Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

TIERHALTUNG/505: Q-Fieber - jetzt als Ausgeburt der industriellen Ziegenmassenhaltung (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Q-Fieber - jetzt als Ausgeburt der industriellen Ziegenmassenhaltung

Von Sievert Lorenzen


Zu den strikten ethischen und wirtschaftlichen Grundsätzen der Haltung von Nutztieren gehört, trächtige Tiere zu schonen und sie nicht ohne triftigen Grund zu töten. Geradezu schockierend war daher zu erfahren, dass in den Niederlanden von Dezember 2009 bis Januar 2010 rund 40.000 weibliche Ziegen (knapp 11 % der 374.000 niederländischen Ziegen) auf mehr als 60 Farmen nicht trotz, sondern wegen ihrer Trächtigkeit vernichtet werden sollten. Zwar wurde eine milde Form der Tötung gewählt (erst Betäubungsspritze, dann Giftspritze), aber dennoch war die Aktion schrecklich und erregte Abscheu. Warum fand sie statt?

Als Grund für die Massentötung wurde die Bekämpfung des Q-Fiebers beim Menschen angegeben. Erstmals wurde die Krankheit 1937 von Edward H. Derrick beschrieben. Die Erkrankten waren Schlachthausarbeiter in Brisbane (Australien). Derrick kannte die Ursache der Krankheit nicht und nannte sie Q-Fieber (Q für englisch "query" - fraglich). 1938 wurde eine Bakterienart als Erreger identifiziert und als Rickettsia burnetii beschrieben. Später wurde sie nach ihrem Entdecker H. R. Cox in Coxiella burnetii umbenannt. Dieses Bakterium ist sehr klein, lebt im Inneren von Körperzellen und ist daher vor Antibiotika weitgehend geschützt. Es kommt fast weltweit vor, bereitet bei Mensch und Tier aber nur wenige gesundheitliche Probleme. Bisher jedenfalls.

Das Q-Fieber wird durch Sporen (Dauerstadien) von C. burnetii übertragen. Die Sporen werden bei Wildtieren vor allem durch bestimmte Zeckenarten übertragen. Wenn Nutztiere dicht gedrängt beieinander leben, findet die Infektion vor allem dann statt, wenn infizierte Muttertiere mit dem Fruchtwasser und der Nachgeburt Milliarden von Sporen ausscheiden, die über viele Jahre lebensfähig bleiben können. Geraten sie in den Luftstaub, können Mensch und Tier infiziert werden. Von nachrangiger Bedeutung ist die Ausscheidung von Sporen mit Kot, Urin, Milch oder Sperma. Infektionen von Mensch zu Mensch sind bisher nicht bekannt geworden.

Überraschend war, wie explosionsartig sich das Q-Fieber in den Niederlanden ausbreiten konnte. 2007 wurden 182 Krankheitsfälle beim Menschen bekannt, 2008 schon 1.000, und 2009 waren es 2.361. Die Infizierten erkrankten vor allem an Lungenentzündung. 2009 starben sechs der Erkrankten, doch sie waren von anderen Krankheiten schon geschwächt. Am härtesten traf die Krankheitswelle den Süden der Niederlande, wo die intensive Nutztierhaltung am dichtesten ist.

Als Hauptverursacher der niederländischen Q-Fieber-Welle gilt die niederländische Intensivhaltung von Ziegen. Infizierte Ziegen wirken meistens gesund, doch im Falle der Trächtigkeit gibt es überdurchschnittlich viele Totgeburten. Je mehr infizierte weibliche Tiere in einem Stall gebären und auf diese Weise Sporen ausscheiden, desto stärker wird der Luftstaub mit Sporen belastet. Gelangen sie mit der Abluft ins Freie, können sie vom Wind bis in die Städte verweht werden und dort Städter infizieren. Durch die Massentötung von trächtigen Ziegen in Betrieben hofft man, die Ursache für das menschliche Q-Fieber wirksam bekämpfen zu können.

Aufschlussreich ist, dass alle niederländischen Ziegen und Menschen vom selben Subtyp von C. burnetii befallen werden, wie Corné Klaassen aus Nijmegen zeigen konnte. Was ist aus diesem Befund zu schließen?

In den Niederlanden begann die industrielle Massenhaltung von Ziegen nach 1997, also nach jenem Jahr, in dem wegen der Klassischen Schweinepest mehr als 12 Millionen meist gesunde Schweine getötet wurden. Viele Bauern und Tierindustrielle wechselten damals von der Schweine- auf die Ziegenhaltung über. So wuchs der niederländische Ziegenbestand von einigen tausend in 1995 auf 374.000 in 2009. Nirgends in Europa ist die industrielle Ziegenhaltung weiter fortgeschritten als im Süden der Niederlande. Jetzt wird der Preis erkennbar, den die Niederländer dafür zahlen müssen. Wir kennen ihn schon von der industriellen Massenhaltung von Geflügel: Krankheitserreger können sich an die Bedingungen der Massentierhaltung anpassen und eine höhere Pathogenität als in der Wildbahn entwickeln. In der Natur ist eine erhöhte Pathogenität von Nachteil, weil sie die Effektivität der Verbreitung der Erreger senkt. Die vernetzten Aktivitäten der Tierindustrie heben diesen Nachteil auf.

Genau diese Art von Evolution hat sehr wahrscheinlich das Bakterium C. burnetii in den Niederlanden durchlaufen, so dass dort ein einzelner Subtyp von C. burnetii besonders erfolgreich werden konnte.

Angesichts dieses Szenarios beunruhigt der Plan der niedersächsischen Firma PETRI-Feinkost, im Weserbergland die industrielle Haltung von über 7.000 Ziegen auf engem Raum im Weserbergland einzuführen (wir berichteten im Heft 4-2009). Sollte der Plan gelingen, ließe sich wegen des hohen Vernetzungsgrades in der Tierindustrie kaum vermeiden, dass C. burnetii auch in PETRIs Ziegenindustrie heimisch wird und sich zur Gesundheitsgefahr für die umliegende Bevölkerung entwickelt. Es ist dringend geboten, dass der Widerstand von Bevölkerung und Bürgerinitiativen gegen den PETRI-Plan Erfolg haben wird.


*


Quelle:
PROVIEH Heft 1, März, 2010, Seite 26-27
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de

PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2010