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KOMMENTAR/086: Nation Building durch Fußball - innere Aufrüstung in Südafrika (SB)



"Der größte Ertrag der WM 2010 für Südafrika könnte auf einer gesellschaftlichen Ebene liegen. Wenn die WM organisatorisch reibungslos verläuft und das südafrikanische Fußballteam gut spielt, kann die WM 2010 zum Nation Building beitragen", schrieb das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) [1] im Vorfeld der ersten Fußball-Weltmeisterschaft, die auf dem afrikanischen Kontinent ausgetragen wird. Auch der Chef des südafrikanischen WM-Organisationskomitees, Danny Jordaan, hofft, "dass die WM unser Land zusammenschweißt und eine Art von 'nation building' stattfindet".

Inzwischen herrscht unter Experten weitgehend Einigkeit darüber, daß die südafrikanische Bevölkerung, insbesondere die Armen, in wirtschaftlicher Hinsicht kaum oder gar nicht von den Welttitelkämpfen profitieren wird. Selbst das der Kapitalismuskritik unverdächtige DIW erklärt: "Es ist keineswegs gewiss, dass sich die Austragung einer FIFA-WM für das Austragungsland (im Gegensatz zur FIFA) finanziell und insgesamt ökonomisch lohnt."

Wie sehr der Fußball-Weltverband FIFA von seinem eigenen Vermarktungsprodukt profitiert, läßt sich in nahezu allen Presseberichten über die Rekordeinnahmen des Verbandsmonopolisten nachlesen und muß deshalb hier nicht wiederholt werden. Weniger bekannt ist, daß auch rund 600 deutsche Unternehmen am Milliarden-Reibach in Südafrika beteiligt sind, wie das Auswärtige Amt berichtet. Mit einem Handelsvolumen von etwa 12,6 Milliarden Euro im Jahr 2008 lag Südafrika auf dem ersten Platz unter den Wirtschaftspartnern Deutschlands in Afrika. Bis 2010 sollten rund 40 Milliarden Euro für Infrastrukturvorhaben investiert werden, rund 2,7 Milliarden Euro waren für Maßnahmen im unmittelbaren Zusammenhang mit der WM vorgesehen. Nach Deutschlandfunk-Angaben [2] habe das WM-Geschäft 15.000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen: "Die Siemens-Tochter Osram stattet acht WM-Stadien mit Lichttechnik aus. T-Systems liefert den südafrikanischen Konzernen Transnet und Eskom Informations- und Kommunikationstechnik. Das Hamburger Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner plante die WM-Stadien in Durban, Kapstadt und Port Elizabeth." Zudem lieferte MAN Überlandbusse, die von ZF Friedrichshafen mit modernster Umwelttechnik ausgerüstet wurden.

Doch was hat es mit dem "Nation Building" auf sich, das so viele Politiker derzeit im Munde führen? Erst kürzlich drückte auch Willi Lemke (SPD), UNO-Sonderbeauftragter für Sport, seine Hoffnung aus, daß es in Südafrika so etwas wie "Nation Building" geben werde - "was wir übrigens auch in Deutschland schon gesehen haben. Da sind die Deutschen durch den Fußball zehnmal mehr dichter zusammengerückt als durch jeden politischen Appell oder jede Bundestagsresolution" [3]. Bekanntlich wurde bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland der neoliberale Topos vom "positiven Patriotismus" eingemeindet, um die Gesellschaft nach innen wie außen anschlußfähig für Standortinitiativen zu machen, die gemäß der neuen Offenheit der politischen Funktionseliten auch militärische Einsätze in instabilen Regionen miteinschließen. Was also soll unter dem Schlagwort "Nation Building" in der Republik Südafrika, der führenden Wirtschafts- und Militärmacht auf dem schwarzen Kontinent, wirklich durchgesetzt werden?

Trotz einer Reihe von Sportgroßveranstaltungen in der jüngeren Geschichte, welche jedesmal große Begeisterung und Zusammengehörigkeitsgefühle in der südafrikanischen Bevölkerung auslösten, sind die sozioökonomischen Unterschiede zwischen Ober-, Mittel- und Unterschicht im Laufe der Jahre immer größer geworden. "Von Südafrikas relativer wirtschaftlicher Stärke profitiert nur ein kleiner, vorwiegend weißer Anteil der Bevölkerung sowie die schwarze Oberschicht (elf Prozent)", konstatierte unlängst die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Auch 16 Jahre nach dem Ende der rassistischen Apartheidspolitik ist der Kapstaat trotz einer repräsentativen Demokratie und beachtlicher wirtschaftlicher Leistungen vielfach gespalten. Mögen weiße und schwarze Menschen, sofern sie sich ein Ticket leisten können, in den WM-Stadien auch einträchtig vereint in die Vuvuzelas blasen, um ihre Mannschaft nach vorn zu peitschen - durchgreifende soziale Veränderungen nach dem Ende der Apartheid hat es in Südafrika nie gegeben. Die Hoffnungen der schwarzen Massen auf eine wirklich gerechte Gesellschaft sind unerfüllt geblieben. Als Folge der gewaltigen Kluft zwischen Arm und Reich zählt Südafrika zu den Ländern mit der höchsten Kriminalitätsrate weltweit. 50 Menschen werden täglich in diesem Land ermordet, weit mehr als 100 vergewaltigt. Berichte über brutale Raubüberfälle und Einbrüche füllen die heimischen Gazetten. Obwohl die Gewalt den offiziellen Zahlen zufolge insgesamt etwas zurückgeht, herrscht faktisch immer noch ein Art Sozialkrieg im Land, in dem jeder vierte keine Arbeit hat. Über die Hälfte der Schwarzafrikaner, deren Arbeitslosenquote bei 50 Prozent liegt, lebt unterhalb der Armutsgrenze und bestreitet ein Leben mit weniger als 45 Euro im Monat. Die meisten gehen zu niedrigsten Löhnen und schlechtesten Arbeitsbedingungen einem Job nach.

Anläßlich der Fußball-WM hat die südafrikanische Regierung nicht nur Milliarden in Stadien und Infrastrukturmaßnahmen investiert, deren Allgemeinnutzen stark bezweifelt wird. Auch in die "öffentliche Sicherheit" sind große Summen an Steuergeldern geflossen. "Sollten die Sicherheitsmaßnahmen ohne Zuwachs an Korruption dauerhaft erhöht bleiben, könnte dies die ökonomisch und gesellschaftlich verheerende Kriminalität in Südafrika senken", macht sich auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung [1] eine Lesart zu eigen, wonach die Kriminalität im Land eine Folge ungenügender oder korrupter Sicherheitsmaßnahmen sei und nicht etwa ökonomischer und gesellschaftlicher Ungerechtigkeit. Folgt man jedoch der verdrehten Logik des DIW, dann müßten, damit die Verheerungen für Ökonomie und Gesellschaft zurückgehen, nur die Sicherheitsmaßnahmen "dauerhaft erhöht bleiben". Sollten letztere Maßnahmen der verkappte Zweck des "Nation Buildings" sein?

Vieles spricht dafür, denn Südafrika ist den bereits weit im Vorfeld der WM orchestrierten Sicherheitsvorbehalten vornehmlich der europäischen Nationen nach Kräften entgegengekommen. Weil es zu den erklärten Image-Zielen der mit neoliberalen Wirtschaftskonzepten hantierenden Regierung gehört, die Regenbogennation als ökonomisch leistungsfähig, interessant für ausländische Investoren und - was untrennbar damit verbunden ist - als verläßliche Sicherheits- und Ordnungsmacht zu präsentieren, die während eines sportlichen Großereignisses sowohl Kriminalität als auch politische Unruhen in Zaum zu halten versteht, wurden die Polizei- und Sicherheitskräfte im Land, zum Teil mit ausländischer - auch deutscher - Unterstützung, massiv aufgerüstet. 120 Millionen Euro soll die südafrikanische Regierung in sicherheitsrelevante Dienste investiert haben. Während der vierwöchigen WM sollen mehr als 190.000 Polizisten für den Schutz der Sportler, Betreuer, Journalisten oder Zuschauer sorgen, gleichzeitig aber auch die überall lodernden Konfliktherde in der Bevölkerung unter Kontrolle halten.

Neben der Polizei und speziell geschulten Einsatzkräften sind Zehntausende private Sicherheitskräfte sowie das Militär beteiligt. Shane Brown, Sicherheitschef von Port Elizabeth, gab sich schon vor Monaten im Deutschlandfunk (07.02.2010) zuversichtlich, "daß wir jegliche Gefahr durch die Kooperation von privaten Sicherheitsfirmen, Polizei, Armee und auch ausländischen Beamten abwenden können, daß es also zu keinerlei Zwischenfällen kommt". Neben modernem Einsatzgerät wie Hubschraubern, die mit Kommandowagen auf dem Boden in Verbindung stehen, sollen neueste Überwachungssysteme für Ruhe und Ordnung sorgen. So sind die Zentren der Großstädte, die Stadien und die Fanparks komplett videoüberwacht.

Jede der 32 teilnehmenden Nationen darf ihre eigenen Polizeioffiziere mitbringen - angeblich um zu helfen, "sprachliche und kulturelle Barrieren zu überwinden", wie FAZ-Online berichtete. Auch Interpol, das das größte Expertenteam zusammenstellte, das jemals für ein Sportevent aufgeboten wurde, hat für die Zeit des Turniers ein eigenes Büro in Südafrika eingerichtet. Die südafrikanische Regierung hat zudem eigens für die WM 56 Schnellgerichte eingeführt, an denen zusammen mit Richtern, Staatsanwälten, Verteidigern und Übersetzern nach Informationen der britischen Zeitung The Guardian rund 1500 Personen beteiligt sein sollen. Um "hartes Durchgreifen" zu demonstrieren, wurde ein Handy-Dieb zu fünf (!) Jahren Haft verurteilt, ein Nigerianer, der mit gestohlenen WM-Tickets handelte, bekam drei Jahre. Zwei Simbabwer sind nach einem bewaffneten Raubüberfall auf Reporter bereits mit je 15 Jahren Haft bestraft worden. Vieles von dem, was während des WM-Turniers 2006 in Deutschland an repressiven Maßnahmen angedacht war, kommt nun in Südafrika wie selbstverständlich zum Einsatz. Schnellgerichte, die kaum faire Verfahren garantieren können, oder der Einsatz des Militärs im Landesinnern konnten in der Bundesrepublik seinerzeit nicht durchgesetzt werden.

Deutschland als zentrale Ordnungsmacht in Europa hatte sein vielgerühmtes "Organisationstalent" u.a. dadurch unter Beweis gestellt, daß es während der Heim-WM sämtliche systemrelevanten Institutionen und gesellschaftlichen Konfliktparteien auf die schwarz-rot-goldene Linie brachte, so daß die neoliberalen Politprogramme für Lohnsenkung und Sozialabbau auf keinen nennenswerten Widerstand stießen (siehe die erfolgreiche Standort-Kampagne "Du bist Deutschland"). Auch die zentrale Ordnungsmacht auf dem schwarzen Kontinent ist bestrebt, die streitenden Parteien im Rahmen der Nation-Building-Kampagne zum "sozialen Frieden" während der WM anzuhalten, um dem Ausland ein gutes Bild von der Kapnation zu vermitteln.

Aufgrund einer starken linken Gewerkschaftsbewegung stellen sich der Regierung jedoch einige Hindernisse in den Weg. Nach einem Bericht von reuters (03.06.2010) erklärte die streikbereite Bergarbeitergewerkschaft NUMSA, die eine zweistellige Lohnerhöhung vom staatlichen Stromversorger Eskom fordert: "Die Probleme von Millionen unserer Arbeiter und unserer Armen sind viel größer als die Weltmeisterschaft. Sie werden ihren existentiellen Kampf für zum Leben reichende Löhne niemals dem Ziel unterordnen, daß Besucher unseres Landes einen friedlichen Eindruck bekommen."

Das verfassungsrechtlich geschützte Streikrecht in Südafrika wird von den WM-Organisatoren allerdings in Frage gestellt. Chef-Organisator Danny Jordaan erklärte bereits: "Wir haben Respekt vor den Rechten der Arbeiter, aber es ist inakzeptabel, die Abläufe an einem Spieltag zu stören." Schon in der ersten WM-Woche ist es entgegen den Interventionen der Regierung zu zahlreichen Arbeitskämpfen gekommen, die mit Polizeigewalt, zum Teil unter Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen, unterdrückt wurden. Dabei gab es auch diverse Festnahmen. Die Protestaktionen und Arbeitsniederlegungen sind in der Regel den geringen oder ausgebliebenen Löhnen, den miserablen Arbeitsbedingungen sowie anderen Mißständen geschuldet. Weil die Mitarbeiter von Security-Diensten vielfach selbst in Streik getreten sind, müssen Polizisten bereits in vier WM-Stadien für die privaten Dienste einspringen.

Das Nation Building-Projekt wäre im Sinne der ausländischen Handelspartner, die dauerhaft stabile Verhältnisse in Südafrika verlangen, dann zu einem Erfolg geführt, wenn es dem Regierungs- und Staatsapparat während der WM gelingt, sich trotz der aufflammenden Arbeits- und Sozialkonflikte sowie Negativ-Schlagzeilen (die Tageszeitung "The Citizen" titelte bereits "Die Weltmeisterschaft wackelt") jederzeit als Herr der Lage zu erweisen. Da es sowieso nie um bessere Lebensverhältnisse für die Armen und Elenden in Südafrika ging, denn dann hätte man sich wohl kaum eine solch gefräßige Profitmaschine wie die FIFA ins Land geholt, die sogar noch den Klein- und Straßenhändlern die Krümel des erhofften WM-Geschäftes aus der Almosenschale stiehlt, kann der "Image-Gewinn" der Kapnation allenfalls darin bestehen, sich als stabile Ordnungsmacht in Afrika zu empfehlen, die alle als "Störung der Sicherheit" heruntergespielten Gesellschaftskonflikte im Keim zu ersticken versteht.

Anmerkungen:

[1] www.diw.de. Wochenbericht des DIW Berlin 23 / 2010 Fußball-WM in Südafrika: kaum wirtschaftlicher Nutzen, aber ein Beitrag zum Nation Building. Von Denis Huschka, Anja Bruhn, Gert G. Wagner.

[2] Deutschlandfunk. 13.06.2010. Tore, Spieler, Märkte. Die Fußballweltmeisterschaft als Wirtschaftsfaktor - doch wer verdient an dem Turnier? Von Moritz Küpper und Heinz Peter Kreuzer

[3] www.dradio.de. Sendung Tacheles. Interview vom 05.06.2010. Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport drückt Afrika die Daumen

25. Juni 2010