Berliner Innen- und Sportsenator Ehrhart Körting (SPD) sitzt und in dem sich zwei ehemalige Polizeidirektoren um "Sicherheitsaspekte" kümmern, eine Anfrage beim Landeskriminalamt Berlin über Personenerkenntnisse an. Erkundungen werden laut taz beim Landesdatensystem POLIKS, beim Polizeiinformationssystem INPOL-neu, bei Dateien des polizeilichen Staatsschutzes Berlin, bei der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze ("Gewalttäterdatei Sport") sowie bei "vergleichbaren Datensammlungen der Polizei des Bundes und der Länder" eingeholt. Darüber hinaus erfolgt eine Anfrage beim Verfassungsschutz Berlin, außerdem sind weitere Behörden wie der Verfassungsschutz der Länder und des Bundes sowie der Bundesnachrichtendienst eingebunden. Wer diesen unverhältnismäßigen "Sicherheitscheck", der erstmals bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland durchgeführt und von Datenschützern mit Verweis auf Grundrechtseingriffe heftig kritisiert wurde, nicht über sich ergehen lassen will, erhält keine Akkreditierung.

Im Gegensatz zum Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) hatte sich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) umgehend gegen die langsam gang und gäbe werdende "Schnüffelpraxis" ausgesprochen. "Dass Journalisten offenbar generell als Sicherheitsrisiko gesehen werden, ist mit der Pressefreiheit nicht vereinbar", kritisierte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken. "Die herangezogene Rechtsgrundlage kann die pauschale Überprüfung nicht rechtfertigen. Das Vorgehen des BOC ist geeignet, Berichterstattung zu verhindern und daher politisch und juristisch höchst problematisch", sagte Konken. Er forderte die Organisatoren der Sportveranstaltung auf, unverzüglich davon Abstand zu nehmen, sogenannte Einverständniserklärungen von den akkreditierungswilligen Journalisten zu verlangen. "Der Presseausweis der hauptberuflichen Journalisten muss für die Akkreditierung ausreichen."

Auf seiten der Veranstalter reagierte man erwartungsgemäß mit Unverständnis. "Das Grundprinzip der Pressefreiheit wird in diesem Prozess durch das WM-Organisationskomitee in keiner Weise beeinflusst", behauptete die BOC und berief sich dabei auf die angeblich "positiven Erfahrungen bei der Fußball-WM 2006". Lediglich zwei Journalisten hätten der Zuverlässigkeitsüberprüfung nicht zugestimmt. Diese Zahlen sprächen für sich, sagte Frank Hensel, Geschäftsführer der BOC.

Verhält es sich nicht genau andersherum, daß nämlich die BOC die Journalisten auf vertragsrechtlichem Wege dazu zwingt, sich der staatlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung zu unterwerfen, in die sie bei "freier Wahl" wohl kaum eingewilligt hätten? Wäre den Journalisten die Wahl gelassen worden - hätten dann die Zahlen der Ablehnung nicht auch für sich gesprochen? Wird die Duldung immer umfangreicherer sicherheitsstaatlicher Überprüfungs- und Kontrollroutinen nicht auch dadurch salonfähig gemacht, daß der Staat auf verwaltungsrechtlichem Wege anfechtbare Entscheidungskompetenzen auf Privatbereiche auslagert, die dann aufgrund der "Vertragsfreiheit" der Veranstalter nahezu gerichtsfest werden?

Bei der Fußball-WM wurden 148.000 Datensätze von Polizei und Verfassungsschutz geprüft. Unter dem Vorwand der Hooligan- und Terroristenabwehr waren davon neben "Problemfangruppen" auch Würstchenverkäufer, Platzanweiser oder Journalisten betroffen. Wer vor der Alternative stand, seinen Arbeitsplatz zu verlieren oder einer datenelektronischen Durchleuchtung seiner Person zuzustimmen, der willigte "freiwillig" in die Sicherheitsüberprüfung ein. Was damals wegen der Größe und Einmaligkeit der Fußball-WM von den Sicherheitsbehörden als einmaliges Vorgehen dargestellt wurde, hat sich, wie befürchtet und prognostiziert, als Feldversuch für heute nahezu selbstverständliche Überprüfungsroutinen erwiesen. Auch im Vorfeld des G8-Gipfels sind Journalisten durch das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz überprüft worden, anschließend wurde einigen die Akkreditierung verweigert. Viele Journalisten bemängeln, daß sie im politischen Berlin bei fast jeder offiziellen Veranstaltung dem umfänglichen Sicherheitscheck ihrer Person zustimmen müssen, ansonsten bleiben sie ausgesperrt.

"Kein Ereignis ist wichtig genug, um für eine Berichterstattung die Grundregeln der Pressefreiheit zu verraten", schreibt die taz-Chefredakteurin Ines Pohl. "Diese sogenannten Zuverlässigkeitsprüfungen sind ein weiterer Beleg dafür, dass unter dem Deckmantel Sicherheit die Rechte von JournalistInnen immer weiter eingeschränkt werden."

Wie sehr allerdings auch die Berliner taz Freiheitsrechte mit den Füßen tritt, dokumentiert sie im Sportteil der Zeitung allwöchentlich. Obwohl unter dem "Deckmantel" des "sauberen Sports" die Rechte der Sportlerinnen und Sportler immer weiter eingeschränkt werden, redet das Blatt durch seinen Verdachtsjournalismus (siehe u.a. die Berichterstattung über die Tour de France und die Schwimm-WM in Rom) ständig dem repressiven Anti-Doping-Kampf das Wort. Wie sollte es Pressefreiheit geben, wenn die Objekte der Berichterstattung wie Straftäter behandelt und zu einem totalüberwachten Leben - übrigens auch mittels vertragsrechtlicher Knebel der Freiwilligkeit, die die Athleten u.a. eine Stunde am Tag zu Hausarrest zwingen - verdammt werden?

Nur ein Beispiel: Tom Mustroph schrieb zum Thema "Dopingberichterstattung im Radsport" bei taz-online (1), daß das Doping-Problem im Sportjournalismus "heilsame Wirkung" entfalte. "Es löste zwar einen schmerzhaften Vertrauensbruch aus, führt aber auch zur kritischen Distanz zwischen Beobachter und Objekt. Der Sportjournalismus ist gewachsen. Jetzt muss der Sport selbst nachziehen, Doping als gegenwärtige Betriebsbedingung anerkennen und wirksam bekämpfen. Dann, vielleicht, kommt das Vertrauen wieder."

Das "vielleicht" im letzten Satz spricht Bände, wie wenig der Autor dieser Zeilen seinen eigenen Worten "Vertrauen" schenkt, einmal abgesehen von der offenen Frage, auf welche Art von Vertrauen, gebrochen oder nicht, hier zwischen Journalist und Athlet abgestellt wird. Wenn die "kritische Distanz zwischen Beobachter und Objekt", die den angeblich gewachsenen Sportjournalismus beweihräuchert, letztlich in die blinde Forderung mündet, der "Sport" (bitte, wer?) solle Doping "wirksam bekämpfen" (= Kontrollücken aufspüren, Sanktionslücken schließen), dann scheint der Sportjournalismus in der Tat im Überwachungsstaat des Wolfgang Schäuble, der auch nur vorgibt, "Sicherheitslücken" zur Stärkung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat stopfen zu wollen, angekommen zu sein.

Bei allen Versuchen der Sportjournalisten, sich von den Objekten ihres beruflichen Verwertungsinteresses zu distanzieren, bleibt die Frage stets ungestellt, ob nicht gerade diese Distanz erst die Möglichkeit schafft, daß Journalisten für sich Grundrechte wie Pressefreiheit oder Informationelle Selbstbestimmung reklamieren, während sie gleichzeitig die massive Verletzung von Athletenrechten im Zuge der progressiv-repressiven Dopingbekämpfung als etwas wahrnehmen, das vollkommen fern von ihnen liegt. Schäuble und Co. jedenfalls freuen sich darüber, daß die Journalisten auf Distanzsuche sind - das schafft Spalten, Gräben und Lücken, die sofort mit Zuverlässigkeitsüberprüfungen durch den Staatssicherheitsapparat gefüllt werden können.


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(1) www.taz.de, 22.07.2009. Von Tom Mustroph. Dopingberichterstattung im Radsport. Was für eine schöne Familie.

17. August 2009