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INTERVIEW/017: Feiern, streiten und vegan - Verständnis pumpen ...    Patrick "Der Artgenosse" im Gespräch (SB)


Bedenkens- und Wissenswertes zum Veganismus im Diskurs

Interview auf dem Vegan Summer Day in Leipzig am 6. September



Als "Der Artgenosse" führt Patrick einen Video-Blog, in dem er auf unterhaltsame wie ernste Weise Argumente gegen den Veganismus aufgreift und gegen sich selbst kehrt. Wie er sich dabei positioniert und ob er auch dem Veganismus immanente Widersprüche aufgreift, erklärt er in einem Gespräch mit dem Schattenblick, das auf dem Vegan Summer Day in Leipzig geführt wurde.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Patrick "Der Artgenosse"
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Patrick, du betreibst einen Blog zum Thema Veganismus, vor allem aber setzt du dich in einem aufklärerischen Sinn mit haltlosen wie diffamierenden Argumenten der Kritiker des Veganismus auseinander. Befürwortest du in diesem Zusammenhang auch Tierbefreiung?

Patrick: Ich verstehe mich als dezidierter Tierrechtler und lebe seit acht Jahren vegan. Als Facebook aufkam, bin ich eher unabsichtlich in diese Debatten hineingerutscht. Ich war vorher nicht in diesem Maße aktiv, auch wenn ich mit der Tierbefreiergruppe in meiner Heimatstadt Dresden zu tun hatte. Ich bin kein strenger Aktivist in dem Sinne, daß ich auf Demos gehe oder an öffentlichen Aktionen teilnehme. Ich finde es gut, wenn Veganer demonstrieren oder auf Aktionen gehen, aber mir persönlich liegt das nicht. Ich bin eher jemand, der gern diskutiert, was ich online auch getan habe, gerade in Sozialen Netzwerken wie Facebook. Dabei habe ich festgestellt, daß sich die Argumente zum Thema Tierrechte bzw. Veganismus immer wiederholen. Das hat mich frustriert und war auch der Anlaß für mich, darüber nachzudenken, wie ich das von meiner Seite aus effizienter machen könnte. Weil dieselben Argumente immer wiederkehren, hatte ich die Idee, zu jedem dieser Argumente ein You-Tube-Video zu machen. Ich habe daraufhin lange mit ein paar Leuten gebrainstormed, wie ich den Blog nennen könnte. Irgend jemand hat dann "Artgenosse" in den Raum geworfen. Das gefiel mir gut, weil der Begriff nicht direkt auf Veganismus hindeutet. Klar bin ich Veganer und Tierrechtler, aber ich möchte mich nicht ausschließlich darüber definieren. Selbst der Begriff vegan kann mitunter abschrecken. Deshalb hatte ich nach einem neutralen Begriff gesucht, und Artgenosse paßte da sehr schön.

SB: Es hat zumindest einen leicht ironischen Unterton, wenn man bedenkt, daß Artgenosse im Konzept des Antispeziesismus schon so etwas wie einen kleinen Tabubruch darstellt.

P: So viel steckt nicht dahinter, nur daß Artgenosse einen kleinen Interpretationsspielraum läßt und auch die Frage der Positionierung nicht gleich dogmatisiert, was ich sehr angenehm finde. Eine Alternative wäre Aufklärer gewesen, was aber sehr anmaßend klingt und für mich daher nicht in Frage kam.

SB: Du setzt dich auch mit Widersprüchen innerhalb der Veganerszene auseinander, die vielfältige Erscheinungsformen aufweist - auf der einen Seite Lifestyle-Veganismus, der stark auf Gesundheit abhebt, und der modische Appeal der Fitneß-Doktrin eines Attila Hildmann, auf der anderen Seite die linke Tierbefreierszene, die ganz anders gestrickt ist. Gibt es zwischen diesen großen Polen irgendwelche Verbindungen?

P: Es gibt ein paar Berührungspunkte, aber grundsätzlich herrschen Reibereien vor, weil die Ansätze insgesamt doch sehr verschieden sind. Ich positioniere mich klar als Tierrechtler. Für mich ist das eine ethische Überzeugung. Natürlich ist es alles in allem wünschenswert, wenn möglichst viele Menschen vegan leben. Nur bekomme ich wirklich Bauchschmerzen, wenn es zu einer Lifestyle-Attitüde hochstilisiert oder die Fitneß plötzlich zum Dreh- und Angelpunkt des Ganzen gemacht wird. Natürlich hat es sein Gutes, weil viele Menschen über diese Schiene direkt zum Veganismus und auch mit Tierrechtsaspekten in Berührung kommen. Leider werden damit auch viele Sachen beliebig gemacht, die für Tierrechtler sehr wichtig sind, weil sie darin eben keinen Lifestyle, sondern eine ethische Kernfrage sehen, die ein grundsätzliches Element darstellt. Aus diesem Grund halte ich den Lifestyle-Veganismus, der aktuell in der Szene sehr verbreitet ist, für eine zweischneidige Angelegenheit.

Es ist für mich schwer zu beurteilen, ob damit mehr Gutes als Schlechtes erreicht wird. Ich persönlich finde viele Aussagen von Atilla Hildmann durchaus fragwürdig, der gerade Tierrechtler sehr derb verunglimpft, wovon ich mich auch distanzieren will. Dennoch finde ich es wichtig, daß an vielen Punkten angesetzt wird, eben weil es unterschiedliche Möglichkeiten des Herangehens gibt. Wenn jemand gut kochen kann, macht er einen Kochblog. Wenn jemand sich als Aktivist wohlfühlt, ist das auch in Ordnung. Das hat alles seine Berechtigung, aber alles sollte zusammenspielen und sich nicht gegenseitig blockieren und boykottieren, was dieser reine Lifestyle-Avantgardismus leider durch seine Beliebigkeit oftmals tut.

SB: Veganismus ist fast zu einem Mainstream-Thema geworden, wie die Präsenz des Themas in großen Zeitungen belegt. Allerdings schleicht sich darüber auch ein gewisser moralischer Unterton auf beiden Seiten ein. Wie empfindest du dieses Werten in Gut-Böse-Kategorien?

P: Gut und böse ist immer polemisch gemeint. Daher nehme ich Abstand davon, Menschen direkt anzugreifen. Natürlich bin ich durch meine bloße Existenz als Veganer eigentlich schon ein moralischer Vorwurf, weil ich damit sage, daß ich das Essen von Tieren für unethisch halte. Ich unterstelle aber keine böse Absicht oder gar Dummheit. Allerdings läßt sich auch nicht leugnen, daß mit einer bestimmten Lebensweise Handlungen verbunden sind, die ich absolut nicht akzeptieren kann. Das allein ist schon konfrontativ. Daher muß ich bei meinen Argumenten sehr viel Fingerspitzengefühl beweisen. Es bringt nichts, Menschen zu beschimpfen oder kraß abzuwerten. Ich kann es auch nicht gutheißen, wenn Antiveganer regelrecht angefeindet werden. Grundsätzlich kann niemand etwas für seine Sozialisation. Obgleich ich diese aggressive Vorgehensweise nachvollziehen und auch verstehen kann, warum man so handelt, welche Gefühle einen treiben und welcher Zorn in einem steckt, ist es für die Sache nicht förderlich. Das gilt natürlich für beide Seiten, weil auf beiden Seiten Fehler gemacht werden. Ich sage immer, ich kritisiere Handlungen, nicht Menschen. Das läßt sich nicht immer hundertprozentig trennen, aber man sollte es anstreben. Jemanden persönlich anzugreifen, ist absolut kontraproduktiv.

SB: Setzt du dich auch mit veganismusinternen Widersprüchen auseinander wie zum Beispiel der Sojabohnenproduktion in Brasilien, der ökologisch fundierten Ausbeutung von Lohnarbeit oder der Tötung bzw. Gefährdung von Tieren durch Monokulturen, deren Produkte letztlich als vegane Lebensmittel im Supermarkt landen?

P: Diese internen Themen sind auch für mich relevant, wenngleich ich derzeit erst einmal Videos mache, die sich hauptsächlich mit den Argumenten gegen den Veganismus befassen. Natürlich schafft und produziert auch eine vegane Lebensweise Probleme, aber ich bin dennoch der Meinung, daß gerade Veganer sehr sensibilisiert sind für solche Themen. Was das Soja angeht, wissen viele Menschen nicht, daß beim Fleischkonsum sehr viel mehr Soja verbraucht wird als durch Veganer. Ich habe Design studiert und hoffe in der Richtung noch zu promovieren. Dabei habe ich vor allem das Thema Nachhaltigkeit ins Auge gefaßt, das mich besonders beschäftigt. Mir geht es um die ganzen Verpackungsmüllberge, die wir produzieren. Einen einfachen Ausweg sehe ich aber noch nicht. Ich weiß, wie ich Tierprodukte vermeiden kann, aber ohne Verpackung auszukommen ist schwierig. Auf diesem Feld besteht dringender Handlungsbedarf. Natürlich gibt es auch bei der Herstellung veganer Produkte große Probleme.

Gerade Palmöl ist bedenklich, weil zu dessen Anbau Regenwald abgeholzt wird. Auch dieses Thema steht bei mir auf der Agenda. Nur versuche ich, möglichst wenig interne Streitereien zu provozieren, von denen es schon viel zu viele gibt. Ungeachtet dessen, daß man sich bei bestimmten Fragestellungen ganz klar positionieren muß, möchte ich nicht vorsätzlich Baustellen aufmachen, die nur zum Zwist führen können. Wenn man zum Beispiel bei Facebook in veganen Gruppen unterwegs ist, und jemand postet irgend etwas zu Palmöl in einer Lebensmittelgruppe, dann ist die Debatte schon vorprogrammiert. Oder wenn jemand etwas von Alpro postet, einer Herstellerfirma für Sojaprodukte, die früher zu einem großen Milchkonzern gehört hat, inzwischen aber outgesourced wurde, muß man auf Kritik gefaßt sein.

Bühne, Sitzbänke, Tische und Publikum - Foto: © 2014 by Schattenblick

Sommerliches Treffen für Veganerinnen und Veganer
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Vegane Lebensmittel sind teilweise recht teuer. Wenn man als Mensch mit niedrigem Einkommen Tierausbeutung verhindern möchte, steht man unweigerlich vor einer großen Herausforderung. Gibt es in der veganen Szene auch Debatten über die soziale Frage?

P: Ja durchaus. So gibt es bei Facebook beispielsweise low budget vegan groups, in denen Produkte gepostet werden, die auch für einen Veganer mit sehr geringem Einkommen noch erschwinglich sind. Als Student habe ich mit 400 Euro auskommen müssen, davon gingen allein 200 Euro für die Miete weg, so daß maximal 100 Euro für Lebensmittel übriggeblieben sind. Ich bin damit auch als Veganer klargekommen. Vielleicht war das, was ich gegessen habe, nicht immer das Gesündeste, aber es gibt durchaus viele alternative Möglichkeiten zu den Hochpreisprodukten im veganer Warenkorb. Ich denke, es ist einfach eine Frage der Gewöhnung. Die veganen Alternativen zum Wurstaufschnitt sind aus verschiedenen Gründen teuer. Zum einen, weil die Nachfrage nicht so hoch ist und vegane Lebensmittel nach wie vor eher Nischenprodukte darstellen, und zum anderen, weil sie oftmals nicht dem vergünstigten Mehrwertsteuersatz unterliegen. Deshalb sind sie in der Regel doppelt so teuer. Mitunter kommt noch das Zertifikat Bio hinzu, was den Preis zusätzlich in die Höhe treibt. Wenn man seinen Speiseplan eins zu eins mit nichttierischen Alternativen ersetzen möchte, wird das wirklich teuer.

Aber wenn man sich damit beschäftigt und die entsprechenden Quellen kennt, kann man sich durchaus behelfen. So sind Kartoffeln, Hülsenfrüchte und Reisnudeln alles in allem bezahlbar, um sich auch vielseitige gesunde Gerichte zuzubereiten. Dagegen ist frisches Obst und Gemüse immer noch unverhältnismäßig teuer. Obwohl die Lebensmittelpreise bei uns im Vergleich zum internationalen Ausland immer noch sehr günstig sind, ist der Preisunterschied zwischen Tierprodukten und veganen Lebensmitteln exorbitant.

SB: Tierprodukte scheinen billig zu sein im Verhältnis zum Nährwert an Eiweiß und Fett. Steckt dahinter eine Marketingstrategie oder ist das alles nur eine Frage der kulturellen Einstellung?

P: Da spielt beides mit hinein. Ich denke, die meisten Menschen wollen günstiges Fleisch, und entsprechend wählen sie die Politiker, die so etwas subventionieren. Dadurch kommt es auf dem Markt zu solchen Effekten. Meines Erachtens werden mit dem vergünstigten Mehrwertsteuersatz jedoch die völlig falschen Dinge subventioniert. Eigentlich müßten Produkte, die möglichst gesund und umweltfreundlich und wenig Tierleid verursachen, unterstützt werden, aber leider geschieht oftmals genau das Gegenteil. So fällt Veganer-Milchsurrogat nicht unter den ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Während Kuhmilch mit sieben Prozent besteuert wird, sind es bei Pflanzenmilch 19 Prozent.

SB: In deinem Blog setzt du dich explizit mit den Argumenten von Kritikern des Veganismus oder der tierfreien Ernährung auseinander. Machst du das eher auf ironische Art oder setzt du lieber auf harte Fakten und nüchterne Argumente?

P: Ich habe lange überlegt, welchen Ansatz ich wähle. Im ersten Reflex wollte ich das Ganze ironisch bis sarkastisch aufziehen, aber dann bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß das in der Sache nicht produktiv und förderlich wäre, weil man Menschen damit vor den Kopf stößt. Es wäre auch reiner Selbstzweck. Ich möchte mit den Videos nicht mein Ego kitzeln, sondern wirklich etwas Sinnvolles erreichen. Deshalb lege ich viel Wert darauf, möglichst vorwurfsfrei und sachlich zu argumentieren, aber dabei trotzdem unterhaltsam zu sein und nicht allzu oberlehrerhaft rüberzukommen. Manchmal läßt sich das nicht ganz vermeiden, aber ich versuche, die Argumente neutral zu halten und möglichst wenig Ansatzpunkte zu bieten, daß sich jemand beleidigt oder bevormundet fühlen könnte. Das ist für mich nicht leicht, weil ich durchaus zum Sarkasmus neige, gerade bei Argumenten, die ich albern und fragwürdig finde und bei denen mir eine schnippische Antwort leicht auf die Zunge springen möchte. Aber das würde alles nur eskalieren lassen und verhärtete Fronten ergeben, was niemandem etwas bringt. So gesehen bin ich vom Feedback bisher positiv überrascht.

SB: Der Vegan Summer Day hat etwas von einer Verkaufsmesse, auch wenn natürlich Inhalte transportiert werden. Wie schätzt du diese Form der Verbreitung der veganen Lebensweise ein?

P: Es ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Ansätzen. Der Leipziger Vegan Summer Day ist in meinen Augen sehr tierrechtlich ausgerichtet, was ich sehr begrüße. Die Verkaufsstände kann man natürlich kritisch sehen, aber im ganzen finde ich die Idee sinnvoll, auch weil sie Veganern ein Zugehörgkeitsgefühl vermitteln will. In der Regel sind Veganer in ihrem sozialen Umfeld recht isoliert. Ich kenne viele Menschen, die in ihren Familien als einzige überhaupt nur vegetarisch sind und diese Situation als problematisch empfinden. Auf solchen Veranstaltungen können sie sich davon überzeugen, daß es viel mehr Veganer gibt, als sie denken, und das kann sehr motivierend sein.

SB: Meinst du damit, daß auch über das Essen Ausschließungsprozesse laufen?

P: Ja, auf jeden Fall. Als Veganer grenzt man sich selbst immer ein bißchen aus, ob das nun gewollt ist oder nicht, aber man ist halt immer der mit der "Extrawurst". Hier auf der Veranstaltung ist das anders. Hier ist alles vegan, man muß nicht Zutatenlisten studieren oder den Gastronom nerven, ob er auch etwas Tierfreies hat. Für viele Menschen ist das hier auch moralisch sehr aufbauend. Ich denke, das ist auch ein wichtiger Aspekt des Vegan Summer Day, daß man sich zum einen Informationen beschaffen und darüber hinaus mit anderen vernetzen kann, aber vor allem, daß man auch einmal ein positives Feedback bekommt und sich nicht ständig rechtfertigen muß.

SB: Patrick, vielen Dank für das Gespräch.

MM-Symbol an der Einfahrt zur ehemaligen Leipziger Messe - Foto: © 2014 by Schattenblick

Was von der Exportwirtschaft der DDR übrigblieb ...
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnote:

Webauftritt "Der Artgenosse":
http://www.der-artgenosse.de/


Berichte zum Veganen Straßenfest in Hamburg unter
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BERICHT/008: Feiern, streiten und vegan - Konfliktbereit für Mitgeschöpfe ... (SB)
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21. September 2014