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FRAGEN/021: Von unendlichen Weiten in die Box? Ein Gespräch mit Tierfilmer Marc Lubetzki (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2017
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Von unendlichen Weiten in die Box? Ein Gespräch mit Tierfilmer Marc Lubetzki

von Kathrin Kofent


Kathrin Kofent: Was bedeutet es Ihrer Meinung nach für ein Pferd, ausschließlich oder überwiegend in einer Box gehalten zu werden?

Marc Lubetzki: Oh Gott. Ich hätte mit so einer Frage rechnen müssen. Das geht meiner Meinung nach gar nicht - also Pferde alleine in einer Box zu halten kann nicht zur Diskussion stehen!


Kathrin Kofent: Leider wird der überwiegende Teil der Pferde so gehalten. Wie wäre es, wenn das Pferd im Winter stundenweise auf einen Paddock kommt und im Sommer auf die Weide?

Marc Lubetzki: Also es gibt keine (Wild)Pferde, die freiwillig alleine leben. Es kann sinnvoll sein, wenn ein Pferd krank ist, therapiert wird, nach Operationen in der Klinik oder ähnliches. Aber ich gehe jetzt mal von der generellen Haltung aus: Ich kenne keine Pferde in freier Wildbahn, die alleine leben. Ausnahmen sind Hengste, wo die Stute gestorben ist, der Hengst abgelöst wurde und sich zum Sterben zurückzieht. Aber es ist nicht normal, dass ein Pferd alleine lebt. Boxenhaltung - ich weiß gar nicht, was ich dazu noch sagen soll. Pferde benötigen Bewegung und Platz. Pferde stehen teilweise auch sehr dicht zusammen, gerade im Winter, um sich gegenseitig zu schützen. In einer Herde schlafen sie auch dicht zusammen. Wenn sie anfangen zu fressen, dann verteilen sie sich wieder.


Kathrin Kofent: Sie schließen eine Box als Haltungssystem also aus. Wie könnte man Ihre Erfahrungen in die heute übliche Pferdehaltung und den Umgang mit Pferden übertragen?

Marc Lubetzki: Die Pferde brauchen einen Unterstand. Wir sollten also unsere Hauspferde schon anders behandeln als Wildpferde. Aber sie sollten selber wählen können, ob sie da rein gehen oder nicht. Sie müssen sich frei bewegen können. Ein Offenstall ist super. Optimal sind mehrere Unterstände und breite Zugänge. Die Pferde müssen hinaussehen können, dann fühlen sie sich wohler. Ein einfaches Carport, zur Windseite geschützt mit einer trockenen Liegefläche ist gut.

Ich war überrascht über die eigentliche Frage der Boxenhaltung. Ich sehe Offenstall- und Gruppenhaltung als normal an. Schaut euch genau an, wie die Gruppen zusammengestellt werden. Manchmal kann man eine Gruppe auch teilen, um Ruhe hineinzubringen. In jedem Fall sollten wir auf die verschiedenen Charaktere der Pferde schauen. Wie es in der Herde passt und wie wir mit den jeweiligen Pferden umgehen. Nicht jedes Tier ist gleich. Wir haben in freier Natur Herden mit zwei oder drei Tieren und wir haben Herden mit 40, 50, 60 Tieren und im Winter von mehreren 100 Tieren. Das liegt in erster Linie an den Hengsten und ihren Charakteren, aber auch an der Struktur der Herde. Ich glaube, da können wir noch sehr viel lernen.


Kathrin Kofent: Was können die Pferdehalter, Reiter und Stallbetreiber besser machen im Umgang und der Haltung?

Marc Lubetzki: Es ist die Summe der Kleinigkeiten, die am Ende die große Veränderung bringt! Wie begrüße ich das Pferd? Wie gehe ich auf das Pferd zu? Mit welcher Stimme spreche ich, wenn ich überhaupt spreche? Wenn ich bei Wildpferden bin, spreche ich wochenlang gar nicht. Das sind ganz viele Kleinigkeiten, die ich beobachten kann, wie ein kleines Brummeln, bevor die Herde aufbricht, auch bei meinen eigenen Pferden.


Kathrin Kofent: Wie kann ich das lernen? Gibt es so etwas wie eine universelle Pferdesprache, bestimmte Regeln?

Marc Lubetzki: Auf meiner Webseite biete ich ein Seminar an. Dort zeige ich Aufnahmen von Wildpferden und gebe dazu Gedanken und Anregungen, wie man das auf Hauspferde übertragen kann. Einmal die Woche gibt es ein neues Video, das man sich ansehen kann.

Wichtig im Umgang ist, dass man bei der Umsetzung nicht zu viel auf einmal will. Das Neue könnte das Pferd auch verwirren. Pferde lernen gerne vom Menschen, aber hier sollten wir genau überlegen was.

Es gibt viele gute Pferdetrainer, die uns die Pferdesprache zeigen. Für Pferde entspricht die Körpersprache einer verbalen Kommunikation beim Menschen. Also wenn ich etwas zum Pferd sage, muss ich auch auf die Antwort des Pferdes warten. Und dementsprechend sollte ich wiederum auf diese Antwort reagieren. Ich darf keinen Vortrag halten und Anweisungen geben. Ich muss auf das Pferd achten und flexibel sein.


Kathrin Kofent: Wie läuft die Kommunikation innerhalb einer Herde ab?

Marc Lubetzki: Wilde Pferde leben viel mehr im Rhythmus der Natur. Als Mensch fühle ich mich nach einiger Zeit da rein. Es gibt fließende Übergänge, zum Beispiel nach dem Ruhen. Der Hengst ist durchaus auch zu Kompromissen bereit. Allerdings gibt es auch Momente, wo er sehr klar und bestimmt die Richtung angibt. Pferde sind kompromissbereit, aber dabei sehr klar. Sehr wichtig ist dabei das Vertrauen in den Hengst und untereinander.

Als Mensch darf ich dieses Vertrauen meines Pferdes zu mir niemals enttäuschen.


Kathrin Kofent: Wir müssen davon ausgehen, dass über die Hälfte der Pferde derzeit in Boxen gehalten werden. Was wäre Ihr Wunsch für die Pferdehaltung in Deutschland?

Marc Lubetzki: Ich freue mich, wenn es immer ein bisschen besser wird. Ich verteufle auch niemanden, der sein Pferd in einer Außenbox oder Box mit Paddock hält. Aber ich möchte, dass es immer ein Stückchen besser wird auf allen Ebenen. Auch in Offenstallhaltungen gibt es Verbesserungsbedarf. Es gibt tolle Offenställe und es gibt auch Offenställe, die sind katastrophal. Wenn die Herde nicht zusammen passt, gibt es zum Beispiel ständig Streit beim Fressen. Die Pferde dürfen auch nicht nur im Matsch stehen - aber Matsch ist in Ordnung, solange es auch trockene Flächen gibt. Was ich in Offenställen häufig sehe, ist, dass ein Heunetz irgendwo in die Ecke gehängt wird. Da wären mehrere Außenfressplätze viel besser.


Kathrin Kofent: Haben Sie eine Botschaft an Reiter und Pferdehalter, die Deutsche Reiterliche Vereinigung?

Marc Lubetzki: Für mich ist jedes Pferd anders. Ich kann nicht generalisieren und sagen: "Es ist so." Bei jedem Umgang, Verhalten und jeder Kommunikation muss ich das Pferd als eigene Persönlichkeit sehen. Das ist mir das Wichtigste.


Kathrin Kofent: Vielen Dank.

Das Interview führte Kathrin Kofent

Das vollständige Interview können Sie unter
www.provieh.de/respekt-vor-dem-pferd nachlesen.


INFOBOX
 
Tierfilmer Marc Lubetzki

Marc Lubetzki hat sich als Tierfilmer auf das Verhalten von Wildpferden spezialisiert. Im Jahr 1986 begegnete er zum ersten Mal wilden Pferden. Damit für seine Dokus besonders natürliche Aufnahmen entstehen, lebt er sechs Monate im Jahr unter wilden Pferden. Die Idee der Doku ist, wilde Pferde in ihrem natürlichen Lebensraum so zu zeigen, wie sie wirklich sind. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verhalten von verschiedenen Urpferderassen in typischen Situationen sollen die Kommunikation und das Sozialverhalten dokumentieren, um so zu verstehen, warum die Lebensräume geschützt werden müssen.

www.marc-lubetzki.de

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2017, Seite 28-31
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2017

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