Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → MEINUNGEN


KOMMENTAR/224: Gleichschritt der Nutznießer ... (SB)


Marktförmige Immunregulation: Käuflicher Handball - käufliche Menschen(rechtspolitik)


Die Wettbewerbsapologeten welcher Profession auch immer leben davon, daß sie eine "Glaubwürdigkeit" oder "Integrität" des organisierten Sports unterstellen, die mit allen Mitteln vor Angriffen oder Erosionen bewahrt werden müßte. Anläßlich der Handball-Weltmeisterschaft im eigenen Land hat nun Katar in einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt, vor Augen geführt, wie käuflich die Sportwelt ist, die sich auf ihre hehren Prinzipien, Kodexe und Werte so viel einbildet!

Schade nur, daß der steinreichen Golfmonarchie der totale Triumph bei der WM verwehrt blieb. Im Endspiel unterlag die hauptsächlich aus eingebürgerten Weltklassespielern bestehende Auswahl Katars dem Seriengewinner Frankreich mit 22:25 und verpaßte damit knapp die "Sensation", als erste nichteuropäische Handball-Nation einen globalen Titel einzuheimsen. Wobei der internationale Nationenwettbewerb ohnehin nicht mehr gilt, weil fast alle Nationen regen Gebrauch von der Praxis der Einbürgerung machen. So ist auch den Kataris nicht vorzuhalten, daß sie als Land ohne gewachsene Sporttradition auf ausländische Söldner setzten, den von privatwirtschaftlichen Profit- und staatlichen Renommierinteressen beherrschten Stellvertreterkrieg auf dem Spielfeld für sie zu gewinnen. Aus eigener "Talentezucht" - und das ist in diesem Gewerbe auch so gemeint, wie es sich anhört - vermochte Katar lediglich vier Ballwerfer für das A-Kader heranzuziehen.

Für Sporttraditionalisten, die den Leistungswettbewerb ungeachtet seiner Widersprüche wie eine heilige Kuh verehren, war die Handball-Weltmeisterschaft eine einzige Katastrophe. Und das sicherlich nicht nur wegen der leeren Prachthallen vor Ort, der Weigerung katarischer Sportrechteverwerter, die Übertragung der deutschen Spiele im öffentlich-rechtlichen Free-TV zu ermöglichen, oder den frappanten "Ermessensspielräumen" der Schiedsrichter, die immer wieder für ungläubiges Kopfschütteln sorgten und den Verdacht nährten, hier sei Verbandspolitik von oben im Spiel. Deutschland hatte sich sportlich nicht für die WM qualifizieren können, wurde aber vom Weltverband IHF per "Wildcard" ins Endrunden-Turnier gehievt - was dem vielzitierten "Wettbewerbsgedanken" im Sport geradezu Hohn sprach. Um im begrenzten Teilnehmerfeld Platz für das wirtschaftliche Zugpferd aus Deutschland zu schaffen, wurde dem Handball-Winzling Australien über einen verbandsautokratischen Winkelzug kurzerhand die Teilnahmeberechtigung aberkannt. Alles regelkonform, alles demokratisch, versicherten der Weltverband und seine davon profitierenden Föderationen. [1] Trotz des Geschmäckles hat sich das konzertierte Ränkespiel für Deutschland gelohnt: Die DHB-Auswahl angelte sich am Ende Platz sieben, was sie zur Teilnahme an einem Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele 2016 in Rio berechtigt.

Katar hat neben der Fußball-WM 2022 auch die Welttitelkämpfe im Boxen (Oktober 2015), in der Paralympischen Leichtathletik (Oktober 2015), im Straßen-Radsport (September 2016), Turnen (2018) und in der Leichtathletik (2019) an Land gezogen. Dohas Milliarden-Dollar-Investitionen in den Sport könnten irgendwann auch dazu führen, daß die Olympischen Sommerspiele an den Golf vergeben werden. Scheich Joaan bin Hamad bin Khalifa Al-Thani, katarischer Chef des WM-Organisationskomitees, betonte nach der Handball-WM: "Katar ist immer bereit, für alles." [2]

Das erdgasreiche Emirat mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt weiß die Zwänge und Nöte der arrivierten Sportorganisationen und -verbände, sich wie die Esel nach jeder Karotte strecken zu müssen, um im globalisierten Sport nicht an Boden zu verlieren, geschickt für sich zu nutzen. Weil die europäischen und nordamerikanischen Sportmärkte weitgehend abgegrast oder durch die etablierten Verwertungsmonopole besetzt sind, der Druck beispielsweise durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) aber nicht geringer wird, daß sich die olympischen Sportarten TV-, werbe- und zuschauertechnisch rentieren müssen, wollen sie nicht aus dem Programm fliegen, sind praktisch alle Teilnehmer in diesem Konkurrenzsystem gezwungen, ihre Jagdgründe gegenüber den Nebenbuhlern zu verteidigen, zu sichern und zu erweitern. Das gilt auch für die Platzhirsche des Geschäftes, die ihre marktbeherrschende Stellung ständig gegenüber Randsportarten mit weniger Medienaufmerksamkeit und Finanzkraft konsolidieren müssen. Mit einer Mischung aus Goldgräberstimmung und Torschlußpanik drängen deshalb alle Sportorganisationen und -verbände auf jene Sportmärkte, auf denen es aufgrund der Ressourcenvorkommen und politischen Rahmenbedingungen noch etwas abzusahnen gibt - zur Zeit vornehmlich im arabischen Raum, Asien, Brasilien oder Rußland. Märkte in Afrika oder Indien, sofern die Länder industriell stärker erschlossen sind, könnten für die Sportunternehmen, die auch als Türöffner für die transnationalen Großkonzerne arbeiten, irgendwann ebenfalls von Interesse sein.

Katar, das den Sport als Transmissionsriemen für die Umsetzung seines nationalen Entwicklungsplans "Vision 2030" einsetzt und Doha zur Welthauptstadt des Sports machen will, hatte wahrlich gute Lehrmeister aus den westlichen Industriestaaten. Nach dem Prinzip "Money rules everything" werden nicht nur Sportler, sondern auch Trainer, Wissenschaftler, Spitzensportplaner, Polizisten oder Journalisten aus aller Welt eingekauft. Das von Werbefachleuten und Sportmanagern beratene Emirat, das rund 500 Millionen Dollar in das Handballturnier gesteckt haben soll, achtet bei der Auswahl seiner ausländischen Experten darauf, daß diese möglichst viel "Reputation" und "Expertise" vorweisen können. So etwas beeindruckt nicht nur das Laienvolk, sondern macht es Kritikern auch schwerer, die ausgefuchsten Euphemismen der mit "westlichem Knowhow" renommierenden Professionen zu durchschauen und ihre Interessen schonungslos offenzulegen. So wurde zum Beispiel für die Handball-WM die im hohen Ansehen stehende Trainerlegende Valero Rivera aus Spanien verpflichtet, der die katarische Weltauswahl für ein fürstliches Salär auf Erfolgskurs brachte. Angesprochen auf das heikle Thema Einbürgerung wies der Startrainer auf das ihm auferlegte "Interviewverbot" (NZZ) hin und erklärte, daß keinem Spieler die neue Staatsbürgerschaft aufgezwungen worden sei. [3]

Dieses Redeverbot, gar nicht oder nur hinter vorgehaltener Hand über die Widersprüche des professionellen Sportgewerbes sprechen zu können, ist praktisch Konsens innerhalb der marktförmig gleichgeschalteten "Sportfamilien", deren Mitglieder das Wohl und Wehe ihrer Sportart (und damit ihrer persönlichen Leidenschaft und/oder Profession) mit dem Erfolg des Produktes - hier "der Handball" - auf dem globalen Markt gleichsetzen. Wer aus dem professionellen Mitläufertum ausschert, würde sofort als Nestbeschmutzer gebrandmarkt und mit Giftpfeilen aus den eigenen Reihen gespickt werden. Handballprofis haben damit auch kaum Probleme, schließlich herrscht bei allen die tiefe Einsicht, daß in einer Konkurrenz- und Wettbewerbsgesellschaft eben jeder sehen muß, wie er sich auf dem hartumkämpften Markt bestmöglich verkauft. Ansonsten gilt es, den weltoffenen Sporttouristen zu spielen, der sich von Berichten über Baustellentote und Menschenrechtsverletzungen in Katar nicht aus der Ruhe bringen läßt.

Eine solche Strategie legte auch der DHB-Vizepräsident Robert Hanning, alias "Bob", an den Tag, der vor seiner Reise an den Golf im Deutschlandfunk drechselte, er wolle sich nicht von Medien vorgegebene Meinungen zu eigen machen, sondern erst einmal unvoreingenommen nach Katar fahren und sich danach ein Urteil bilden. [4] Ein paar Interview-Sätze zuvor hatte der Handball-Macher den Gutmenschen markiert und das neue "Deutschland-Buch" beworben, das Jungnationalspielern einen wertebezogenen Verhaltenskodex (Respekt, Disziplin, Nationalstolz etc.) an die Hand geben soll. Was im Deutschlandfunk-Interview nicht zur Sprache kam und worüber auch die Bild-Zeitung nicht berichtet, wenn sie Hanning zitiert ("Jeder muss stolz sein, für sein Vaterland spielen zu dürfen. Mit dem Buch übernimmt jeder Verantwortung für Deutschland. Für die Werte, für die Deutschland steht." [5]), aber in der Handballszene bekannt ist: Während seiner Trainerkarriere beim HSV Hamburg figurierte er nicht selten mit härtesten Ansagen gegenüber seinem Spielermaterial. Protestierende Spieler der SG Solingen hatten dem Coach in der Frühphase seiner Laufbahn sogar menschenunwürdige Trainingsbedingungen und modernes Sklaventum vorgeworfen, während Hanning "professionelles Training" am Werke sah (Handball-Woche). Er war auch einer der ersten Bundesligatrainer, die den Tabubereich der Spielerkabine den TV-Kameras öffnete, um mehr Medienaufmerksamkeit für den gewerblichen Handball zu generieren.

Wenn der Preis stimmt, ist im kommerziellen Sport offenbar alles möglich. Katar hatte nicht nur gegnerische Handballfans eingekauft, für die Gastgebermannschaft zu klatschen, um TV-gerechte Stimmung in die Luxushallen zu bringen, sondern auch Journalisten, und das in einer bislang unbekannten Dimension. Der partnerschaftlich verbundene Handballweltverband IHF, der von einem katarischen Sportrechtekonzern die Rekordsumme von rund 82 Millionen Euro für WM-Übertragungsrechte einstreicht, soll für 680 der insgesamt 1.711 akkreditierten Journalisten die Kosten ihrer Reise und Unterbringung übernommen haben. Auch etwa 20 deutsche Journalisten seien darunter gewesen, berichteten Medien, die diesen "Einladungsjournalismus" öffentlich machten. Der Deutsche Handballbund hatte die IHF-Einladung an Journalisten mit der Begründung weitergeleitet: "Wissend um die wirtschaftliche Situation vieler Verlage, Redaktionen und Freelancer haben wir zudem die Chance gesehen, eine vielfältigere und ein Mehr an Berichterstattung zu ermöglichen." So kann man Hofberichtstattung auch umschreiben. Es spricht Bände, daß der DHB-Pressesprecher den Konjunktiv wählte, als er darauf verwies, die Berichterstattung "hätte auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Nationalmannschaft sein können, die sich bei einem weniger überzeugenden Turnierverlauf ergeben hätte". Nachsatz: "Zudem haben die hier anwesenden Journalisten die Möglichkeit, über alle - und damit auch über den Handball hinausgehende - Themen kritisch zu berichten." [6]

Die Möglichkeit, kritisch über die Nationalmannschaft oder über den Sport hinaus zu berichten, kann von Verbandsseite deshalb gefahrlos propagiert werden, weil im kommerziell abhängigen, meist konservative Werte verteidigenden Sportjournalismus, der die Zerrspiegel und Schutzmechanismen des Gewerbes gleichsam mitverkörpert, so selten Gebrauch davon gemacht wird. Kritik ist außerdem ein sehr dehnbarer Begriff. Wenn Kritik an Doping, Korruption, Wett- oder Schiedsrichtermanipulation - um nur die Klassiker zu nennen - gar dazu führt, daß sich die Sportwirtschaft neue Compliance-Regeln oder Governance-Komitees zulegt und ansonsten Politik, Justiz und Wissenschaft in kaltlächelnder Eintracht die repressiven Systeme hochfahren, damit - unausgesprochen - auch der Sport sein Scherflein zur herrschaftlichen Formatierung der Massen beiträgt (selbst die Linkspartei arbeitet bei der Sportverwertung einer reaktionären Kriminalisierungspolitik zu), dann weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Tatsächlich findet auf allen Ebenen der industriellen und institutionellen Spitzensportproduktion eine gesellschaftliche Immunisierung statt, die den Sport als Wirtschaftsfaktor zur unumstößlichen Konstante im Ringen um internationale Vorteilspositionen erhebt und jedwede Kritik am Sportkommerz und leistungspuristischem Spitzensport als ewiggestrige Denkweise von Sportromantikern ins Dauerabseits zu stellen sucht.

Ein Beispiel für diese Immunregulation ist die aktuelle Fan- und Mediendiskussion um den Fußballretortenklub RB Leipzig, der mit finanzieller Hilfe des Getränkemultis Red Bull bis in die zweite Liga aufgestiegen ist und mit weiteren Brause-Millionen in die höchste Klasse gepuscht werden soll. Viele Diskussionen sind davon geprägt, daß die vermeintlich Aufgeklärten oder Desillusionierten den "träumerischen" Traditionalisten, die sich gegen den Fußballkommerz wehren, vorhalten, die Verhältnisse im durchweg kommerzialisierten Sport nicht nüchtern genug zu sehen. Die Einsicht, daß im Sport wie auch in der Gesellschaft im Grunde alles Geschäftemacherei sei, mündet dann meist in das fatalistische Bekenntnis zum globalen (Sport-)Kapitalismus, dem allerdings Zügel angelegt werden müßten.

Von da aus ist es dann nur noch ein Katzensprung zu Human Rights Watch. Im Anschluß an die Handball-WM und mit Blick auf die Fußball-WM 2022 kritisierte die Menschenrechtsorganisation das langsame Reformtempo in Katar: Weder wurde ein Lohnschutzsystem eingeführt noch das umstrittene Kafala-System reformiert, das zur extremen Ausbeutung eingewanderter Arbeitskräfte führt. Reisepaßentzug, Ausreisevisa, horrende und illegal erhobene Vermittlungsgebühren für Arbeitssuchende sowie der fehlende Zugang der Arbeiter zum Rechtssystem sind weitere Punkte auf der Kritikliste. Entscheidend ist aber folgende Einlassung der Menschenrechtsorganisation, die ihren Jahresbericht am 5. Februar in Doha vorstellte. Demnach sei die Fußball-WM 2022 ein Motor für Reformen, wie Sarah Leah Whitson, Direktorin von Human Rights Watch für Nordafrika und den Nahen Osten, beteuerte: "Wir sind froh, dass die WM nach Katar kommt. Das ist eine gute Möglichkeit zur Entwicklung und für Jobs für Millionen von Arbeitern. Wir wollen, dass Katar von dieser internationalen Aufmerksamkeit profitiert, indem es Reformen umsetzt." [7]

Diese Lesart oder Rechtfertigungsstrategie, daß die aufgeblasenen Megaevents der Sportkonzerne in Wirklichkeit ein Segen für die ausgebeuteten Menschen seien, weil dadurch erst ihre Situation verbessert werden könne, setzt sich im Sportmainstream immer mehr durch. PolitikerInnen aller Couleur, die sich mit der Sportwirtschaft "verpartnert" haben, bedienen sich ähnlicher Sprachregelungen. Kurzum: FIFA-Chef Joseph Blatter und IOC-Präsident Thomas Bach sollten nicht nur INTERPOL mit Millionen sponsern, sondern auch Human Rights Watch. Menschenrechte werden bei der kommerziellen Verwertung und moralischen Absicherung des "business as usual" noch einmal ein wichtiges, wenn nicht gar zentrales Marketingwerkzeug sein!

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek213.html.
Lex Deutschland: Der häßliche Handball in seiner ganzen Pracht

[2] http://www.zeit.de/news/2015-02/01/sport-allgemein-wir-sind-bereit-katar-sieht-sich-geruestet-fuer-olympia-01134605. 01.02.2015.

[3] http://www.nzz.ch/sport/eine-mogelpackung-1.18463794. 19.01.2015.

[4] http://www.deutschlandfunk.de/handball-wm-wir-bleiben-realistisch.1346.de.html?dram:article_id=308422. 11.01.2015.

[5] http://www.bild.de/sport/mehr-sport/dhb/das-ist-der-ehrenkodex-fuer-unsere-handball-stars-39282244.bild.html. 11.01.2015.

[6] http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/DHB-bestaetigt-Einladung-nach-Katar,handball1316.html. 28.01.2015.

[7] http://www.deutschlandfunk.de/fussball-wm-in-katar-menschenrechtler-wm-ist-motor-fuer.890.de.html?dram:article_id=310872. 05.02.2015.

22. Februar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang