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KOMMENTAR/050: Geschenke verboten - kein Platz mehr für Familiäres im Profihandball (SB)



Je mehr Professionalität und Kommerzialität die Sport- und Spielarten aufweisen, desto kälter und berechnender sind auch die Umgangsformen unter den Protagonisten. Davon sind auch die mehr als 80.000 Schiedsrichter-, Kampf- und Wertungsrichter in Deutschland betroffen. Während die Schiedsrichtergilde des Fußballs bereits etliche Manipulations- und Wettskandale auf dem Kerbholz hat, und nicht zuletzt die Betrugsaffäre um den Schiedsrichter Robert Hoyzer 2004/05 dazu führte, daß die sogenannten Unparteiischen mehr denn je unter Generalverdacht stehen, Spiele absichtlich zu verpfeifen, blieb die Zunft der Handballer, trotz anderslautender Gerüchte, bis zuletzt relativ ungeschoren. Erst als im vergangenen Jahr in der nach dem Fußball zweitstärksten Mannschaftssportart in Deutschland Fälle von verschobenen Spielen auf europäischem und internationalem Parkett ruchbar wurden und im März die Kieler Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den deutschen Branchenführer THW Kiel wegen des Verdachts des Betrugs bzw. der Beihilfe zur Untreue aufnahm, änderte sich das Klima. Der ehemalige THW-Topmanager und Multifunktionär Uwe Schwenker wie auch der frühere THW-Trainer Zvonimir "Noka" Serdarusic stehen in Verdacht, Schiedsrichter bei mindestens zehn Spielen in der Champions-League bestochen zu haben. Der Verbleib von 152.000 Euro vom Vereinskonto des THW ist nach wie vor ungeklärt - Schwenker weigert sich hartnäckig, Erklärungen und Belege für vier verdächtige Bargeldabbuchungen und Geldüberweisungen zu liefern.

Die Europäische Handball Federation (EHF) hat unterdessen sieben von acht entdeckten Manipulationsskandalen im eigenen Hoheitsbereich - übrigens auch im Frauen-Wettbewerb - mit teilweise drastischen Strafen für Schiedsrichter abgeschlossen. Das Vorzeige-Gespann Frank Lemme und Bernd Ullrich aus Magdeburg, das im Zusammenhang mit dem Europacup-Finale der Pokalsieger 2006 zwischen Tschechow und Valladolid auf dem Moskauer Flughafen mit 50.000 Dollar im Gepäck erwischt worden war, wurde international für fünf Jahre gesperrt - nicht aufgrund von Spielmanipulation oder wegen der Dollarnoten, die Lemme/Ullrich nach eigener Darstellung untergeschoben worden seien, sondern wegen eines Bestechungsversuchs eines russischen Funktionärs vor dem Spiel, den die Deutschen nicht der EHF gemeldet hatten. Auch verschweigen sie dessen Namen aus Furcht vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen. In der Bundesliga darf das Paar bereits ab Mitte Dezember wieder Spiele leiten, weil die Nichtmeldung vom Deutschen Handballbund (DHB) rückwirkend nur mit einer neunmonatigen Nichtansetzung sanktioniert wurde.

Im Profihandball läßt sich wie unter einer Lupe studieren, was die von seinen Nutznießern über den grünen Klee gelobte "Professionalität" im Kern bedeutet, nämlich eine immer weitreichendere soziale Isolierung und Funktionalisierung der Akteure. So haben als Folge der Manipulationsskandale vor allem strengere Verhaltensregeln und - auflagen Einzug in den Handballsport gehalten. Nun gilt unter Schiedsrichtern die "Null-Toleranz-Grenze" bei Geschenken, wie Schiedsrichter Lars Geipel in einem dpa-Interview (3.9.09) schilderte. "Da gibt es nicht einmal mehr ein Handtuch vom Verein."

Bislang war es Usus, daß die Gastgeber-Vereine durch sogenannte "Schiedsrichterbetreuer" die Referees in Empfang nahmen und sich um ihre Bewirtung und Unterbringung kümmerten. Auf Europacup-Ebene war die gastgebende Mannschaft sogar für ihr "Freizeitprogramm" zuständig. Daß die Schiedsrichter kurz vor Anpfiff in der Kabine gemeinsam mit ihren Betreuern einen Kaffee trinken und nach Spielende im VIP-Raum etwas essen würden, sei "nichts Anrüchiges", hatte DHB-Schiedsrichterwart Peter Rauchfuß, kurz nach Bekanntwerden der THW-Affäre, noch erklärt. Doch selbst damit könnte Schluß sein. Zwar hat die EHF mittlerweile einen strengen Verhaltenskodex eingeführt, doch Lars Geipel monierte im dpa-Interview, daß es von seiten der EHF keine Regularien für den Umgang der Vereine mit den Schiedsrichtern gebe.

Bestechungen oder Bestechungsversuche haben den internationalen Handball schwer in Verruf gebracht. Ein entsprechendes Fehlverhalten bestätigte auch der international bis 2001 pfeifende Ex-Schiri Manfred Bülow gegenüber den "Lübecker Nachrichten": "Geschenke wie teure Uhren, eindeutige Angebote für ein Tête-à-tête mit Damen aus dem Rotlichtmilieu und auch Bargeld - Angebote gab es genug." Leider hätten "einige Kollegen" sich empfänglich gezeigt.

Neben dem Umstand, daß die Handball-Schiedsrichter riesige Ermessens- und Interpretationsspielräume bei der Regelauslegung haben, leitet sich ihre Empfänglichkeit auch daraus ab, daß sie für ihre Schwerstarbeit auf dem Spielfeld, wo aus Gründen der besseren Vermarktbarkeit inzwischen eine Art "Ping-Pong-Handball" von höchstem Tempo gespielt wird, nur minimal finanziell entschädigt werden. Während Fußball-Schiedsrichter 3.600 Euro pro Partie erhalten, werden die zwei Handball-Schiedsrichter pro Bundesliga-Partie mit je 500 Euro entschädigt. Wurden in der Handball-Champions League bislang lediglich 400 Euro pro Mann gezahlt, so wurde diese auch als "Schmerzensgeld" bezeichnete Summe inzwischen verdoppelt. Im Vergleich zum Fußball sind das aber immer noch Kleckerbeträge.

Unter dem Menetekel von Korruption und Spielemanipulation befindet sich unterdessen das traditionelle "Wir-Gefühl" in der "Sportlerfamilie", das gepaart ist mit einer gewissen Herzlichkeit im Umgang und einer gemeinschaftlichen Verbundenheit, die alle im Sport, auch über ihre Rollengrenzen hinweg, auf die eine oder andere Weise suchen, in der Auflösung. Statt dessen beherrscht Distinktion und legalistische Regulation das Feld.

Das bestätigte auch Lars Geipel, zweiter Sprecher der deutschen Handball-Schiedsrichter, gegenüber dpa: Der Umgang mit den Vereinen werde definitiv distanzierter werden. Die Vereine würden im Vorfeld der Spiele überhaupt keinen Kontakt mehr mit den Schiedsrichtern haben. Die Einstellung werde noch professioneller werden. "Es geht darum, ein Bundesliga-Spiel zu pfeifen", meinte der 34jährige Journalist und fügte nicht ohne Bitterkeit an: "Wir waren die letzten Amateure in dem Sport, es war familiär. Aber das Familiäre ist vorbei. Du hast keine Freunde auf dem Parkett. Wir sind Teil des Theaters, spielen unsere Rolle und müssen sie gut spielen."

Sein Statement ist eigentlich ein Offenbarungseid für das, worauf "mehr Professionalität" im kapitalistisch regierten Profisport seit jeher zusteuert, nämlich auf die vollständige Funktionalisierung sozialer Beziehungen im System der Sport-Spiel-Arbeit. Die Toleranzbereiche, die die Sonderwelt des Sports mit all ihren Härten, Ungerechtigkeiten, Klüngeleien, Seilschaften und Widersprüchlichkeiten aufgrund der sozialen Übereinkunft der Beteiligten noch aufrechterhielt, fallen der zunehmenden Verrechtlichung des nach Profitmaximierung strebenden Sports zum Opfer. Daß dieser sportliche Ameisenstaat nicht ohne rigorose Kontrolle und Überwachung der Regeln und impliziten Regelbrüche auskommt, lassen die kriminalistischen Maßnahmen erahnen, auf welche die wie Wirtschaftsbetriebe geführten Vereine und Verbände zur Bekämpfung von Korruption, Wettbetrug und unlauteren Machenschaften immer stärker zurückgreifen, um nicht das ökonomische Verwertungssystem als Ganzes in Frage stellen zu müssen.

Die Handball-Bundesliga hat inzwischen einen Anti-Korruptions-Ausschuß gegründet, der Verdachtsfällen nachgehen soll. In Anlehnung an sogenannte Compliance-Systeme aus der Wirtschaft, die die Einhaltung von Gesetzen, Regeln und Richtlinien sicherstellen sollen, installierte der europäische Verband ein straffes Meldesystem, über das die Referees jede Art von verdächtigen Handlungen, die auf eventuelle Manipulationsversuche hinweisen, berichten sollen. Solche "Hinweisgebersysteme", auch als "Wistleblower-Hotlines" bekannt, werden gegenwärtig wie Heilsversprechen im krisengeschüttelten Profisport gehandelt. Sportjournalisten, Funktionäre und Wissenschaftler, die Antikorruptions-Organisationen wie Transparency International oder Vereinen und Initiativen wie "Sport Transparency - Für sauberen Sport" oder "Play the Game" nahestehen, fordern - paßgenau zur Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) - schon seit längerem die Gründung einer Welt-Anti-Korruptions-Agentur. Prominentester Fürsprecher einer solchen supranationalen Kontroll- und Überwachungsagentur, die im Bereich der Dopingbekämpfung massive Einschränkungen der Grundrechte von Athleten erwirkt und eine Verdachts- und Mißtrauenskultur im Sport etabliert hat, die jedem Vergleich spottet, ist bezeichnenderweise der kanadische Wirtschaftsanwalt Richard Pound, langjähriger Vizepräsident des IOC und ehemaliger Chefinquisitor der WADA.

Ebenso wie Doping-Agenturen zur Weißwäsche des kommerziellen Hochleistungssports und seiner inneren Widersprüche dienen, sollen Anti-Korruptions-Maßnahmen den Sportunternehmen und -organisationen ein "sauberes" Image verpassen. Tatsächlich beißt sich hier die Katze in den Schwanz. Denn den Regelbruch mit anonymisiertem Wistleblowing sowie mit immer strenger gefaßten Ethik- oder Verhaltensmaßregeln bekämpfen zu wollen, kann logischerweise nur in den nächsten Regelbruch münden. Dies macht allerdings insofern Sinn, als sich infolge progressiver Reglementierung ein herrschaftliches System qualifizierter gegenseitiger Kontrolle und Überwachung herausbildet, das das Individuum zum Funktionspartikel der "guten", "sauberen" und "transparenten" Sache macht, dem jeder Gedanke daran, die gesellschaftliche Systemfrage zu stellen, erfolgreich ausgetrieben wurde.

Das Wort Whistleblowing, das sich aus englisch 'to blow the whistle on' = 'Alarm schlagen' herleiten läßt, genießt im deutschen Sprachgebrauch völlig zurecht einen zweifelhaften Ruf, da es mit "verpfeifen" übersetzt und mit jemand "anschwärzen", "verraten" oder "denunzieren" verbunden wird. Es spricht Bände, daß Transparency International vor wenigen Jahren dazu feststellte: "Wer Whistleblowing mit dem Stigma des 'Verpfeifens' belegt, tut der Sache einen Bärendienst."

Die vermeintliche "Nichtregierungsorganisation" Transparency International, die im Zuge der von der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds weltweit angestoßenen Antikorruptionskampagne an Einfluß gewann, finanziert sich u.a. aus Spenden der Großindustrie sowie aus den Töpfen von Entwicklungshilfeministerien diverser Länder, der Europäischen Union, Stiftungen wie der Bertelsmann-Stiftung und der Rockefeller-Stiftung, der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und der Weltbank.

Daß die großen Korrupten ein Interesse daran haben, den kleinen Korrupten strenge Verhaltensregeln aufzudrücken, die sie nicht mehr in Frage zu stellen haben, ohne sich selbst zu stigmatisieren, liegt wohl auf der Hand. Eine Welt-Korruptions-Agentur im Sport wird die vielgepriesenen Werte des Sports, die längst zu Etiketten der besseren Vermarktung verkommen sind, auch nicht restaurieren können. Statt dessen, soviel läßt sich jetzt schon prognostizieren, wird die "schönste Nebensache der Welt" zunehmend zum Exerzierfeld strafrechtlicher und kriminaltechnischer Ermittlungen werden. Die Etablierung von "Hinweisgebersystemen" für Schiedsrichter und Funktionäre ist hier nur der Anfang.

6. Oktober 2009