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INTERNATIONAL/003: Gaza - "Dabke" ist der Renner auf Hochzeiten - Tänzer trotzen Blockade (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. November 2010

Nahost: 'Dabke' ist der Renner auf Hochzeiten - Tänzer trotzen Blockade des Gazastreifens

Von Eva Bartlett


Deir al-Balah, 3. November (IPS) - Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in dem von Israel abgeriegelten Gazastreifen hat die palästinenische Bevölkerung das Feiern nicht vergessen. Viele Paare heiraten - und laden zu ihren Partys traditionelle Tanztruppen ein.

"Die meisten Leute sind sicherlich vor allem wegen der Gruppe 'Canaan Dabke' zu meiner Hochzeit gekommen ", meint der 27-jährige Mohammed Ghronaim aus Deir al-Balah in Zentral-Gaza. "Alle lieben diese Kinder, denn sie können hervorragend tanzen."

'Dabke', ein traditioneller Tanz aus dem Nahen Osten mit raschen Schrittfolgen und Sprüngen, ist ein wichtiger Teil der palästinensischen Kultur. Auf Hochzeitsfeiern führt daran kaum ein Weg vorbei. Daher gibt es zahlreiche professionelle Tanztruppen, die auch in Krisenzeiten gute Geschäfte machen.

'Canaan Dabke' ist die bekannteste Gruppe, die sich durch einen besonderen Stil von den anderen abhebt. Ihr Gründer Yasser el-Izzerai hat den Start seines Projekts mit eigenen Ersparnissen finanziert.

Die Idee dazu kam ihm, als er bei einem Fest in einer Schule in Deir al-Balah siebenjährige Kinder 'Dabke' tanzen sah. "Die Aufführung war zwar nicht so toll, aber ich merkte, dass sie viel Talent hatten", erinnert er sich. "Deswegen wollte ich sie weiter trainieren." Die junge Truppe übte in el-Izzerais Haus, weil sie keine anderen Räume fanden.

Nach einem Jahr trat 'Canaan Dabke' zum ersten Mal bei einer großen Hochzeitsfeier in der Stadt auf. "Die Leute waren begeistert, seitdem ist ein regelrechtes 'Dabke'-Fieber ausgebrochen", erzählt el-Izzerai stolz.


Starkes Gruppengefühl

Die Tänzer treten entweder schlicht in schwarzen Hosen und weißen Hemden oder in reich bestickten traditionellen Gewändern auf. "Die Kinder kommen aus einfachen Familien, die ihnen keine Uniformen kaufen konnten, nicht einmal schwarze Hosen", sagt der Trainer. Um ihr Gruppengefühl zu stärken, hätten sie sich in der Anfangszeit Kleidung von ihren Freunden geliehen, um einheitlich angezogen zu sein.

Inzwischen ist die Gruppe im gesamten Gazastreifen bekannt und erhält dort viel Unterstützung. "Ein Gast einer Feier, auf der sie tanzten, schenkte den Jungen Kleidungsstücke", sagt el-Izzerai. Sie trügen meisten kniehohe schwarze Stiefel, schwarze Hose mit weiten Beinen und locker fallende weiße Hemden. Natürlich dürfe auch die 'Kuffiyeh', das schwarz-weiß-gemusterte Palästinensertuch, nicht fehlen.

'Canaan Dabke' hat einen gut gefüllten Terminkalender und ist im ganzen Gazastreifen unterwegs. "Wir geben den Hochzeitsfeiern nicht nur durch unseren Tanz eine besondere Note", meint der Chef der Gruppe. "Wir bringen auch Beleuchtung, Dekorationen und sogar Blumen mit. Damit möchten wir erreichen, dass sich unser Publikum entspannt und seine Probleme vergisst."

Alle Einwohner des Gazastreifens hätten bei israelischen Angriffen bereits Verwandte verloren, sagt el-Izzerai. Viele Palästinenser säßen außerdem in Israel im Gefängnis. So habe jeder unter der Blockade des Gebietes zu leiden.

Als sich die israelischen Soldaten noch im Gazastreifen aufhielten, war auch die Bewegungsfreiheit von 'Canaan Dabke' stark eingeschränkt. "Wir kamen nur mit Mühe zu den Feiern, weil der Gazastreifen in drei Zonen aufgeteilt war", erinnert sich el-Izzerai. "Auf den Straßen gab es überall israelische Kontrollpunkte."

Als die Straße zwischen Deir al-Balah und Gaza-Stadt einmal komplett gesperrt war, lieh sich el-Izzerai einen Esel und zog mit seinen Tänzern über den Strand bis zu dem Lokal, das sie noch pünktlich erreichten. Auch später blieb der Truppe häufig nichts anderes übrig, als sich bei Treibstoffmangel mit Eselskarren fortzubewegen. "Wenn es kein Benzin gab, konnten wir auch kein Taxi nehmen", berichtet el-Izzerai.


Tänzer dürfen nicht ins Ausland reisen

Inzwischen ist der Ruhm der Tanzgruppe sogar bis in andere Länder gedrungen. "Wir haben Einladungen nach Norwegen und Italien erhalten, aber leider kamen wir nie aus dem Gazastreifen heraus", bedauerte der Gründer von 'Canaan Dabke'. "Die Grenzen sind leider auch für Tänzer geschlossen."

Israel begründet die Fortsetzung der seit 2006 geltenden Blockade des Gazastreifens mit Sicherheitsgefahren. Für die Bewohner des Gebietes hat die Maßnahme gravierende Folgen. Zahlreiche Familien sind auseinander gerissen worden. Universitäten und Arbeitsplätze außerhalb des Gazastreifens sind nicht erreichbar, und Kranke haben keinen Zugang zu medizinischer Hilfe.

Wie 'Canaan Dabke' kann auch die Tanzgruppe 'El-Funoun' aus dem Westjordanland das eigene Territorium nicht verlassen. Dabei könnten auch diese Tänzer aufgrund des großen internationalen Interesses auch fern ihrer Heimat auftreten.

"Unser größter Traum ist, in aller Welt zu tanzen", sagt el-Izzerai. "Wir wollen allen Menschen 'Dabke' und unsere schöne Kultur nahebringen." Viele Palästinenser sehen den Tanz als Form des unpolitischen Widerstands gegen die jahrzehntelange israelische Besatzung. Sie sind fest davon überzeugt, dass sie ihre kulturellen Traditionen auch unter den widrigsten Umständen am Leben erhalten können. (Ende/IPS/ck/2010)


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2010