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KOMMENTAR/108: "Translating Doping" - ein Wolf im geisteswissenschaftlichen Schafspelz (SB)



Unter dem Titel "Translating Doping - Doping übersetzen" wurde im April 2009 ein in Europa einmaliges interdisziplinäres Projekt mit dem Anspruch gestartet, die "Paradoxien", die mit der aktuellen Dopingdiskussion verbunden sind, "durch Übersetzung in geisteswissenschaftliche Zusammenhänge transparent" zu machen [1]. Wer gehofft hat, Philosophen, Pädagogen, Historiker oder Soziologen wären möglicherweise angetreten, den Doping-Legalismus aus dem verengten Sportkontext (Moralisierung und Skandalisierung) herauszuführen und ihn im Lichte humanistischer Freiheitsideale so transparent zu machen, daß er sich eben nicht mehr rückübersetzen läßt in antiemanzipatorische Herrschaftspraktiken, der muß sich eines Besseren belehren lassen. Das Gegenteil ist der Fall: Geisteswissenschaftler des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,3 Millionen Euro geförderten Verbundprojektes der Technischen Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin leisten Juristen, Kriminologen und Naturwissenschaftlern moralisch-ethische Schützenhilfe, um die eklatanten Freiheitseinschränkungen im Namen des "sauberen Sports" zu rechtfertigen. Oder um es mit den Worten des Sportphilosophen Prof. Dr. Elk Franke zu sagen, sie liefern "Schlüssel zu einer juristisch begründbaren Kontrollkultur".

In einem Artikel der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) [2], der wie eine wohlfeile Werbung des jüngst erschienenen ersten Bandes "Sport, Doping und Enhancement - Transdisziplinäre Perspektiven" [3] wirkt, führt Prof. Franke, Leiter des "Translating Doping"-Projektes an der Humboldt-Universität, zum Fragenkomplex "Warum verbieten wir Doping eigentlich? Wie ist der hohe Aufwand im Kampf gegen Doping zu rechtfertigen?" aus: "Wenn wir dopingfreien Sport aus Gründen der Ethik und des Fair Play wollen, dann ist der Sport ein verteidigungswürdiges Gut. Das wiederum gibt uns das moralische Recht, dieses Gut auch mit Einschränkungen von Persönlichkeitsrechten zu verteidigen. Damit wäre prinzipiell der Weg geebnet, dass man jedem Athleten quasi bei seinem Eintritt in die Sonderwelt des Sports abverlangen darf, dass er sich den außergewöhnlichen Regeln dieser Sonderwelt unterwirft, weil sie sonst nicht zu erhalten wäre."

Um zu erläutern, was unter "Sonderwelt" des Sports zu verstehen sei, verweist NOZ online auf die Erklärung von Prof. Franke, wonach sportliche Handlungen "nicht zweck- und zielgebunden" wie etwa Holzhacken oder Autofahren seien. Franke zieht das Beispiel des 400-Meter-Läufers heran: "Er läuft nicht, um von A nach B zu kommen, sondern um im Ziel wieder an seinem Startpunkt zu sein." Aus dieser abstrusen Erklärung (auch ein Autofahrer parkt mit dem Wagen in der Garage, um am Ziel wieder an seinem Startpunkt zu sein) leitet die NOZ ab: "Der Sport hat also seine eigenen Regeln. Jeder, der in diese Welt eintaucht, trifft die 'werthafte Wahlentscheidung' sie zu befolgen."

Das "Sonderwelt"-Konstrukt des Sports, das einen von der Gesellschaft isolierten Handlungs-, Normen- und Ordnungsraum postuliert, in dem grundgesetzlich geschützte Freiheits- und Persönlichkeitsrechte außer Kraft gesetzt werden könnten, um sportliche Chancengleichheit zu schützen, als handele es sich bei letzterem, in der Regel unerfüllten Anspruch um ein höheres Rechtsgut, dient den Projektforschern als Rechtfertigungsgrundlage für einen "Königsweg zur Doping-Bekämpfung", der eine "neue, individualisierte Kontrollkultur" begründen soll. Beträchtliche Vorarbeit hatte bereits die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) geleistet, die ein geschichtlich beispielloses Kontroll- und Überwachungsregime im Sport durchgesetzt hat mit bedenklichen Auswirkungen auf gesamtgesellschaftliche Diskurse. Wenn vor dem Hintergrund aufgebauschter Bedrohungsszenarien Sicherheitsinteressen gegen Bürgerrechte abgewogen werden und der Bevölkerung - siehe die geplante Einführung von Körperscannern auf Flughäfen - weisgemacht werden soll, daß die Verletzung der Privat- und Intimssphäre ein Preis sei, den sie um der "höheren Sicherheit" willen (leider) zu bezahlen habe, dann spiegeln sich hierin Argumentationsstränge und -verkürzungen wider, wie sie im "gläsernen Sport" mit fortschreitender Entwicklungsdynamik und Vorbildwirkung mittlerweile gang und gäbe sind.

Als hätte sie aus dem orwellschen Maßnahmenkatalog der WADA abgeschrieben, plädiert indessen die Forschergruppe um Prof. Franke und Prof. Giselher Spitzer (Sporthistoriker und Koordinator des Forschungsprojekts) für ein Umschwenken der Kontrollen von Urin- zu "flächendeckenden Bluttests", weil diese aussagekräftiger seien. Das Anlegen von Blutprofilen solle so früh wie möglich beginnen, um für jeden Athleten ein individuelles Ausgangsprofil zu erstellen. "Jeder Sportler hätte dann seine eigenen Grenzwerte, mittels statistischer Modelle könnte die Wahrscheinlichkeit einer Manipulation ermittelt werden", schreibt die NOZ lapidar, so als ob es den vermeintlichen Dopingfall der Eisschnelläuferin Claudia Pechstein nie gegeben hätte, deren Ruf und Karriere auch unter Anwendung fehler- und willküranfälliger statistischer Deutungsmodelle nachhaltig geschädigt wurden.

Die Positionierung der Forschergruppe der Humboldt-Universität, die möglicherweise von den "Kollegen" der Technischen Universität Berlin um Prof. Dr. Christoph Asmuth abweicht, wird gestützt von namhaften Rechtsexperten, darunter Dieter Rössner, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Marburg. Durchaus im Widerstreit mit anderen namhaften Juristen, die das Strafrecht nicht als "Allzweckmittel" zur Bereinigung der Probleme im sportindustriellen Komplex sehen, tritt er seit Jahren für ein Anti-Doping-Gesetz mit allen Schikanen wie verdeckte Ermittlungen mit V-Männern, Telefonüberwachungen, Hausdurchsuchungen, Kronzeugenregelung oder Sonderstaatsanwaltschaften ein. Laut NOZ nennt Prof. Rössner die Verpflichtung zu Bluttests den "Mitgliedsausweis der Sonderwelt des Sports", an der alle Beteiligten - der einzelne Athlet, die Sportverbände und der Staat in seiner Verantwortung für das Gesamtsystem Sport - ein Interesse haben. Dazu fehlten derzeit, so die Autoren der NOZ weiter, "die zivil- und strafrechtlichen Grundlagen. Denn bei einer Blutentnahme wird in den Körper des Athleten eingedrungen, um ihm etwas zu entziehen - juristisch eine Körperverletzung".

Für die Übergriffe auf den Körper des Athleten sollen ganz offensichtlich elementare rechtliche Schutzschranken entfernt und die omnipräsente Überwachungs- und Kontrollkultur im Leistungs- und Spitzensport [4] mit normativer Legitimität erfüllt werden. Dazu bedarf es eines breit angelegten, interdisziplinär orchestrierten Konsenses ("Kontrollkultur") unter den geisteswissenschaftlichen Bildungseliten, damit sie im Schlepptau der tonangebenden Natur- und Rechtswissenschaftler die neue repressive Verwertungsordnung des Sports mitvollziehen. Das Millionenprojekt "Translating Doping - Doping übersetzen" dient sich diesem Ziel an, indem es die moralisch-ethische Bringschuld nicht auf seiten der Sozialfunktionäre verortet, die diesen eigentlich abzulehnenden Dornenweg aus durchschaubaren berufsständischen Teilhaberschaftsinteressen mitzugehen bereit sind, sondern auf seiten der unter Generalverdacht gestellten Sportler, die in diesem Bezichtigungssystem gar keine andere Chance haben, als sich zu jeder Anpassungsleistung bereitzuerklären, um am gesellschaftlichen Subsystem des Sports teilnehmen zu können.

Der Vorstoß der Humboldt-Universität, zum Entree in die Sportwelt die Einschränkungen von Persönlichkeitsrechten moralisch wertvoll erscheinen zu lassen (was kommt danach, wenn es immer noch keinen "dopingfreien Sport" gibt?), tut um so mehr not, als noch nicht alle Instanzen demokratischer Kontrolle auf Linie gebracht sind und sich hier und da, auch in der Athletenschaft, Widerstand regt.

Zum Entsetzen der arrivierten Experten- und Meinungskartelle gelangte Ende vergangenen Jahres ein als vertraulich eingestufter Bewertungsentwurf des Landesdatenschutzbeauftragen in Rheinland-Pfalz an die Öffentlichkeit [5], in dem in einer Deutlichkeit, wie man sie hierzulande von offizieller Seite bislang noch nicht vernommen hatte, Kritik am nationalen Dopingkontrollsystem der NADA (institutioneller Ableger der WADA) geübt wurde. Die Datenschützer stellten in der 15seitigen Expertise fest, daß die Dopingkontrollen der Spitzensportler "zu einer unerträglichen Verletzung ihrer Intim- und Privatsphäre" führten und damit insgesamt als "rechtswidrig einzustufen" seien. Auch die Meldepflichten für Spitzensportler, die ihre Aufenthaltsorte und ihre Erreichbarkeit präzise im voraus angeben müssen, beanstandeten sie: "Die detailliert ausgestalteten Meldepflichten, die zudem noch mit gravierenden Sanktionsandrohungen und offenkundig benachteiligenden Beweislastverteilungen verbunden sind, greifen in geradezu erschreckender Weise in die Persönlichkeitsrechte der Sportler ein." Anhand dieser Angaben könnten Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellt werden: "Die NADA erhält auf diese Weise Einblicke in die Privatsphäre der Sportler, die selbst staatlichen Strafverfolgungsbehörden nicht gestattet wären."

Im Gegensatz zur Wägeposition der "Translating Doping"-Fraktion an der Humboldt-Universität, die nicht wesentlich von den Interessen der WADA/NADA-Vertreter abweichen dürfte, vertraten die Datenschützer den Standpunkt: "Selbst wenn man das Interesse der NADA an einem dopingfreien Sport, offenkundig ein Allgemeininteresse, als gewichtiges, berechtigtes Interesse einstuft, so überwiegt doch ganz offenkundig das schutzwürdige Interesse der Sportler daran, in ihrem persönlichen Lebensbereich nicht dermaßen intensiv überwacht zu werden. Das Interesse der Sportler außerhalb von Wettkämpfen private Rückzugsbereiche zu nutzen und zu erhalten, ist deutlich höher zu gewichten als das Interesse, möglichen Betrügereien bei Sportwettkämpfen Einhalt zu gebieten."

Seit diesem Vorstoß, der von eilfertigen Sportfunktionären, - politikern und verbandsnahen Athletenvertretern umgehend mit Empörung, Unverständnis oder Beschwichtigung sowie fatalistischen Bekenntnissen zum angeblich alternativlosen System der Freiheitsberaubung im Antidopingkampf quittiert wurde, ist es merkwürdig still im deutschen Blätterwald geworden. Rasch war ein Treffen zwischen den Datenschützern und der NADA anberaumt worden, um hinter verschlossenen Türen einen neuen Burgfrieden zu schmieden. Was allerdings bei aller begrüßenswerten Kritik der Datenschützer an der "ausforschenden Überwachung" stutzig machen sollte: Der rheinland-pfälzische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink rügte nicht nur massive Defizite im NADA-Code, weil Athleten lediglich zwischen sechs Uhr morgens und neun Uhr abends getestet werden dürften (will er den Athleten und ihren Familien etwa künftig die Nachtruhe rauben, um "Kontrollücken" zu minimieren?), sondern empfahl auch die Begrenzung der Kontrollen auf die wesentlich teureren Bluttests, weil die Abgabe von Urinproben im entkleideten Zustand und unter strenger Beobachtung eines Kontrolleurs "sittenwidrig" und eine empörende Verletzung der Intimsphäre sei.

Flächendeckende und verdachtsunabhängige Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit durch Blutentnahmen, wie sie bereits jetzt schon im Rahmen der Blutpaß-Programme von den Sportverbänden durchgeführt werden, scheinen für die Datenschützer also akzeptabel zu sein. Gibt es vielleicht noch mehr grundgesetzlich geschützte Rechtsgüter, bei deren Veräußerung Datenschützer mit "Übersetzungswissenschaftlern" d'accord gehen, um die "neue, individuelle Kontrollkultur" des Sports als Impulsgeber gesamtgesellschaftlicher Entwicklung ins Werk zu setzen?

Anmerkungen:

[1] www.translating-doping.de

[2] www.noz.de. "Ein Königsweg gegen Doping? - Berliner Forscherteam plädiert für flächendeckende Blut-Tests." Von Susanne Fetter und Harald Pistorius. Veröffentlicht am: 03.02.2011.

[3] Sport, Doping und Enhancement - Transdisziplinäre Perspektiven. Herausgeber: Giselher Spitzer, Elk Franke. Verlag: Sportverlag Strauß; Auflage: 1., Aufl. (10. Januar 2011).

[4] Siehe SPORT > MEINUNGEN > KOMMENTAR/091: Arrestierte Fechterin Imke Duplitzer spricht Klartext

[5] Laut ARD-Politik-Magazin REPORT MAINZ (13.12.2010) stellt das Dokument "eine umfassende juristische Expertise der Anti-Doping-Praktiken der NADA dar. Es ist als Entwurf deklariert und trägt den Titel 'Datenschutzrechtliche Bewertung des NADC (Nationaler Anti-Doping-Code) 2009'".

7. Februar 2011