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BERICHT/021: Indien - Krokodilangriffe auf Menschen nehmen zu, Siedlungsbau verantwortlich (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2012

Indien: Krokodilangriffe auf Menschen nehmen zu - Siedlungsbau verantwortlich

von Malini Shankar

Hunderte Menschen werden jährlich von Krokodilen getötet - Bild: © Malini Shankar/IPS

Hunderte Menschen werden jährlich von Krokodilen getötet
Bild: © Malini Shankar/IPS

Port Blair, Indien, 20. August (IPS) - Der 22-jährige Ajay Kallu aus dem Dorf Bakultala wurde von einem Salzwasserkrokodil verschlungen, als er hüfthoch im Wasser einer kleinen Bucht stand, um Fische zu fangen. In den vergangenen 28 Monaten starben bereits vier weitere Menschen auf den entlegenen indischen Andamanen-Inseln bei einer Reptilienattacke.

Auf der zwischen dem Golf von Bengalen und der Andamanen-See gelegenen Inselgruppe wurde im April 2010 zunächst ein Tourist aus den USA von einem Krokodil getötet. "Warum das passiert ist, steht nicht fest. Manche Experten meinen, ein Krokodil auf Wanderschaft habe einen Schnorchler angegriffen" sagt Samit Sawhney, der zu dem Zeitpunkt für die 'Barefoot Resorts' auf der Havelock-Insel verantwortlich war. "Es war der erste Vorfall dieser Art und bisher der einzige Krokodilangriff auf dem offenen Meer."

Der Platz für wild lebende Tiere wird immer knapper, weil sich die menschlichen Siedlungen auf der Inselgruppe ausbreiten. Zudem führte 2004 das große Erdbeben, das den Tsunami in Asien auslöste, zu einer Anhebung der Landmassen der Inseln, die sich über mehr 6.400 Quadratkilometer erstrecken. In der Folge zog sich das Salzwasser aus den kleinen Buchten und Lagunen zurück. Die Salzwasserkrokodile wurden dadurch aus ihrem Habitat verdrängt. Hinzu kamen Schwankungen bei den Gezeiten, die durch eine massive Zerstörung der Mangrovenwälder verursacht wurden.

"Wild lebende Tiere wie Krokodile sind dabei, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen", erklärt der Wissenschaftler Manish Chandi vom 'Andaman Nicobar Environment Team' in Port Blair.

Der Wildhüter Shashikumar ist der Ansicht, dass der Tod des 22-Jährigen Anfang August hätte verhindert werden können, wären zwei Viehangriffe desselben Krokodils gemeldet worden. Den Forstbehörden wirft er in diesem Zusammenhang Nachlässigkeit vor.

Solche Zwischenfälle werden oftmals nicht bekannt, weil die betroffene Bevölkerung keinen Zugang zu den Medien hat. Nachdem kürzlich aber der Rundfunkempfang auf entlegenen Regionen ausgedehnt wurde, sind Experten der Meinung, dass deswegen mehr Angriffe als früher publik geworden sind.


Aggressive Art

Salzwasserkrokodile, die in ganz Südostasien in Küstengebieten anzutreffen sind, gelten als die aggressivsten unter den 23 weltweit bekannten Krokodilarten. Nicht nur in der Region, sondern auch in Afrika und im Norden Australiens haben sie bereits Hunderte Menschen getötet.

Die Zahl der Einwohner der Andamanen-Insel ist von 356.000 im Jahr 2001 auf fast 380.000 in 2011 gestiegen. "Die menschlichen Siedlungen, die in den vergangenen 70 Jahren immer weiter wuchsen, sind in die Habitate der Krokodile eingedrungen", sagt Chandi. "Nistplätze, Süßwasserflüsse und Salzwasserbuchten mussten Reisfeldern Platz machen. Auch der zunehmende Bootsverkehr und intensiver Fischfang haben in die Lebensgewohnheiten der Krokodile eingegriffen. Die Salzwasserkrokodile sind auch von der Zerstörung von Küstenstreifen, Mangroven, Stränden und Sümpfen betroffen."

Die Buchten werden auch durch Hotelabfälle, Dünger, Hühnerfutter, Fleischreste und Abwässer belastet. Holzfäller, Papierfabrikanten und die maschinelle Verarbeitung von Meeresfrüchten haben dazu beigetragen, dass Krokodile verstärkt auf Hunde und andere kleinere Lebewesen Jagd machen.

Die Scheu vor Menschen haben die Reptilien nach und nach verloren. Mohan Halder, der Vorsitzende des Entwicklungsrats des Dorfes Tushnabad, etwa 25 Kilometer nordwestlich der Regionalhauptstadt Port Blair, erklärt, dass Krokodile inzwischen auch an Land kommen. Alle diejenigen, die beim Fischen verschwanden, seien von den Reptilien getötet worden. Unter den Opfern der angriffslustigen Tiere sind auch Ureinwohner vom Volk der Jarawa.

Sanjeev Mondal, der in einem Dorf in 30 Kilometern Entfernung zu Port Blair lebt, beklagt sich über Müllkippen und illegale Schlachtbetriebe in seinem Ort. Er wirft zudem den Behörden vor, keine Netze in den Buchten zu spannen und so zu verhindern, dass sich die Krokodile menschlichen Siedlungen nähern. Diese Maßnahme sei allerdings schwer umzusetzen, da Boote weiterhin die Buchten passieren müssten, um zu den Dörfern zu gelangen.


Fischen wird vielen zu gefährlich

Der Bauer Sapan aus dem Dorf Collinpur berichtet, dass die Menschen aus Angst vor Krokodilangriffen nicht mehr zum Fischen gingen. Damit würde eine lange Tradition bedroht. Das vermehrte Auftreten der Krokodile führt er darauf zurück, dass die Behörden Tiere aus anderen Gebieten mit Überpopulation in den Buchten ausgesetzt hätten. "Wenn nötig, muss die Forstbehörde die Krokodile töten", fordert er.

Shashikumar sieht eine Umsiedlung der Tiere in das Krokodilschutzgebiet Loha Barack im Süden der Andamanen als mögliche Alternative. Die Aufnahmefähigkeit dieses Gebietes stoße allerdings an ihre Grenzen.

Nach dem tödlichen Angriff in Bakultala forderte der Parlamentarier Bishnupada Ray, das Krokodil ausfindig zu machen und zu töten sowie das Habitat der Salzwasserkrokodile anderswohin zu verlagern. Doch ohne ein Erdbeben in der Größenordnung von 2004 wird eine solche gravierende Veränderung der Landschaft kaum möglich sein. (Ende/IPS/ch/2012)


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http://anetindia.org/old/
http://www.ipsnews.net/2012/08/crocs-and-humans-clash-in-shrinking-space/

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IPS-Tagesdienst vom 20. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2012