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INTERVIEW/022: Feiern, streiten und vegan - Befreiter Mensch, befreites Tier ...    Aktivist Felix im Gespräch (SB)


Mehr Mut und Unbescheidenheit

Interview auf dem Veganen Straßenfest in Hamburg am 13. September 2014



Felix ist in der Anarchistischen Tierbefreiungsoffensive Kiel (ATOK) aktiv. Am Rande des Veganen Straßenfestes in Hamburg-St. Georg, auf dem die Gruppe mit einem Stand vertreten war, erläuterte er ihr herrschaftskritisches Selbstverständnis.

Transparent 'total liberation - für die Befreiung von Mensch_Tier_Natur' - Foto: 2014 by Schattenblick

Foto: 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Felix, könntest du etwas zum politischen Selbstverständnis der ATOK sagen? Engagiert ihr euch nur für Veganismus und Tierbefreiung oder habt ihr auch ein darüber hinausgehendes Anliegen der Gesellschaftsveränderung?

Felix: Wir verfolgen auf jeden Fall einen emanzipatorischen gesellschaftlichen Ansatz und haben nicht ohne Grund den Begriff "anarchistisch" im Namen. Wir arbeiten zwar schwerpunktmäßig zu Tierbefreiungsthemen, aber das im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Wir sind der Auffassung, daß die Befreiung der Tiere kein separater Kampf ist, sondern im Zusammenhang mit anderen Kämpfen steht und stehen muß.

SB: Es gibt viele Leute, die sich aus gesundheitlichen oder tierrechtlichen Motiven für einen veganen Lebensstil interessieren, aber mit antikapitalistischen oder herrschaftskritischen Fragen nicht unbedingt etwas zu tun haben und vielleicht auch nichts zu tun haben wollen. Wie geht ihr mit diesem Phänomen um?

F: Wir haben zum Beispiel beim Total Liberation Congress im Juni in Darmstadt einen Workshop zum Thema Kritik am unpolitischen Veganismus veranstaltet, in dem wir den Veganismus als Lifestyle oder Frage bloßen Konsums kritisierten. Der Veganismus bringt im Endeffekt nichts, er muß schon im Zusammenhang mit der Abschaffung des Kapitalismus stehen. So lehnen wir den Veganismus als reine Konsumoption ab. Es ist halt so, daß der Veganismus im Moment einfach eine weitere kapitalistische Akkumulationsfläche wegen seines Warencharakters ist. Das heißt, den auf Endkunden reduzierten Menschen wird suggeriert, daß sie allein durch ihren Konsum eine ökologisch bessere und tierausbeutungsfreie Welt erschaffen können. Das ist viel zu kurz gedacht, weil Ausbeutung und Umweltzerstörung dem Kapitalismus inhärent sind.

Zum Gesundheitsthema haben wir auch eine Analyse. So stellen wir den Gesundheitsbegriff als solches in Frage, weil Gesundheit in der Form, wie sie propagiert wird, vor allem darauf hinausläuft, daß die Leute gefälligst gesund sein sollen, um für das Kapital verwertbar zu sein. Es ist sogar noch schlimmer. Das hat nichts mit Veganismus zu tun, weil das eigene persönliche menschliche Wohlergehen im Vordergrund steht und nicht die ökologischen Folgen der Tierausbeutung oder das millionenfache Leid der nichtmenschlichen Tiere.

SB: Auch in der Linken ist Tierbefreiung ein umstrittenes Thema. Es gibt Gruppen, die das Anliegen für antihumanistisch halten und meinen, daß der Mensch im Verhältnis zu Tieren zu kurz komme. Wie setzt ihr euch mit solcher Form von Kritik auseinander?

F: Erst einmal müssen wir festhalten, daß der Mensch auch ein Tier ist, wenn auch mit anderen Eigenschaften als manch andere Tiere. Mit diesem Verhältnis setzen wir uns auseinander, indem wir versuchen, den Tierbefreiungsgedanken in andere Befreiungsbewegungen oder emanzipatorische Bewegungen hineinzubringen und damit auch ein Stück weit zu verbinden. Oder um ein banales Beispiel zu geben: Der Fleischkonsum ist bei männlich sozialisierten Personen sehr viel höher als bei Frauen, die ihrerseits zur Fleischware gemacht werden. Da gibt es auf jeden Fall Anknüpfungspunkte. Oder ganz praktisch verbinden wir unsere Kämpfe für Tierbefreiungsgefangene mit denen anderer Gefangener, indem wir uns mit ihnen solidarisieren und das Knastsystem analysieren. So haben wir zum Beispiel eine Schreibwerkstatt an politische und soziale Gefangene eingerichtet, in die alle Gefangenen mit einbezogen werden.

SB: Beteiligt ihr euch auch an Demonstrationen, an Blockaden von Schlachthöfen und ähnlichem?

F: Da machen wir einiges und sind selbstverständlich in linksradikalen Strukturen in Kiel aktiv, indem wir uns etwa an der Antifa-Koordination beteiligen.

SB: Wie beurteilst du den Zusammenhang von Tierbefreiung und linker Politik? Glaubst du, daß die Idee der Tierbefreiung linke Politik erweitern und auch für Leute interessant machen könnte, die eher über die Seite der Tierausbeutung politisiert werden? Könnte das zum Projekt einer größeren Linken werden, die nicht speziell aus dem Bereich der Tierbefreiung kommt?

F: Um ehrlich zu sein, mache ich mir da momentan relativ wenig Hoffnung. So ist der Lifestyle-Veganismus kein Stück politisch, er ist zu einem konsumierbaren Gut verkümmert. Wenn sich Leute lediglich aus Gesundheitsgründen, um möglichst fit und vital zu sein, mit dem Veganismus beschäftigen, sehe ich nicht so große Chancen. Eher von Interesse wäre, wenn sich Menschen, die in herrschaftskritischen oder linken emanzipatorischen Bewegungen aktiv sind, zusätzlich mit dem Tierbefreiungsgedanken beschäftigen würden.

SB: Nehmt ihr auch Stellung dazu, wenn zum Beispiel Atilla Hildmann Kanzlerin Merkel auffordert, den Bundeswehrsoldaten vegane Ernährung zu ermöglichen oder wenn die israelischen Streitkräfte ihren Soldaten vegane Ernährung anbieten, damit sie ihre sogenannte Arbeit besser verrichten können?

F: Dazu brauchen wir nicht Stellung nehmen, das ist eigentlich selbsterklärend. Daß wir mit Leuten wie Atilla Hildmann nichts zu schaffen haben wollen, ist ganz klar.

SB: Gibt es in Kiel größeres Interesse an herrschaftskritischer Tierbefreiungs- und Tierrechtsarbeit?

F: Größeres Interesse würde ich das nicht nennen, es ist eher so, daß unsere Veranstaltungen nicht immer so gut besucht sind. Die Leute kommen eher zum Essen als zu Workshops oder politischen Vorträgen, aber damit haben wir uns auch ein Stück weit abgefunden.

SB: Aber ihr seid als Gruppe so sehr an der Sache interessiert, daß die Frage, wie erfolgreich ihr in der Mobilisierung seid, für euch keinen Vorrang hat?

F: Für mich persönlich auf keinen Fall, ich freue mich eher über die Leute, die zu unseren Veranstaltungen, Demonstrationen und Kundgebungen kommen, und ärgere mich weniger über die Leute, die nicht da sind. Ich würde anderen Leuten empfehlen, sich nicht davon verunsichern zu lassen, daß es keinen zahlenmäßigen Anklang findet, sondern eher denken, daß die Leute, die wirklich Interesse haben oder die wirklich mit Feuer und Flamme dabei sein wollen, auch da sind, das ist für mich wichtiger.

SB: Felix, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

Selbstverständnis der Anarchistischen Tierbefreiungsoffensive Kiel:
http://atok.blogsport.de/selbstverstaendnis/



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25. September 2014