Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → REPORT

INTERVIEW/007: Fortschrittsfluch Tierversuch - Advocatus Animalis (SB)


Interview mit dem Tierbefreier Lorenzo Loprete am 29. Juni 2013 in Hamburg Neugraben



Lorenzo Loprete ist in der Tierbefreiungsbewegung aktiv, bei Coordinamento Fermare Green Hill [1] organisiert und an diversen Kampagnen in Italien beteiligt. Am Rande der Demonstration gegen das Tierversuchslabor LPT in Hamburg Neugraben, zu der er aus Italien angereist war, beantwortete Lorenzo dem Schattenblick einige Fragen.

Auf der Demonstration 'LPT schliessen!' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Lorenzo Loprete
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Lorenzo, du hast in deiner Rede die Besetzung eines Labors in Mailand erwähnt. Könntest du etwas dazu sagen?

Lorenzo Loprete: Wir versuchen, das System der Vivisektion zu beenden. Nach der Schließung von Green Hill und der Beschlagnahmung der Hunde, die nun in Familien leben, die sie adoptiert haben, versuchen wir, die Tierlabore direkt anzugreifen. Vor zwei Monaten besetzten wir das Labor der Abteilung für Pharmazeutik der Universität Mailand. Wir wollten dort Dokumente sicherstellen und Bilder von den Tieren machen, um uns dann dort anzuketten. Wir gingen fest davon aus, daß die Polizei uns verhaften würde und wir zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden würden.

Doch nach zehn Stunden der Besetzung wurde uns gestattet, daß Labor mit all den Tieren zu verlassen, die wir tragen konnten. Auf diese Weise konnten wir ein Kaninchen und 500 Mäuse befreien. Wir wurden nicht verhaftet, und die öffentliche Debatte um Vivisektion entzündete sich erneut. Zur Zeit werden in Italien viele Diskussionen um Vivisektion geführt, zu denen man uns häufig einlädt, um direkt mit den Tierexperimentatoren zu sprechen. Es ist eine großartige Gelegenheit, um das, was die Tiere in ihren dreckigen Käfigen in den Labors herausschreien, so zu übersetzen, daß es jeder verstehen kann.

SB: Welche Tierversuche werden im Labor der Universität Mailand durchgeführt?

LL: Sie testen Medikamente zum Beispiel gegen Diabetes, Fettleibigkeit oder neurologische Erkrankungen. Sie behaupten, damit Menschen zu nützen, doch das stimmt nicht, denn es gibt auch alternative Versuchsmethoden, bei denen keine Tiere notwendig sind.

SB: Bist du der Ansicht, daß die Tiere eine menschliche Stimme brauchen, um ihr Interesse zu artikulieren?

LL: Ja, das ist unsere Aufgabe. Wir müssen das, was die Tiere fordern, in eine für jeden verständliche Sprache übertragen, um ihre Schreie für Menschen vernehmbar zu machen. Alles, was die Tiere wollen, ist Freiheit, und natürlich können sie nicht dazu aufrufen, dieses oder jenes Versuchslabor zu schließen. Das müssen die Menschen tun.

Es ist jedoch schwierig. Jedes Tier verlangt nach Freiheit, und das können wir nicht jedem Tier zu jeder Zeit ermöglichen. Aber ich persönlich bin der Auffassung, daß wir damit versuchen, eine soziale Revolution zu initiieren. Nur die Tiere können eine soziale Revolution entfachen, weil sie die besten Lehrer sind, die man überhaupt finden kann. Sie lehren uns, daß Grenzen keine Bedeutung haben, sie lehren uns, daß Rassismus falsch ist, weil sie nicht rassistisch sind. Sie kämpfen zwar ums Überleben, aber sie töten niemanden, nur weil er oder sie einer anderen Art angehört oder eine andere Hautfarbe hat. Es ist ungeheuer, wie Tiere deine Weltsicht verändern können. Wenn du einem eingesperrten Tier in die Augen schaust, kannst du in ihnen die Augen aller Sklaven der menschlichen Geschichte erkennen, aller Menschen und Tiere, die in den letzten Jahrhunderten eingesperrt und gefoltert wurden.

Das beste, was wir tun können, ist Kontakt zwischen Menschen und Tieren herzustellen. Dafür ist diese Art von Kampagne sehr nützlich, weil sie die Menschen mit den Augen der Tiere vertraut macht.

Banner gegen Tierversuche - Foto: © Coordinamento Fermare Green Hill

Foto: © Coordinamento Fermare Green Hill

SB: Finden eure Aktionen viel Zustimmung in der Bevölkerung?

LL: Ja. Wenn ich hier mit AktivistInnen spreche, dann können sie nicht glauben, daß es in Italien viele Menschen und auch PolitikerInnen gibt, die öffentlich in den Medien direkte und illegale Aktionen unterstützen. Selbst Konservative heißen die Befreiung der Beagles gut und präsentieren Fotos von der Animal Liberation Front, um Vivisektion anzuprangern. Es ist schon merkwürdig, daß sich niemand, selbst große Firmen nicht, von unseren Aktionen distanzierten oder sie kriminalisierten.

Leider sind wir, je größer die Bewegung wird, um so mehr mit Problemen konfrontiert. So versuchen Rechtsradikale, unseren Kampf zu unterwandern, um sich mit Hilfe der Tierbefreiung ein positives Image zu verschaffen. Oder PolitikerInnen benutzen die befreiten Tiere, um Wahlkampf zu machen.

SB: Wie erkennt ihr, wer unter den Aktivistinnen und Aktivisten eine rechte Gesinnung hat?

LL: Es ist nicht einfach, denn sie wissen, daß sie nicht akzeptiert werden, wenn sie rechte Aussagen machen. Tatsächlich tragen viele von ihnen Tätowierungen mit zum Teil rechten und zum Teil linken Inhalten. Daher ist es recht schwierig, sie zu identifizieren. Am schwierigsten ist es, ihre üblen Absichten öffentlich zu machen, da sie mit allerlei Täuschungsstrategien arbeiten, um ihre faschistische Gesinnung zu verbergen.

SB: Geht der Zuspruch zur Tierbefreiung quer durch alle Generationen?

LL: Es ist toll, daß die Demonstrationen von Menschen aller Altersklassen und möglichen politischen Einstellungen besucht werden. Alt und jung, Anarchisten und normale Bürger belegen, daß die Tiere mit ihren Augen zu jedem Menschen sprechen können. Wir versuchen, Menschen und Tiere miteinander in Verbindung zu bringen. Es ist das Revolutionärste, was wir tun können, denn ich glaube, eine Revolution kann nur unter Einbeziehung der Tiere erfolgen. Tiere sind die einzigen Lebewesen, die in sich stimmig sind. Wir wissen, daß wir die Erde zerstören, indem wir Autos benutzen und Plastik produzieren. Daher betrachten wir die Tiere als unsere Lehrer. Sie können den Menschen die Probleme der Gesellschaft bewußt machen, weil sie diejenigen sind, die geschlagen und gefoltert werden. Alles, was die Tiere wollen, ist Freiheit, und natürlich können sie nicht dazu aufrufen, dieses oder jenes Versuchslabor zu schließen. Das müssen die Menschen tun.

SB: Engagiert sich die Tierbefreiungsbewegung in Italien auch für soziale Fragen?

LL: Wir wollen die Menschen darüber aufklären, daß das System, das die soziale und ökonomische Krise zu verantworten hat, auf der Ausbeutung der Tiere, der Menschen und der Erde basiert, um die AktivistInnen in den sozialen Bewegungen auch mit unserem Kampf zu erreichen.

SB: Gibt es Versuche, eine europäische Tierbefreiungsbewegung zu organisieren?

LL: Es gibt viele Gruppen, die gegen Speziezismus, Rassismus, Sexismus und andere Unterdrückungsformen kämpfen. Wir müssen nicht nur ein europäisches, sondern ein weltweites Netzwerk knüpfen, weil auch in Lateinamerika und Asien immer mehr Leute für eine bessere Gesellschaft und für eine bessere Welt kämpfen. Die Befreiung der Tiere sollte dabei das erste und größte Ziel sein, das wir zu erreichen versuchen.

SB: Würdest du den Kapitalismus als wesentlichen Faktor der Tierausbeutung verstehen?

LL: Sicherlich ist der Kapitalismus die wesentliche Grundlage all dessen, was in unserer Gesellschaft geschieht. Es gibt aber Menschen in der traditionellen Linken, die nichts Falsches in der Ausbeutung von Tieren erkennen und eine Gesellschaft ohne Kapitalismus, aber mit Tierausbeutung für möglich halten. Das ist sicherlich ein Problem, aber ich denke, daß Menschen aus linken Organisationen und kommunistischen Parteien, die sich Gedanken über die Grundlagen der Gesellschaft machen, offener für neue Ideen und für eine neue Konzeption der Gesellschaft sind. Daher ist es sehr wichtig, mit ihnen zu arbeiten und zu versuchen, das Gemeinsame und Trennende zu bestimmen.

SB: Verhält es sich in Italien so wie in Deutschland, daß die Parteien sich zwar für Tierschutz einsetzen, aber nicht für Tierbefreiung eintreten?

LL: Der Hauptunterschied besteht darin, daß Tierschutz den Gebrauch von Tieren gutheißt. Nicht den Mißbrauch, aber den Verbrauch. Das ist eine absurde Vorstellung, weil man kein empfindendes Wesen, kein Individuum verbrauchen sollte. Der Staat kann nicht akzeptieren, daß der Verbrauch von Tieren vollständig unmöglich gemacht wird, weil es das Kernstück unserer Gesellschaft ist, daß der eine verbraucht wird und der andere frei sein soll. Wenn der Staat so etwas akzeptieren würde, fiele es auf ihn selbst zurück.

SB: Mein Eindruck ist, daß du nicht nur eine politische Absicht verfolgst, sondern die Befreiung der Tiere auch ganz persönlich im Sinne eines anderen Lebensentwurfs verstehst. Trifft das zu?

LL: Wir haben natürlich ein politisches und soziales Anliegen. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir für Tiere kämpfen, die in diesem Augenblick eingesperrt sind, leiden und sterben. Eines unserer Ziele ist, soviele Tiere wie möglich zu befreien und ihnen ein gutes Leben zu verschaffen. Ja, der Kampf hat viele Seiten.

SB: Lorenzo, vielen Dank für das Gespräch.

Tierbefreier mit Beagle und 'LPT schliessen'-Plakat - Foto: © Coordinamento Fermare Green Hill

Solidaritätsgruß aus Italien
Foto: © Coordinamento Fermare Green Hill


Fußnoten:

[1] http://www.fermaregreenhill.net/

Bildnachweis:
Sofern nicht anders angegeben liegen die Bildrechte bei Coordinamento Fermare Green Hill;
http://www.fermaregreenhill.net/

11. September 2013