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MUSIKTHEATER/008: Richard Wagner und Kulturbegegnungen im 21. Jahrhundert (Spektrum - Uni Bayreuth)


Spektrum 1/2015 - Universität Bayreuth

Globales Musiktheater
Richard Wagner und Kulturbegegnungen im 21. Jahrhundert

Von Anno Mungen


"WagnerWorldWide" - oder in Kurzform "www2013:" - war der Name des Projekts der Universität Bayreuth im Jubiläumsjahr 2013, als sich der Geburtstag Richard Wagners zum 200. Mal jährte. Die Kurzform mit den drei gleichen Anfangsbuchstaben verweist auf die mediale Modernität seines Musiktheaters. Denn Wagner war auch ein Medienerfinder.(1) Das Bayreuther Festspielhaus ist daher weniger in der Tradition der Opernhäuser in Paris, München oder Barcelona zu sehen als vielmehr ein Monument des Medienwechsels - vom 'alten' Theater hin zu neuen Optionen von Kunst und Kommunikation. Das war 1876, bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele, aufregend. Was aber macht Wagner heute modern? Ist er das wirklich noch?


Oper in kosmopolitischer Tradition, trotz deutschnationaler Positionierung

Wie kaum etwas anderes in der Welt wird sein Musiktheater als etwas wahrgenommen, das als ausgesprochen deutsch gilt. Hieran hat sich Richard Wagner ganz unmittelbar selbst beteiligt, wie Nicholas Vazsonyi in einem faszinierenden Buch gezeigt hat.(2) Wagner agierte als sein eigener 'PR-Agent', bediente Marketingstrategien und verschärfte nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 den antifranzösischen Ton. Und dennoch gilt, was der Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel auf einer WagnerWorldWide-Konferenz betonte: Die bayerischen Exportschlager auf den Märkten einer sich globalisierenden Wirtschaftskultur im 20. Jahrhundert waren Siemens, BMW und: Richard Wagner mit seinem Werk.

Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wandte sich Wagner aus strategischen Gründen nicht nur gegen das Französische, sondern vor allem auch gegen das Italienische der Oper, und er wurde zum offenen Antisemiten, um sich deutschnational zu positionieren. Weshalb also eignet sich Wagner dennoch und gerade heute für eine internationale Kultur? Dies war eine der zentralen Fragen, der das Bayreuther Projekt nachging. Es begab sich auf die Spurensuche von Internationalität und Globalisierung mit Veranstaltungen in Bern, Shanghai, Columbia (USA) und in Franken. Zwei Bücher mit den Titeln Music Theater as Global Culture und Kraftwerke der Gefühle, die am Weltphänomen und am europäischen Hintergrund der Wagnerrezeption ausgerichtet sind, werden schon bald die Forschungsergebnisse präsentieren.(3)


Eine weltweit vernetzte Kunstform

Wie ein Blick in die Geschichte der Oper zeigt, hat die Gattung schon immer für Internationalität gesorgt. Dies gilt auch für Richard Wagner, dessen musikalisches Werk in der kosmopolitischen Tradition der französischen Oper in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begründet ist. Was wir heute Kulturbegegnungen nennen, hat die Oper als eine weltweit vernetzte Kunstform schon früh ermöglicht. Im 18. und 19. Jahrhundert reichte diese Vernetzung bereits bis nach Süd- und Nordamerika. Sie manifestierte sich in internationalen Künstlerbiographien, wie etwa in der Karriere der als 'schwedische Nachtigall' gefeierten Opernsängerin Jenny Lind. Gerade die Verbreitungswege insbesondere der italienischen Oper ließen die europäische Opernkultur zu einer Leitkultur werden: eine Entwicklung, von der auch Wagner profitierte. Sieht man von Mozart und Verdi und vielleicht noch Puccini ab, so hat das Werk keines anderen Opernkomponisten eine solche weltweite Verbreitung gefunden. Drei Schlaglichter sollen im folgenden Wagners Internationalität als Kommunikator von Kunst und die globalen Potenziale seines Werks beleuchten.


Chinesische Moderne: Auf dem Weg zur selbständigen Aufführungskultur

In China entsteht schon seit Jahren ein großer Markt für klassische Musik - ein Phänomen, das die Kultur nachhaltig verändern wird. Wagner spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Zwar hat es insbesondere in einem weltoffenen Raum wie Shanghai schon seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wichtige interkulturelle Begegnungen und Kontakte gegeben. Jetzt aber werden die großen neugebauten Musiktempel in den Metropolen des Landes mit Programmen bestückt, die eine ganz neue Breite aufweisen und viele Menschen erreichen sollen. Die in China veranstalteten Workshops und Konferenzen des WorldWideWagner-Projekts zeigten sehr deutlich das Bestreben, schon bald eine selbständige Aufführungskultur zu entwickeln.

Derzeit sind es noch vor allem Gastspiele aus Europa, die Opern von Wagner in China aufführen. Sein Werk aber ist vielseitig deut- und aufführbar. Es ist in Europa seit den 1950er Jahren zu einer Projektionsfläche der Zeiten, Orte und Theater-Ästhetiken des 20. Jahrhunderts geworden. Von Wagners Werken dürfte sich der Ring am ehesten eignen, eine chinesische 'Lesart' zu ermöglichen. Denn Zerstörung, Machtmissbrauch und Machterhalt sind universale Themen. Wie sich allerdings die Politik im Lande zu Aufführungen stellen würde, die nicht nur das Märchenhafte hervorkehren, ist offen.


Das Operndorf in Afrika: Ein Festspielmodell eigener Art

Christoph Schlingensief war einer der wichtigsten Bayreuther "Wagner-Denker" und "Wagner-Erneuerer". Sein denkwürdiger Parsifal war in ästhetischer und künstlerischer Hinsicht aufregend. Doch überschritt er die gesetzten Grenzen der alten Festspiele nicht, sondern fügte sich den medialen und institutionellen Gegebenheiten der Musiktheaterkunst, die Wagner mit den Bayreuther Festspielen gesetzt hatte. Ganz anders sein Operndorf-Projekt in Burkina Faso, unweit der Hauptstadt Ouagadougou: Anknüpfend an Wagners Sozialutopie, weitete Schlingensief die Festspielidee in der Art einer "sozialen Plastik". Diesen Begriff hatte Joseph Beuys in den 1960er Jahren für eine Kunstkonzeption entwickelt, die den einzelnen Menschen und sein Potenzial zur kreativen Gestaltung sozialer Verhältnisse in den Mittelpunkt stellt.

Das Operndorf ist primär eine Bildungseinrichtung. Es will vieles bieten, nur eben keine Oper im traditionellen Sinn: eine Schule mit Film- und Musikklassen, Werkstätten, Wohn- und Gästehäusern, Büros, Kantine, Café, Fußballplatz, Agrarflächen, Restaurant, Krankenstation und einer Theaterbühne mit Festsaal und Proberäumen. Aino Laberenz, langjährige Mitarbeiterin Schlingensiefs, setzt das Projekt seit dem Tod ihres Mannes fort. Es ist als Work in Progress angelegt und entwickelt sich derzeit gemeinsam mit den vor Ort lebenden Menschen.

Schlingensief war ein visionärer Querdenker, der politisch und sozial agierte und sich mit seiner Kunst in globale Diskurse einschaltete. Dass ihm hierbei Wagner als eine Art Pate diente 4, zeigt sich gerade im Operndorf, das auch nach seinem Tod als Festspielmodell der Zukunft eigener Art fungieren kann. Sein offener Opernbegriff schärfte sich an seiner Arbeit in Bayreuth - einerseits; und er ist andererseits zielgerichtet an einer Utopie orientiert: dem Operndorfprojekt.


Wagner-Fans weltweit: Kulturen der Verehrung

Wie sollte die Wagnerforschung der Zukunft aussehen? Mit dieser grundsätzlichen Frage befasst sich das Forschungsinstitut für Musiktheater (fimt) in Thurnau, das sich auch als Forum für eine kritische und zugleich innovative Selbstreflexion der Musiktheaterforschung versteht. Eigene Forschungsarbeiten orientieren sich ausdrücklich am globalen Potenzial der Opernkunst Richard Wagners. Dieses Potenzial kommt nicht zuletzt in seiner internationalen Verehrer-Gemeinde zum Ausdruck. Weltweit sind in 137 Ortsvereinen insgesamt rund 23.000 Mitglieder organisiert, die soziologisch gesehen als "Fans" gelten. Kein anderer Komponist versammelt heute eine so große Schar um sich.

"Wagnervereine heute" ist daher der Titel eines Forschungsprojekts, das die Bayreuther Doktorandin Elfi Vomberg derzeit bearbeitet. Es geht darum, erstmals ein genaueres Bild des Wagnerfans zu bekommen, der im 21. Jahrhundert eine Kultur der Verehrung und Mystifizierung fördert - sei es in Neuseeland, Tokio, New York oder in Bayreuth. Ein solches Fantum kennt man sonst eher im Bereich der globalen Netze der Popmusik. Es spiegelt sich auch in der Publikumsstruktur der Festspiele, die in jedem Jahr Gäste aus der ganzen Welt nach Bayreuth locken.


KASTEN
 
Ein Forum für die internationale Musiktheaterforschung

Das im Schloss Thurnau angesiedelte Forschungsinstitut für Musiktheater (fimt) der Universität Bayreuth ist eine weltweit einmalige Einrichtung, die sich mit der Erforschung des Musiktheaters in seinem weitesten Verständnis befasst. Neben Oper und Operette sind daher auch das Musical, das sogenannte Sprechtheater (mit Musik), das Tanztheater, der Film sowie audiovisuelle Medien Gegenstand der Betrachtung. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis nutzen die umfangreichen Archive und die Fachbibliothek (40.000 Titel).

Das fimt konzipiert und betreut Forschungsvorhaben, in zahlreichen Projekten kooperiert es mit namhaften Partnereinrichtungen aus Wissenschaft und Kunst. Ein Schwerpunkt ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, beispielsweise durch den Thurnau Award for Music Theatre Studies, der alle zwei Jahre ausgelobt wird.

Derzeit wirkt das fimt an einem neuen Forschungs- und Ausstellungsprojekt mit, das vom Iwalewahaus, dem Afrikazentrum der Universität Bayreuth, koordiniert wird. Künstlerinnen und Künstler aus afrikanischen Ländern und aus Deutschland werden gemeinsam das Oeuvre Christoph Schlingensiefs reflektieren. Die daraus entstehenden Arbeiten sollen zusammen mit einem dokumentarischen Teil im Iwalewahaus präsentiert werden.

www.fimt.uni-bayreuth.de


AUTOR
Prof. Dr. Anno Mungen, Universität Bayreuth, ist Inhaber des Lehrstuhls für Theaterwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung des Musiktheaters und leitet das Forschungsinstitut für Musiktheater in Thurnau.


Anmerkungen

(1) Darauf hat der Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker Friedrich Kittler bereits vor drei Jahrzehnten hingewiesen; vgl. Friedrich Kittler: Weltatem. Über Wagners Medientechnologie, in: Friedrich Kittler, Manfred Schneider und Samuel Weber (Hg.): Diskursanalysen. Opladen 1986, S. 94-107.

(2) Vgl. Nicholas Vazsonyi: Richard Wagner. Self-Promotion and the Making of a Brand. Cambridge 2012.

(3) Die beiden Bände werden in der Reihe "Thurnauer Schriften zum Musiktheater" erscheinen und im Sommer bzw. Herbst 2015 vorliegen.

(4) Darauf weist Schlingensief in seiner posthum erschienenen Autobiografie hin; vgl. Christoph Schlingensief: Ich weiß, ich war's. Hg. von Aino Laberenz. Köln 2012.


Literaturhinweise

- Daniel Brandenburg, Rainer Franke und Anno Mungen (Hg.):
Das Wagner Lexikon. Laaber 2012.

- Anno Mungen et al. (Hg.):
Music Theater as Global Culture. Wagner's Legacy Today. Thurnauer Schriften zum Musiktheater, Bd. 25, 2015 (im Druck).


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Bildunterschriften von im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation

Abb.  : Die Oper Bangkok inszenierte Das Rheingold im Jahr 2006. Es war die erste asiatische Eigenproduktion einer Oper von Richard Wagner

Abb. 1: Bayreuther Ringvorlesung im Projekt WagnerWorldWide mit einer Live-Schaltung zu Prof. Nicholas Vazsonyi an der University of South Carolina, Columbia/USA).

Abb. 2: Szene aus Richard Wagners Siegfried bei den Bayreuther Festspielen 2014. Musikalische Leitung: Kirill Petrenko, Inszenierung: Frank Castorf

Abb. 3: Im Shanghai Grand Theatre wurde anlässlich der Expo 2010 Der Ring des Nibelungen in einer Inszenierung der Kölner Oper aufgeführt

Abb. 4: Die Festspielhaus Afrika GmbH begann 2010 mit dem Errichten der Bauten im Operndorf, die der in Berlin lebende afrikanische Architekt Francis Kéré entworfen hat.

Abb. 5: Zum Jubiläumsjahr 2013 erschienen international zahlreiche Sonderbriefmarken, darunter auch in afrikanischen Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik

Abb. 6: Christoph Schlingensief auf der 60. Berlinale 2010

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Quelle:
Spektrum-Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 1 - Juni 2015, Seite 50-53
Herausgeber: Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Telefon: 0921/55-53 56, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de
 
Spektrum erscheint ein- bis zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2015

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