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TIERHALTUNG/446: Ferkelprotest hier wie dort (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 312 - Juni 2008
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Ferkelprotest hier wie dort
Der Tierschutzbund startet Kampagne zur Ferkelkastration,
Gegner treten auf den Plan

Von Claudia Schiefelbein


Während die Funktionäre der industriellen Schweinehaltung noch Bedenken tragen, haben Bäuerinnen und Bauern angefangen. Mit der medialen Unterstützung durch die nun gestartete sogenannte "Ferkelprotest-Kampagne" des deutschen Tierschutzbundes gegen die betäubungslose Kastration männlicher Mastschweine sind in Niedersachsen die ersten Ferkel auf 18 NEULAND-Betrieben mit Betäubung kastriert worden. Ohne besondere Vorkommnisse. Klar ist noch Vieles offen, beispielsweise ob sich der finanzielle Mehraufwand von rund 4 bis 5 Euro pro Ferkel erwirtschaften lässt, aber zumindest mit dem technischen Teil der Umsetzung einer betäubten Ferkelkastration sind die Bäuerinnen und Bauern zufrieden. Mehr noch, sie empfinden die Narkose als gut in die Verfahrensabläufe zu integrierenden Arbeitsschritt, geben gleich noch Eisenspritzen etc.


"Schnellschuss"

Diese Erfahrungen stehen im Gegensatz zu dem, was der Bauernverband und die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Nordwestdeutschland (ISN) als Reaktion auf die Auftaktpressekonferenz zur Ferkelprotest- Kampagne des Tierschutzbundes hatten verlauten lassen. Während der Tierschutzbund eine Änderung des Tierschutzgesetzes hinsichtlich des Verbots der Ferkelkastration ohne Betäubung fordert und Verbraucherinnen und Verbrauchern rät, nur noch NEULAND oder gar kein Schweinefleisch mehr zu essen, ist für die ISN die Kampagne ein "Schnellschuss", der nur dazu geeignet sei, die europäische Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schweinehalter weiter zu beeinträchtigen. Zudem kritisiert die Organisation auch die nun von NEULAND eingesetzte Methode, die weder "aus arbeitswirtschaftlichen bzw. anwenderschutztechnischen wie auch aus Umweltgesichtspunkten eine echte Alternative darstelle."

Auch der Bauernverband übt Kritik an der Methode, um zu begründen, warum es derzeit keine praxistaugliche Lösung gebe. So werde das "toxisch wirkende und folglich in Deutschland nicht zugelassene Betäubungsmittel Isofluran" verwendet. Außerdem verhindere die Narkose nicht den Wundheilschmerz, sie verlängere sogar den Stress für das Ferkel. NEULAND-Vorstand Jochen Dettmer und der Tierschutzbund haben zu den Vorwürfen Stellung genommen: Isofluran wirkt nicht toxisch und ist als bewährtes Narkosemittel in der Humanmedizin und im Heimtierbereich zugelassen. Dass es keine Zulassung für Ferkel gibt, hat damit zu tun, dass es bisher für die Herstellerfirmen finanziell nicht attraktiv ist, diese zu beantragen. NEULAND geht derzeit den Weg, den Einsatz über eine Ausnahmeregelung zu rechtfertigen. Die Narkose schaltet die Wahrnehmung der Ferkel während des operativen Eingriffs aus, wirkt aber auch nur für wenige Minuten, so dass das Ferkel bereits kurz nach der OP wieder voll hergestellt ist, damit auch nicht - wie von der ISN behauptet - in größerer Gefahr als üblich ist, von der Muttersau erdrückt zu werden. Das zusätzlich gegebene Schmerzmittel schaltet dann den Wundschmerz aus. Weniger Stress erlebt auch der Bauer, der nicht am kreischenden, zappelnden Ferkel schneiden muss und damit präziser arbeiten kann, ebenfalls ein Faktor, der sich positiv auf die Wundheilung auswirkt. Der Anwenderschutz ist über das Absaugund Filtersystem gewährleistet, was auch die Freisetzung in die Umwelt verhindert.

Der Bauernverband kommt zu dem Schluss, dass das Tierschutzgesetz nur geändert werden könne, wenn auch die Voraussetzungen für alternative Behandlungsmöglichkeiten praxistauglich vorhanden seien. Und das sei ja nun noch nicht der Fall. Zumal auch die EU-Arbeitsgruppe PIGCAS zum selben Thema erst dieses Jahr mit Ergebnissen aufwarten wird und Folgestudien geplant sind. So sieht es im wesentlichen auch das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz.


Spritze statt Skallpell?

Tierschützer und Tierärzte liebäugeln perspektivisch mit der sogenannten Immunokastration, die auf den Hormonhaushalt des Tieres Einfluss nimmt und damit den Ebergeruch verhindert. Ab nächstes Jahr nämlich wird die Zulassung des Mittels der Firma Pfizer für die EU erwartet. Das Präparat, das zweimal, einmal am Anfang der Mastperiode und einmal 4 bis 6 Wochen vor der Schlachtung, gespritzt werden muss, hat eine starke Lobby. Seine millionenschwere Herstellerfirma ist derzeit noch Monopolist auf dem Markt. Damit würden sich tausende Bäuerinnen und Bauern einmal mehr in die Abhängigkeit eines großen Konzerns begeben. Aber auch die Tatsache, dass die Auswirkungen auf das spätere Schnitzel noch wenig erforscht sind und - vielleicht am wichtigsten - die Akzeptanz dieser Schnitzel durch die Verbraucher noch mit einem großen Fragezeichen versehen ist, sollte nicht außer Acht bleiben. Aktuelle Studien in der Schweiz haben ergeben, dass immunokastrierte Schweine dem Verbraucher nur mit einem erheblichen Kommunikationsaufwand schmackhaft zu machen sind und mit fundamentalen Bedenken wie "Eingriff in die Natur" versehen sind. Stattdessen stehen die befragten Schweizer der betäubten Kastration positiv gegenüber. Nach wie vor überlegen die beiden größten Schweizer Handelsketten, Migros und Coop, noch, ob sie sich ab 2009, wenn in der Schweiz per Tierschutzgesetz die betäubungslose Kastration verboten wird, Fleisch von immunokastrierten Tieren in die Regale legen oder nicht. Der Schweizer Ökolandbau hat sich bereits dagegen entschieden. Auch in Deutschland stellt sich natürlich die Frage, wie der Ökolandbau reagiert, der, so Felix von Löwenstein, Präsident des Bundesverbandes der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), ja auch schon lange mit Wissenschaft und Praxis nach einem Umgang mit dem Thema sucht. Derzeit sieht er ob der Strukturen und den gesetzlichen Vorgaben kaum schnelle Lösungsmöglichkeiten, nichts desto trotz begrüßt er die Initiative von NEULAND. "Ich bin dankbar, dass NEULAND das jetzt testet und bewertet", sagt er im Hinblick auf die weitere Debatte. In Europa hat unter Umständen der Handel die Entscheidung noch vor den Gesetzgebern in der Hand. Westfleisch hat schon angekündigt, Ferkel für Fleisch für den holländischen Markt künftig betäubt kastriert aus Holland beziehen zu wollen, um sie am Ende als Schnitzel wieder zurück zu verkaufen. Da wird dann der eben noch so wirtschaftliche schnelle Schnitt der ökonomischen Interessenvertreter in Deutschland plötzlich zum Wettbewerbsnachteil.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 312 - Juni 2008, S. 16
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2008