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TIERHALTUNG/504: Ein Siegel für artgerechte Tierhaltung (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Ein Siegel für artgerechte Tierhaltung

Von Susanne Aigner


Es sorgt für lebhafte Diskussion: das EU-Label, das Milch- und Fleisch-Produkten eine Herkunft aus artgerechter Tierhaltung bescheinigen soll. Am Rande der Grünen Woche in Berlin trafen sich Vertreter von NEULAND (Verein für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung e.V.), dem Deutschen Tierschutzbund und anderen Verbänden, um über die Einführung eines Tierschutz-Labels zu reden.

Die Idee gibt es etwa seit drei Jahren. Sie wurde auf einer Konferenz Ende März 2007 in Brüssel zum Thema Tierschutz-Verbesserung durch Kennzeichnung vorgestellt. Der Hintergrund: In Zeiten industrieller Tierhaltung müsse der Verbraucher über die Entstehung des von ihm gekauften Produktes informiert werden. Nur so könne er eine Kaufentscheidung für Produkte aus artgerechter Tierhaltung treffen. Darin sind sich NEULAND-Bauern und Tierschutzverbände einig. Es gibt genügend Erfahrungen, die als Grundlage zur Vergabe eines Tierschutz-Siegels dienen könnten. Bei NEULAND werden seit 20 Jahren Fleisch- und Wurstwaren tiergerecht produziert.

20 % der deutschen Bevölkerung leben in einkommensstärkeren Haushalten. Doch nur 2 % aller Konsumenten greifen schon heute bewusst zu teureren Bio-Produkten. Solche Menschen mit ethischer Grundhaltung und ausgeprägtem Tierschutz-Bewusstsein gelte es anzusprechen - durch eine einfache Produkt-Kennzeichnung, meint Prof. Dr. Achim Spiller von der Universität Göttingen.

Wie könnte ein solches Siegel aussehen? Dazu gibt es verschiedene Ansichten. Die EU-Kommission ließ eine Studie zur Durchführbarkeit erstellen. Tierschutz sei Vertrauenssache, heißt es darin. Die Verbraucher hätten keine Möglichkeit, nachzuprüfen, ob und in welchem Umfang er eingehalten werde. Unter den zahlreichen Produkt-Siegeln und Gütezeichen, die heute auf dem Markt kursieren, werde ein Kriterium häufig übergangen: Die Haltung von Tieren nach ethischen Prinzipien. Dies lässt auf fehlende Informationen und Markttransparenz schließen, so die Studie. Die Zahl privater Tierschutz-Gütesiegel wächst stetig. Was fehlt, ist ein einheitliches Bewertungssystem. Sinnvoll sei ein EU-weites einheitliches Siegel, das den Handel innerhalb der EU erleichtern würde.Und es dürfe keine Konkurrenz zu bestehenden Siegeln darstellen, sondern müsse diese - in Vereinbarung mit der EU-Öko-Verordnung - ergänzen. Denkbar sei zum Beispiel ein staatlich überwachtes privates Kontrollsystem. Verschiedene europäische Studien dienen als Entscheidungsgrundlage, darunter auch das EU-Projekt "Welfare Quality". Dessen Ergebnissen allerdings steht PROVIEH äußerst kritisch gegenüber.

Ein Tierschutz-Siegel sollte einfach, verständlich und leicht vermittelbar sein. Es muss für alle Fleisch- und Milchprodukte sowie Fertigprodukte mit tierischen Bestandteilen gelten. Ginge es nach der EU, würden die Tierhalter freiwillig daran teilnehmen können. Es dürfe keinen Minimalkompromiss auf Basis schon bestehender Gesetze geben. Ausgeschlossen seien Anbindehaltung, Käfighaltung, voll perforierte Böden und Eingriffe am Tier. Ein zweistufiges Kennzeichnungssystem werde angestrebt, wobei niedrige Besatzdichten, eingestreute Liegeflächen und moderate Leistung Bedingung für beide Stufen seien. Die Premium-Stufe gäbe es als Bonus-Bewertung, wenn in der Tierhaltung auch täglicher Auslauf gewährt würde.


Kritik

So gut, wie das EU-Label gemeint ist - die Schwachpunkte sind offensichtlich: So würde mit einer freiwilligen Teilnahme dem Siegel eine gewisse Beliebigkeit anhaften. Dann nämlich wäre absehbar, dass sich nur Betriebe beteiligen, die schon immer diese Kriterien erfüllt haben. Produkt-Marken mit Massentierhaltung fühlten sich gar nicht angesprochen. Sie würden ihre Tiere weiterhin nur nach ökonomischen Kriterien halten - im Vertrauen darauf, dass die billigsten Produkte zuerst gekauft werden. Ob Produkte mit Tierschutz-Label auch in den großen Discountern angeboten würden, bleibt zu bezweifeln. In diesem Fall blieben die gekennzeichneten Produkte derselben Kundschaft in den Bio-Märkten vorbehalten, die auch heute schon selbstverständlich auf eine artgerechte Tierhaltung bei der Herkunft ihrer Lebensmittel achten. Ändern würde das wenig.

Zum anderen ist die Abgrenzung von Produkten mit Tierschutz-Label gegenüber denen aus Öko-Landbau für die Endkunden irritierend. Besonders die NEULAND-Vertreter taten sich in der Debatte schwer, die Bio-Verbände in ihrer Vorbild-Funktion in der artgerechten Tierhaltung anzuerkennen. Tierschutz muss ein gemeinsames Anliegen bleiben, was nicht der Konkurrenz zwischen Markenprogrammen geopfert werden darf. Öko-Betriebe wären ohne artgerechte Tierhaltung gar nicht denkbar. Das sollte anerkannt werden, auch wenn die nach Tierschutzaspekten vorbildlichen NEULAND-Betriebe nicht nach den Kriterien des Ökolandbaus wirtschaften.


Fazit

Ein Siegel für Produkte aus tiergerechter Haltung ist an sich eine großartige Idee. Doch es wäre nur ein Siegel neben hundert anderen, wenn jeder Verband im Alleingang seine eigene Tierschutzkennzeichnung auf den Markt bringen würde. PROVIEH setzt sich für eine einheitliche, verbandsübergreifende und verbindliche Tierschutzkennzeichnung ein - im Sinne der Verbraucher und zum Wohlergehen der Tiere.


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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März, 2010, Seite 20-21
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2010