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INTERVIEW/040: Freie Szene - Freiheit und Kollektiv vor Geld und Einzelerfolg ...,     Carolin Christa und Sophia Guttenhöfer im Gespräch (SB)



Als die Freie Theaterszene Hamburg am 12. Juni 2018 im kleinen Fleetstreettheater in Hamburgs City ihren Spielzeitkalender 2018/19 vorstellte, waren darin ausschließlich Produktionen dokumentiert, die - mangels finanzieller Förderung - nicht zu sehen sein werden.

Die dritte Säule der Kultur, die oft als kulturelle Forschungs- und Entwicklungsabteilung gehandelt wird und von deren Impulsen und Innovationen nicht nur die etablierten Theater, sondern auch Ruf und Renommee der Kulturstadt Hamburg profitieren, ist notorisch unterfinanziert. Von 149 als förderungswürdig erachteten Produktionen für die nächste Spielzeit wurden gerade einmal 31 ausgewählt.

Zu den abgelehnten Projekten gehört auch "Ohjemine", ein Stück über das Jammern als "monotones Grundrauschen des Alltags". Kreiert vom Performance-Kollektiv BauchladenMonopol, das sich nach eigenem Selbstverständnis "auf der Schnittstelle von Kunst, politischem Aktivismus und der praktischen sowie theoretischen Auseinandersetzung mit den szenischen Künsten" bewegt. [1] Mit zwei der Künstlerinnen, Sophia Guttenhöfer und Carolin Christa, traf sich der Schattenblick nach der Veranstaltung zu einem kurzen Gespräch.


Die Künstlerinnen mit einem Blatt in der jeweils rechten Hand bei ihrem Vortrag - Foto: © 2018 by Schattenblick

Variationen über das Jammern
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wer ist BauchladenMonopol und was ist Ihre Geschichte?

Sophia Guttenhöfer (SG): BauchladenMonopol ist ein Performance-Kollektiv. Wir kommen ursprünglich aus Köln, wo es bereits seit 2004 eine Gruppe von Performance-Tänzerinnen, Tänzern und Medienleuten gab. Von Beginn an ging es um interdisziplinäres Arbeiten.

Eine aus dem Team ist dann nach Hamburg gegangen, um Performance Studies zu studieren, und da sind wir dann aufeinander gestoßen und haben, zusammen mit noch einer Kollegin aus Köln, angefangen, zu viert zu arbeiten. Das war 2010. Auch damals ging es schon viel um Frauen. Wir haben seitdem eine Menge künstlerische Forschung im öffentlichen Raum betrieben.

Carolin Christa (CC): Meistens spielen wir an Orten, die keine Theater sind, bespielen Häuser oder gehen auf die Straße oder in andere Räumlichkeiten, wo es keine Bühne gibt.

SB: Wie empfinden Sie den Unterschied des Publikums auf der Straße im Gegensatz zu dem in den etablierten Spielstätten?

CC: An Orten draußen sprechen wir per se ein anderes Publikum an. Da gibt es diese Schwelle des Theaters nicht. Man steht in unmittelbarem Kontakt, direkt vor den Leuten, ohne einen Bühnengraben dazwischen. Am Ende, nach dem Applaus, verschwinden wir nicht hinten im Off, so wie das woanders ist.

B.G.: Spielen Sie für Hutgeld?

SG: Viele Sachen, die wir machen, sind eher interventionsmäßig. Wir kommen und sind wieder weg. Da geht's nicht um Geld. Wir wollen, daß die Leute gar nicht wissen, wer wir sind und was da eigentlich passiert. Das macht es interessant. Wie wird man gelesen? Was bekommt man für Reaktionen? Wenn man auf der Straße spielt, sind die Leute auch mit anderen Erwartungen da als das gewöhnliche Theaterpublikum. Ins Theater gehe ich, setze mich hin, konsumiere und habe ein bestimmtes Bild davon, was Kunst ist, was Theater und was Tanz. Je unerfahrener Menschen sind, desto unvoreingenommener ist der Blick. Damit sind auch die Reaktionen sehr, sehr unterschiedlich, von totaler Ablehnung und Beschimpfung - auch auf der Straße - bis hin zu sehr großem Interesse und viel Aufgeschlossenheit. Das Publikum kommt auch mit anderen Fragen als ein Kunstpublikum, welches vorher weiß, was es erwartet oder sehen will.

SB: Haben Sie feste Aufführungsorte oder müssen Sie immer wieder darum kämpfen?

SG: Meistens ergibt sich irgendetwas, aber im Prinzip müssen wir darum kämpfen. Diese ganze Szene ist sehr umtriebig, wenn es darum geht, Veranstaltungen zu konzipieren und zu machen. Deswegen bieten sich eigentlich schon viele Gelegenheiten, die aber oft nicht oder schlecht bezahlt werden. Und auf der Straße geht's uns natürlich nicht darum, daß wir unsere Performance bezahlt kriegen. Ein Teil des Gesamtprojektes ist, auf die Straße zu gehen und in bestimmte Interaktionen zu geraten. Das ist es, worum es geht und nicht die direkte Bezahlung.


Die Künstlerin beim Gespräch im Halbporträt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Engagiert in Sachen Kunst und Gesellschaft: Sophia Guttenhöfer
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Was sind Ihrer beider persönliche Biographien? Was sind Sie geworden und wie leben Sie heute? Und leben Sie von der Kunst?

SG: Ich bin keine traditionell ausgebildete Tänzerin, sondern habe in Köln Sport studiert. Da gab es früher einen großen Tanz- und Theaterschwerpunkt. Dort habe ich Tanz- und Bewegungsstheater gelernt und dann in Hamburg Performance Studies studiert. Ich arbeite seit ungefähr 15 Jahren als Künstlerin, habe aber nebenher immer auch noch andere Jobs gemacht, was ich eigentlich nicht schlecht finde. Die Mischung ist einfach interessant. Trotzdem nimmt die existentielle Frage, die immer im Raum steht, zu viel Platz ein. Ich kann schon nicht so arbeiten, wie ich arbeiten müßte.

SB: Und Sie?

CC: Ich habe in Bochum soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt ästhetische Bildung studiert, war dann aber mehr im Schauspielhaus Bochum, habe viel in der Theaterpädagogik in interdisziplinären Projekten gearbeitet, und da so eine Miniausbildung gekriegt. Ich bin dann für den Masterstudiengang in Performance Studies nochmal nach Hamburg gegangen. Ich komme also eher aus der Theaterrichtung und bin über die Performance hier gelandet. Von der Kunst lebe ich hier und da mal, habe aber nie ganz davon gelebt. Sonst arbeite ich noch als Trainerin für politische Bildung. Ich mag diese Kombination. Für mich ergänzt sich das. Daß ich aus der KSK (Künstlersozialkasse) geflogen bin, weil ich mal zu lange krank war, hat für mich eine große Rolle gespielt. Kann man sich das als Selbständige leisten, krank zu sein und auszufallen? Ich spüre schon, wie das einen Nachhall hat bei der Überlegung, ob ich dieses Risiko, selbständig zu bleiben, tragen möchte, ob ich in diesem Format, wo ich eigentlich keine Rücklagen bilden kann, bleiben will. Ich habe das Prekäre sehr deutlich gemerkt.


Die Künstlerin im Porträt, engagiert im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Für einen Blick über Tellerränder: Carolin Christa
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Wir haben Sie gerade mit einem Ausschnitt aus "Ohjemine" erlebt, einem Stück über das Jammern. Ist es das Projekt, das nicht zur Förderung angenommen wurde?

CC: Ja. Wir haben angefangen, Figuren zu entwickeln und uns dann beworben. So wie heute hier würde sich das wahrscheinlich in dem Stück nicht wiederfinden, aber die Thematik hat uns beschäftigt. Eigentlich haben wir eine Bühnenperformance geplant, die begehbar ist, das heißt, daß die Zuschauenden unmittelbar auf der Bühne verschiedene Szenarien erleben können. Wir wollten einen Erleben-Raum, wo es rund ums Jammern geht und das Publikum involviert ist. Wir proklamieren, daß das Jammern eine kathartische Wirkung hat und eben nicht - wie es oft heißt - zu nichts führt.

SG: Genau. Wir haben schon verschiedenste Sachen gemacht, zum Beispiel "Jammer-Workshops" gegeben, wo es darum geht, das Jammern in seiner absoluten Körperlichkeit zu erleben und dadurch diese kathartische Wirkung zu erfahren. Empowerment ist ein großes Wort, aber das Ganze hat schon einen positiven Effekt.

SB: Das Stück paßt ja zum Dauerthema der finanziellen Notlage von freien Künstlern. Diese Gratwanderung zwischen berechtigter Forderung - wenn man nichts zu essen hat, wenn man seinen Job nicht machen kann - und Beschwerde fand ich sehr treffend aufgespießt. Stimmt der Eindruck, daß Sie damit auch einen über das Theater, über die Performance hinausgehenden gesellschaftlichen Anspruch verfolgen?

CC: Ja, wir beschäftigen uns oft mit Themen, die wir im Alltag wiederfinden, die wir auf der Straße beobachten, wie zum Beispiel auch das Jammern. Wir haben uns gefragt, wo kommt das her, wieso jammern wir ständig? Wie ist das Jammern in unsere Gesellschaft geraten und warum hat es einen so schlechten Ruf? Ständig müssen wir funktionieren, wir optimieren uns, wir machen Yoga, wir werden besser, aber wo hat das Jammern noch einen Platz? Kann ich für die schlimmen Dinge der Welt überhaupt noch Empathie empfinden, wenn ich meine eigene Situation nicht einmal mehr wahrnehmen kann?

SG: Zumindest nicht im Negativen. Man muß die ganze Zeit funktionieren, das ist ja auch in der künstlerischen Szene stark verbreitet, man muß immer und ausnahmslos da sein (schnippt auffordernd mit den Fingern). Es läuft, irgendwie läuft es.

CC: Stets innovativ, immer ein neues Projekt.

SG: Genau, man muß immer vorne an sein.

SB: Gibt es für Sie eine Alternative jenseits von Selbstoptimierung auf der einen und Jammern auf der anderen Seite, eine Kritik, die darüber hinausgeht?

SG.: Absolut. Wir sind ja beide auch Teil von Treffen Total [1], einem Zusammenschluß von darstellenden Künstlerinnen und Künstlern, die sich ab Ende Juni für vier Wochen in Hamburg treffen. Das Projekt wird dieses Jahr vom Erbkulturfond gefördert. Wir beschäftigen uns da genau mit der gesellschaftlichen Frage, was eigentlich Arbeit ist, was bezahlt wird und was nicht. Natürlich kann man immer mehr Geld fordern, und natürlich geht es immer um Konkurrenzverhalten, aber grundsätzlich landet man sehr schnell bei der Frage, was ist eigentlich Arbeit, was muß bezahlt werden und warum und wie hängt Geld mit Arbeit zusammen?

Darüber hinaus haben wir gerade mit 19 Leuten eine GbR gegründet, mit der keiner klar kommt, weder die Kulturbehörde, noch die Bank. Wir haben eine Anwältin eingeschaltet, die sich damit beschäftigt hat, wie es gehen könnte, daß 19 Leute gleichberechtigt miteinander arbeiten. Es gibt keine hierarchische Struktur, keine Geschäftsführerin und keinen direkten Ansprechpartner. Das stiftet viel Verwirrung bei denjenigen, die mit uns zu tun haben. Wie handelt man auch zu neunzehnt kollaborativ, wie arbeitet man ohne Hierarchie. Das ist neu und sehr interessant. Es ist eine Herausforderung, die viel Zeit bedeutet, Kraft und viele neue Ideen fordert.

SB: Ein Stoff, aus dem man wieder ein Stück machen könnte.

SG: Absolut. Treffen Total sehen wir tatsächlich als künstlerisches Projekt. Über Wochen kann man uns an verschiedensten Orten in Hamburg erleben. Es gibt keine Aufführungen im eigentlichen Sinn, aber man kann etliche Veranstaltungen besuchen. Im Netz gibt es dazu eine interaktive Seite, wo man die verschiedenen Einladungen findet.

CC: Bei Treffen Total geht es viel um Kollaboration. Erstmalig gibt es einen kollektiv gestellten Antrag. Diese Netzwerke und Verbünde in der Freien Szene, die schätze ich sehr.

SB: Ist die Freie Szene für Sie alternativlos, weil es schwierig ist, eine Festanstellung zu bekommen oder um der Freiheit Ihrer Kunst willen?

CC: Ich war eine Zeit lang am Stadttheater beschäftigt, wo ich hätte arbeiten können, aber ich habe gemerkt, daß ich in dieser Form von Hierarchie und Gebundenheit nicht arbeiten möchte. Ich denke eigentlich immer noch - und da kommen wir wieder zum Thema Arbeit - daß Kunst unabhängig funktionieren müßte. In der freien Szene, das ist meine große Hoffnung, auch wenn ich weiß, daß das utopisch ist, aber an dieser Utopie will ich, glaube ich, festhalten - hat das auf jeden Fall mehr Platz als in einer Festanstellung oder an Institutionen.

SG: Ich habe als Choreographin am Stadttheater gearbeitet, wo ich sozusagen als Freie dazukam. Es ist schon schön, wenn man plötzlich eine Institution hat, die einem die Probenpläne schreibt und alles Mögliche für einen macht. Man geht einfach hin und geht wieder. Aber in dem Moment, wo ich dann Teil dieser Institution bin, sehe ich auch, in welchen Zwängen die Schauspielenden stecken. Die müssen sich beispielsweise mit dem Intendanten herumschlagen, ob sie wollen oder nicht. Das mußte ich nicht. Allein deswegen wäre das für mich keine Alternative. Im Moment mache ich gerade eine Weiterbildung zur Somatikerin. Diese Möglichkeiten und die Mischung aus meiner eigenen Kunst, der Arbeit mit dem Körper, dem Vermitteln von Körperwissen, das ist eine Bereicherung meiner künstlerischen Arbeit. Von daher sehe ich hier das Potential. Bleibt das Problem, wie es zur Finanzierung kommt.

SB: Vielen Dank für diese Einblicke.


Anmerkungen:

[1] https://bmonopol.wordpress.com

[2] Treffen Total - Tourist in der eigenen Stadt, ein Projekt in Hamburg vom 25. Juni bis 27. Juli 2018. Eine Gruppe von 25 Hamburger wie auch internationaler Künstler*innen choreographieren, unter Einbeziehung und Mitarbeit der Passanten, an ungewöhnlichen Orten. "Mit Treffen Total 2018 wird der Stadtraum zur fremden Umgebung, zur Bühne, zum Trainingsort oder Reiseziel."


Zum Spielzeitkalender 2018/19 der Freien Theaterszene Hamburg siehe auch:
INFOPOOL → THEATER UND TANZ → REPORT
BERICHT/098: Freie Szene - Kultur auf unseren Schultern ... (SB)

25. Juni 2018


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