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KOMMENTAR/245: Lückenbüßer Strafrecht ... (SB)


Integrität des Sports - ein sportpolitisches Täuschungsmanöver?


Die Bundesregierung hat am 6. April den vom Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben beschlossen. Wie schon bei der Vorratsdatenspeicherung oder beim umstrittenen Anti-Doping-Gesetz, das die Regierungskoalition gegen die Bedenken und Einwände namhafter Juristen durchgesetzt hat, zog Bundesjustizminister Heiko Maas auch diesmal wieder alle Register wohlklingender Allgemeinplätze. Das ist im phrasenreichen Sport nicht sonderlich schwer, denn soziale Übereinkünfte sind dort schnell erzielt. Und so ließ dann auch der Minister, der zur Präsentation seines Gesetzentwurfes eigens einen Berliner Fußballclub aufgesucht hatte, keines der Schlagwörter aus, mit denen das Sportgewerbe seine ökonomischen Interessen in wohlfeile Worte zu kleiden pflegt. "Mit dem beschlossenen Gesetzentwurf zeigen wir Betrug und Manipulation im Sport die Rote Karte", sagte der SPD-Politiker vor einer Werbetafel, auf denen Slogans wie "Betrüger ins Abseits" oder "Sieg für den ehrlichen Sport" prangten. "Sport hat eine riesige gesellschaftliche Bedeutung. Wir müssen alles tun, um die Glaubwürdigkeit des Sports zu schützen." Selbstverständlich vergaß der Minister auch nicht, die "Integrität des Sports" und seine "Vorbildfunktion" zu erwähnen. [1]

Ein FIFA-Funktionär oder Sommermärchen-Erzähler hätte keine besseren Worte wählen können. Offensichtlich gelingt es den mächtigen Sportmonopolisten immer besser, die gesetzgebende Legislative nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Damit die Bevölkerung bei all den Schmiergeldzahlungen, Korruptionsskandalen und Schweigekartellen im Profisport wieder klare Feindkennung hat, bekam der Justizminister ausgerechnet von jenen Kräften verbale Schützenhilfe, die das Spiele-Opium am profitabelsten anzurichten verstehen. Schließlich muß dem Normalkonsumenten ja gesagt werden, wer zur guten und wer zur bösen "Mafia" im Fußballgeschäft gehört. "Das Anti-Doping-Gesetz hat bereits wenige Monate nach seiner Einführung gezeigt, dass mit den Mitteln des Strafrechts erfolgreich gegen Betrug im Sport vorgegangen werden kann", behauptete der Interimspräsident des DFB, Rainer Koch. "Nur so kann der Kampf gegen die weltweite Bedrohung durch die Wettmafia erfolgreich gestaltet werden." Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung des Sports rechtfertige es, das Strafrecht als Ultima Ratio zur Wahrung der Integrität des Wettbewerbs einzusetzen. Und Christian Seifert, Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL), die gerade den elften Umsatzrekord in Folge vermeldete, sekundierte, daß der Kampf gegen die wachsende Bedrohung durch organisierte Kriminalität im globalen Maßstab auch in diesem Bereich unbedingt den Einsatz des Strafrechts erfordere. [2]

Business und Politik sind sich also einig. Künftig sollen sowohl Sportwettbetrug als auch die Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben unter Strafe stehen. Bei besonders schweren Fällen ist eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorgesehen. Außerdem werden die Möglichkeiten von Strafverfolgungsbehörden zur Telefonüberwachung im Sportbereich erheblich erweitert. Die Schranken sind so tief gelegt, daß es nach dem geplanten Gesetz bereits ausreicht, wenn der Versuch einer Manipulation nachgewiesen werden kann. "Da muss der Betrüger gar nicht selbst reden. Es reicht schon, wenn jemand aus dem Umfeld anfängt zu sprechen", erklärte Maas. [3]

"Während der Straftatbestand des Sportwettbetrugs auf Manipulationsabsprachen bei Wettbewerben, auf die eine Sportwette gesetzt werden soll, zielt, betrifft der Straftatbestand der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben Manipulationsabsprachen bei hochklassigen Wettbewerben mit berufssportlichem Charakter", schreibt die SPD-Bundestagsfraktion. [4] Unerwähnt läßt sie in ihrer Presseerklärung, daß es sich beim im Zuge des Anti-Doping-Gesetzes neugeschaffenen Rechtsgut der "Integrität des Sports" um ein Konstrukt handelt, das fraglicher und widersprüchlicher nicht sein könnte.

Schon beim seit Januar gültigen Anti-Doping-Gesetz hatte der Deutsche Anwaltverein (DAV) moniert, daß es nicht Aufgabe des Strafrechtes sein könne, die Integrität des sportlichen Wettbewerbs zu schützen, und es zudem abgelehnt, die eigenverantwortliche Schädigung durch Selbstdoping wie auch den mengenunabhängigen Besitz zu kriminalisieren. Der rund 67.000 Mitglieder vertretende DAV warnte davor, das Strafrecht zu einem Ordnungsinstrument zur Durchsetzung sportethischer Ziele umzufunktionieren und kritisierte mit scharfer Zunge, daß die Trennung von Moralität und Legalität untergraben werde: "Die 'Fairness im Sport' erweist sich bei Licht besehen als 'Hybridrechtsgut', hinter dem sich völlig disparate Individualinteressen und diffuse öffentliche Erwartungen verbergen." [5]

Die anlaßlose, flächendeckende und bis in die intimsten Zonen vordringende Ausforschung der internationalen Spitzenathleten durch die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) ist geradezu der Beweis dafür, daß der Sport seinen eigenen Geschöpfen zutiefst mißtraut, mithin die "Vorbildfunktion des Sports", so sie denn auf den mündigen Bürger mit vollen demokratischen Rechten abzielt, selbst ad absurdum führt. Für welche Art von "Vorbildfunktion" die generalverdächtigen Medaillenbringer wirklich stehen und welche Bedeutung das für die Gesellschaft hat - solcherlei Fragen sind in der Sportpolitik regelrecht tabuisiert.

Aus ähnlich gelagerten Gründen wie beim Anti-Doping-Gesetz lehnt der Anwaltverein auch die Einführung einer gesonderten Strafbarkeit von Manipulationen im Sport ab. In einer Stellungnahme zu einem Expertentreffen im BMI am 19. Mai 2014 verweist der DAV darauf, daß "Fairness" und "Integrität" Werte seien, die (unabhängig von ihrer Bestimmbarkeit) der Sport selbst voraussetzt und hervorbringen müsse und die nicht durch das Strafrecht garantiert werden könnten. "Auch fehlen bislang - soweit ersichtlich - belastbare Erkenntnisse über die sozialpsychologischen Auswirkungen von Spielmanipulationen für die Gemeinschaft: Nehmen Fairness und Leistungsbereitschaft in der Gesellschaft und im Zusammenleben ab, wenn es vermehrt zu Manipulationen kommt? Oder hat das vermeintliche Strafbedürfnis seinen Ursprung allein in einer moralischen Empörung?" [6]

Selbst der Deutsche Richterbund, dem rund 16.000 Richter und Staatsanwälte angehören, lehnt den Plan des Gesetzgebers, Sportwettbetrug und Manipulation von berufssportlichen Wettkämpfen als Straftatbestände einzuführen, aus verschiedensten Gründen, die an dieser Stelle nicht alle dargelegt werden können, ab. In einer Stellungnahme vom Januar 2016 äußert er sich unmißverständlich: "Bei der 'Integrität des Sports' handelt es sich um kein Rechtsgut, welches strafrechtlichen Schutz beanspruchen könnte. Der Versuch des Gesetzgebers, die 'Integrität des Sports' über das Gesetz zur Bekämpfung von Doping im Sport (BT-Drs. 18/4898, § 1 AntiDopG-E) und über die hier neu zu schaffenden Straftatbestände erst als Rechtsgut zu erschaffen, um Verletzungen dieses Rechtsguts dann strafrechtlich schützen zu können, ist abzulehnen." [7]

In den tonangebenden Medien werden weder die Grundsatzfragen noch die praktischen Auswirkungen und gesellschaftlichen Kollateralschäden des geplanten Gesetzes reflektiert. Das hat Gründe. Die "moralische Empörung" über Manipulationen im Sport hat das Unterhaltungsmedium, allen voran SZ, FAZ und ARD, inzwischen zur Perfektion getrieben und parallel zu den Sportverbänden und -organisationen zu einem einträglichen, nicht nur moralischen Benefit abwerfenden Geschäftsmodell entwickelt. Wie selbst dem unbedarften Sportkonsumenten inzwischen auffallen dürfte, dient die vehement eingeforderte Kriminalisierung von Regel-, Normen- oder Wertebrüchen im Sport einer Skandalberichterstattung, die jede Menge Honig aus dem Stampfwerk des heuchlerischen Anti-Doping-Kampfes zu pressen vermag. Es sollte nicht verwundern, wenn öffentlich-rechtliche Medien bald auch eigene Wettbetrugs-Redaktionen einrichten, während dem Fußballgeschäft gleichzeitig zu Lasten anderer Programminhalte Millionen an TV-Geldern in den Rachen geschoben werden.

Natürlich ist der Wettsport ein enormer Wirtschaftsfaktor, und natürlich gibt es gekaufte Spieler, Schiedsrichter, Trainer und Funktionäre. In einer kürzlich von der ARD ausgestrahlten Dokumentation, die nahezu sämtliche Übel der Branche der "internationalen Wettmafia" anlastete und kein Wort darüber verlor, daß Föderationen, Verbände und Vereine selbst über Leichen gehen (siehe Katar-Geschäfte), um ihren Reibach zu machen, wurde berichtet, daß allein auf deutsche Fußballspiele von der Bundesliga bis zum Jugendspiel weltweit geschätzte 30 Milliarden Euro gewettet werden. Und wer ist der große Übeltäter? Die Geldwäsche betreibende "Mafia" (hauptsächlich in Asien), für die laut Filmbericht der Wettbetrug mittlerweile lukrativer als der Drogenhandel sei. [8] Um das Publikum einzustimmen, sendete die ARD unmittelbar vor der Dokumentation einen düsteren Thriller ("Auf kurze Distanz") über das dreckige Wettmafiageschäft - so als ob es räuberische Funktionsklüngel nicht auch in der Beletage des internationalen Spitzensports gäbe.

Die Pönalisierung von Regelabweichungen im Sport treibt immer kuriosere Blüten. Aufgrund des vollkommen diffusen Manipulationsbegriffs können sämtliche, dem Spiel sogar wesenseigene Trick-, Finesse-, Täuschungs- oder Foulhandlungen in den Fokus des Betrugsverdachts geraten. Wenn Schwalben, Zeitspiele, taktische Fouls, abgeschenkte Spiele oder Spiele ohne letzten Einsatz plötzlich zu Warnhinweisen für kriminelle Spielabsprachen werden oder wenn Ermittler aus abgehörten Fachgesprächen die illegale Weitergabe von Vorteilsabsprachen oder Insiderwissen herauslesen oder wenn Freunde von Profisportlern unter Verdacht geraten, weil sie hohe Wettgewinne erzielten, dann zeigt die rigorose Verstrafrechtlichung des Sports ihr wahres Gesicht.

Sollten Wettspieler und ihre Kontaktpersonen inkriminiert werden, dann gibt es kein Halten mehr. Selbst Befürworter einer scharfen Gesetzgebung erklären, daß es sich beim geplanten Wettbetrugsgesetz nur um einen ersten Schritt handele, dem weitere folgen müssen. [9] Private Wettmonitoringsysteme wie "Sportradar", welche bislang reine Fassadenfunktion haben und lediglich einen Bruchteil möglicher Manipulationshandlungen über ihr Data Mining erfassen (den Schwarzmarkt überhaupt nicht), müßten noch tiefer in die Sport-, Sozial- und Kommunikationsstrukturen eindringen, um unerlaubte Einflußnahmen aufdecken und den staatlichen Verfolgungsbehörden weitermelden zu können. Dabei sind es doch gerade die Monitoringsysteme, die das boomende Wettgeschäft im Internet und anderswo überhaupt erst möglich machen. So liefert das Schweizer Unternehmen "Sportradar AG", das auch mit DFB, DFL oder UEFA zusammenarbeitet, seine Wett- und Sportdaten weltweit an Hunderte von Buchmachern, Medienunternehmen, Lotterien, private Wettanbieter und -börsen. Als "Servicedienstleister für die Global Player" habe sein Unternehmen einen guten Überblick, sagt Andreas Krannich, Managing Director von "Sportradar". "Wir gehen davon aus, dass im lizenzierten Markt ca. 920 Milliarden Dollar umgesetzt werden. Davon entfallen ungefähr 490 Milliarden Dollar auf Fußball und dann kommt der Rest. Onlinewetten stehen dabei für 30 bis 35% des Umsatzes." [10]

Spiele- und Wettindustrie betreiben sogar eine innige Partnerschaft. So sollen allein in der 1. Fußball-Bundesliga in Deutschland 15 von 18 Vereinen Sponsoringverträge mit Wettanbietern haben. Der profitablen Werbeallianz wie auch dem Wettgeschäft als solchem wird indessen selbst ein sozialerhebliches Schädigungspotential zugeschrieben. So werden in den Medien immer mehr Berichte laut, wonach spielsüchtige Profi- und Amateursportler, aber auch viele Passivsportler ihrer "Wettleidenschaft" geradezu ruinös verfallen sind. Ihre Zwangslage soll nicht selten dazu führen, daß sie sich überhaupt auf Match-Fixing einlassen.

Auch der Deutsche Richterbund verkennt laut eigener Aussage nicht, daß Sportwetten eine nicht unerhebliche Einnahmequelle der organisierten Kriminalität sind und in größerem Umfang auch zur Geldwäsche genutzt werden. "Die richtige Reaktion des Gesetzgebers auf diese Phänomene wäre jedoch nicht die vorgeschlagene Strafbarkeit des Sportwettbetruges, sondern eine Ausweitung des strafbewehrten Verbots des Glücksspiels." [7]

Das würde natürlich den Geschäftsinteressen des sportindustriellen Komplexes zuwiderlaufen und die eigentlichen Profiteure des globalen Spiel- und Wettmarktes zu Zielscheiben machen. Was Wunder, daß die kommerziellen Sport- und Wettanbieter, Buchmacher und Data-Mining-Unternehmen zu den eifrigsten Befürwortern einer strafrechtlichen Verfolgung von Wettmanipulationen gehören und keine Gelegenheit auslassen, die "Integrität des Sports" zu beschwören. Schon vor Jahren hatte sich der damalige DFB-Vize Rainer Koch gegen Wettverbote ausgesprochen und dafür plädiert, durch Liberalisierung "attraktive kontrollierbare Wettmärkte" [11] zu schaffen. Die Losung der Global Player lautet zusammengefaßt: Märkte liberalisieren, Menschen kriminalisieren.

Fußnoten:

[1] http://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2016/04062016_Kabinett_Spielmanipulation.html. 06.04.2016.

[2] http://www.sportschau.de/weitere/allgemein/bundesregierung-beschliesst-gesetzentwurf-zu-wettbetrug-im-sport-100.html. 06.04.2016.

[3] http://www.taz.de/Gesetzentwurf-gegen-Spielmanipulation/!5289796/. 06.04.2016.

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/parl/spd/psrec539.html. 06.04.2016.

[5] http://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-05-15?isAjax=1&file=files/anwaltverein.de/downloads/newsroom/stellungnahmen/2015/DAV-SN5-15.PDF. 19.02.2015.

[6] http://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-33-14?isAjax=1&file=files/anwaltverein.de/downloads/newsroom/stellungnahmen/2014/DAV-SN33-14.pdf. 15.07.2014.

[7] http://www.drb.de/stellungnahmen/2016/sportwettbetrug.html. Januar 2016.

[8] http://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Wettbetrug-im-Fu%C3%9Fball-Ein-Milliardenge/Das-Erste/Video?bcastId=799280&documentId=34015976. 02.03.2016.

[9] http://www.taz.de/Sportrechtler-ueber-Wettbetrugsgesetz/!5289797/. 07.04.2016.

[10] http://www.bettingexpert.com/de/blog/sportradar-interview. 17.12.2014.

[11] http://www.das-parlament.de/2009/50/Innenpolitik/28051140/304514. 07.12.2009.

19. April 2016


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